Fachkräftemangel

Fachkräftemangel in Deutschland: Ursachen, Maßnahmen und Auswirkungen auf die Wirtschaft

Der Fachkräftemangel belastet die deutsche Wirtschaft zunehmend. Der demografische Wandel wird das Problem in vielen Regionen, insbesondere den ländlichen, verschärfen. Doch was genau ist unter Fachkräften zu verstehen? Welche und vor allem wie viele Stellen sind in Deutschland unbesetzt? Was sind die Ursachen des Arbeitskräftemangels? Und können ausländische Fachkräfte helfen, die Personallücken zu schließen? Diese Seite beantwortet alle wichtigen Fragen zum Fachkräftemangel.


Definition und Bedeutung von Fachkräften

Fachkräfte sind das Rückgrat zahlreicher Schlüsselbranchen der Wirtschaft. Sie zeichnen sich durch spezialisierte Kenntnisse und Fähigkeiten aus, die sie durch eine gezielte Ausbildung oder umfassende Berufserfahrung erworben haben. Durch ihre Produktivität und Innovationsfähigkeit tragen sie zum wirtschaftlichen Wachstum und zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands bei. Ihr Fehlen, vor allem in innovationsstarken Branchen wie der Pharmaindustrie, belastet den Forschungsstandort Deutschland schwer.

Besonders häufig fehlen Fachleute aus dem MINT-Bereich – also aus den Fachrichtungen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – mit Berufen wie Informatiker, Elektroniker oder Ingenieur. Der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften geht aber weit über den MINT-Sektor hinaus. Auch in Branchen wie dem Gesundheitswesen, der Gastronomie sowie der Kinderbetreuung und -erziehung ist der Mangel an professionell ausgebildetem Personal groß.


Ausmaß und Hauptursachen des Fachkräftemangels

Laut Bundesagentur für Arbeit konnten in Deutschland von Januar bis Oktober 2023 im Schnitt 770.000 offene Stellen nicht besetzt werden – ein Rekordhoch. Die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften übersteigt also deutlich das Angebot auf dem Arbeitsmarkt.

Demografischer Wandel

Eine der größten Ursachen für den Fachkräftemangel ist der demografische Wandel. Die niedrige Geburtenrate hierzulande führt dazu, dass weniger Menschen auf den Arbeitsmarkt nachrücken. Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter nimmt damit ab und die Altersstruktur verschiebt sich (Grafik):

Bereits im Jahr 2025 wird die Altersverteilung der deutschen Bevölkerung weit von der klassischen Pyramidenform entfernt sein – dann haben die am stärksten besetzten Jahrgänge gerade das Rentenalter erreicht oder sie stehen kurz davor.

Digitalisierung

Ein weiterer Grund für die Personalnot ist die fortschreitende Digitalisierung. Menschen in Berufen wie Elektrotechniker, Mechatroniker und Informatiker spielen eine entscheidende Rolle bei der Transformation der deutschen Wirtschaft und sind stark nachgefragt. Laut einem IW-Gutachten könnten bis 2026 etwa 106.000 qualifizierte Arbeitskräfte in Digitalisierungsberufen fehlen. Mittlerweile suchen Firmen auch verstärkt nach Fachkräften mit Expertise in zukunftsrelevanten Bereichen wie der künstlichen Intelligenz (KI).

Dekarbonisierung

Um die Energiewende umzusetzen und den Umstieg auf eine ökologische und energieeffiziente Wirtschaft in Deutschland voranzutreiben, braucht es entsprechend ausgebildete Arbeitskräfte. Schließlich sind dafür neue Fähigkeiten gefragt – Kfz-Mechatroniker müssen Elektroautos warten und reparieren, Dachdecker Solardachziegel installieren und Hochbaufacharbeiter Gebäude energieeffizient isolieren und dämmen können. Die Fachkräfte in solchen „Green Jobs“ sind gefragt, der Mangel wird aber auch in diesem Bereich deutlich.


Ausbildungsberufe mit dem größten Mangel an Fachkräften

Von Sommer 2021 bis Sommer 2022 fehlten über alle Berufe hinweg im Schnitt rund 540.000 qualifizierte Arbeitskräfte auf dem deutschen Arbeitsmarkt. In welchen Berufen der Mangel an Fachkräften am größten ist, zeigt eine Auswertung des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung auf Grundlage von Daten der Bundesagentur für Arbeit und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Mangel-Jobs

Zu den Top-Ten-Mangelberufen gehören ausnahmslos Jobs, die ein ungleiches Geschlechterverhältnis aufweisen, also entweder fast nur von Frauen oder fast nur von Männern ausgeübt werden (Grafik):

In der Berufsgruppe der Sozialarbeit und Sozialpädagogik gab es von Juli 2021 bis Juli 2022 für knapp 20.600 offene Stellen deutschlandweit keine passend qualifizierten Experten auf Jobsuche. Die Kinderbetreuung mit rein rechnerisch fast 20.500 nicht zu besetzenden Stellen und die Altenpflege mit annähernd 18.300 vakanten Plätzen folgen dahinter.

Ähnlich sieht es in der Männerdomäne der gewerblich-technischen Berufe aus. Insbesondere Handwerker wie Bauelektriker, Sanitär-, Heizungs- und Klimatechniker oder Kraftfahrzeugtechniker werden von den Betrieben häufig vergeblich gesucht. Im Jahr 2022 erreichte die Gesamtzahl der offenen Stellen in Handwerksberufen einen Rekordwert von 236.818. Das Problem: Frauen und Männer folgen bei der Berufswahl immer noch klassischen Rollenmustern.

Rückläufige Zahlen der Auszubildenden

Die Fachkräfte von morgen werden heute von den Unternehmen heftig umworben. Der Wettbewerb um junge Talente hat einen Grund: Im Jahr 2023 wurden laut Bundesinstitut für Berufsforschung bundesweit zwar 489.200 duale Ausbildungsverträge neu abgeschlossen, ein Achtel der betrieblichen Angebote (rund 73.400 Ausbildungsplätze) blieben allerdings unbesetzt. Betrachtet man die Entwicklung über ein Jahrzehnt, wird der Trend umso deutlicher: 2011 strebten noch rund 642.000 junge Menschen eine Berufsausbildung an, 2021 waren es knapp 100.000 weniger.

Gründe für unbesetzte Ausbildungsstellen

Dass immer mehr Ausbildungsstellen unbesetzt bleiben, hat zwei Hauptursachen: Erstens gibt es durch die niedrigen Geburtenraten in den 2000er Jahren einfach weniger Bewerber. Zweitens ist der Anteil der Abiturienten an allen Schulabgängern in der Vergangenheit gestiegen und nun konstant hoch. Und nach dem Abitur entscheiden sich viele gegen eine Ausbildung und für ein Studium, da die Verdienst- und Karrierechancen für Akademiker oft besser sind als die von Absolventen einer Berufsausbildung.  Allerdings können auch Fachkräfte ohne Studium, die sich in der Regel mit einer (dualen) Ausbildung qualifizieren, überdurchschnittlich gut verdienen. Es kommt vor allem darauf an, in welchem Beruf sie arbeiten (Grafik):

Im Jahr 2020 erhielt ein Produktionsplaner und -steuerer unter 30 Jahren ein monatliches Medianentgelt von rund 4.300 Euro brutto.

Auch in der Luft- und Raumfahrttechnik, im Versicherungs- und Finanzdienstwesen, der Chemie- und Pharmatechnik sowie im Brandschutz hatten bereits junge Fachkräfte unter 30 Jahren zuletzt gute Chancen, ein monatliches Bruttogehalt von mehr als 4.000 Euro zu erzielen.


Fachkräftesituation nach Regionen

Die regionale Fachkräftesituation in Deutschland stellt sich sehr unterschiedlich dar (Grafik):

Arbeitgeber in Bayern und Baden-Württemberg müssen besonders intensiv nach qualifiziertem Personal für Engpassberufe suchen. In diesen Bundesländern waren im Juni 2019 jeweils 86 beziehungsweise 88 Prozent aller offenen Stellen in Engpassberufen ausgeschrieben.

Auch in Ostdeutschland hat sich der Fachkräftemangel in den vergangenen Jahren deutlich verschärft: In Thüringen waren Ende 2010 nur 24 Prozent aller Stellen in Engpassberufen ausgeschrieben – bis zum Juni 2019 hat sich diese Zahl mehr als verdreifacht.

Ursachen regionaler Fachkräfteungleichheit

Die regionalen Unterschiede des Fachkräftemangels in Deutschland sind vor allem mit der jeweiligen Wirtschaftsstruktur und der demografischen Zusammensetzung verknüpft. So hat die Bevölkerung in den ostdeutschen Bundesländern zum Beispiel ein höheres Durchschnittsalter als im Westen. Zudem wandern junge Menschen oft aus ländlichen Regionen ab, um in einer Stadt zu studieren oder zu arbeiten und bleiben dann dort. Und traditionell wirtschaftsstarke Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg ziehen aufgrund ihrer Industrien zwar mehr Fachkräfte an – da dort aber auch die größte Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften herrscht, ist in diesen Regionen der Fachkräftemangel trotzdem oft noch stärker.  


Wirtschaftliche Folgen des Fachkräftemangels

Wenn es an Handwerkern, Fachkräften für die Metall- und Elektro-Industrie oder Experten für die Chipbranche mangelt, beeinträchtigt das die deutsche Wirtschaft nicht nur dabei, Transformationsprozesse wie die Digitalisierung, die Dekarbonisierung und den Übergang zu erneuerbaren Energien zu bewältigen. Die Fachkräftelücke schwächt auch das Wirtschaftswachstum und hemmt die Investitionsbereitschaft der Unternehmen.

So überstiegen im Jahr 2023 die Direktinvestitionsabflüsse aus Deutschland die entsprechenden Zuflüsse um rund 94 Milliarden Dollar. Damit verzeichnete die Bundesrepublik den zweithöchsten Nettoabfluss an Unternehmenskapital aller OECD-Länder. Ein Grund dafür: Der Fachkräftemangel. Laut einer Umfrage des Bundesverbands der Deutschen Industrie ist dieser für drei von vier industriellen Mittelständlern aktuell die größte Herausforderung.

Der Fachkräftemangel schadet auch der deutschen Innovationslandschaft, denn Innovationen brauchen unter anderem Mathematiker, Informatiker, Naturwissenschaftler und Techniker. Und diese fehlen: Mit 326.100 Personen war die MINT-Arbeitskräftelücke im Oktober 2022 so groß wie nie. Demnach leidet Deutschland auch als wichtiger Wissenschafts- und Forschungsstandort. Gerade in den wichtigen pharmarelevanten Berufsfeldern konnten im Jahr 2022 im Schnitt für 38 Prozent der offenen Stellen bundesweit rechnerisch keine passend qualifizierten Arbeitslosen gefunden werden.


Lösungen für das Fachkräfteproblem in Deutschland

Wie kann es trotz Fachkräftemangel sein, dass immer noch Menschen arbeitslos sind? Eine weit verbreitete Annahme ist, dass die Fachkräftelücke durch Arbeitslose geschlossen werden könne. So gab es im August 2022 rund 2,7 Millionen Arbeitslose und etwa 900.000 Erwerbsfähige, die als unterbeschäftigt galten. Doch Fachkräftemangel und Arbeitslosigkeit sind kein Widerspruch.

Schließlich hängt viel von der Qualifikation der Arbeitskräfte ab. Die Fähigkeiten der Arbeitssuchenden passen in der Regel nicht zu den ausgeschriebenen Stellen in den Engpassberufen (Grafik):

Deutlich mehr als 50 Prozent der kurzzeitig Arbeitslosen verfügten im Juli 2023 über keine abgeschlossene Berufsausbildung, bei den Langzeitarbeitslosen waren es sogar mehr als 60 Prozent.

Würden arbeitslose Helfer entsprechend weitergebildet, ließe sich die Fachkräftelücke in einer Reihe von Mangelberufen aber zumindest teilweise schließen.

Strategien und Maßnahmen zur Lösung des Fachkräfteproblems

Für die Politik und Unternehmen gibt es viele Stellschrauben, um den Fachkräftemangel abzuschwächen. Die wichtigsten:

  • Arbeitszeit steigern. Bei der Arbeitszeit je Erwerbstätigen gibt es noch viel Potenzial. In Deutschland leistete im Jahr 2021 jeder Beschäftigte durchschnittlich 1.349 Stunden, im Vergleich der OECD-Staaten lag die Bundesrepublik damit auf Platz 38.
     
  • Im Alter länger arbeiten. Die Politik sollte die „Rente mit 63“ abschaffen und stärker dafür werben, länger zu arbeiten. Denn wer länger als gesetzlich vorgeschrieben arbeitet, schwächt den Fachkräftemangel ab und kann seine Rente deutlich aufbessern.
     
  • Bessere Kinderbetreuung. Die Politik sollte mit einer besseren Betreuungsinfrastruktur das längere Arbeiten für Frauen mit Kindern unter 14 Jahren attraktiver gestalten. Für teilzeitbeschäftigte Frauen mit älteren Kindern gilt es, den Wiedereinstieg in Vollzeit bestmöglich zu begleiten und zu unterstützen.
     
  • Inklusion. Durch Inklusionsmaßnahmen wie technische Arbeitshilfen oder flexible Arbeitsmodelle könnten Menschen mit Behinderungen stärker in den Arbeitsmarkt integriert werden. Schließlich sind sie oft gut qualifiziert: Im Jahr 2022 hatten 54 Prozent der arbeitslosen Menschen mit Behinderungen einen Berufs- oder Hochschulabschluss.  
     
  • Bildungsförderung. Um die duale Ausbildung und die Hochschulbildung besser auf die Bedürfnisse der Wirtschaft auszurichten, sind Reformen im Bildungssystem notwendig. Dazu gehört, die Digitalisierung der Bildungseinrichtungen voranzutreiben und die MINT-Bildung in den Schulen zu stärken.
     
  • Zuwanderung. Infolge des demografischen Wandels ist Deutschland in den kommenden Jahren auf Zuwanderung angewiesen, um die Fachkräftebasis zu stabilisieren und die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft zu sichern.

 

Zuwanderung von Fachkräften

Ein zentrales Element der Fachkräftesicherung ist die Zuwanderung, qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland sind eine wertvolle Stütze – zum Beispiel in MINT-Berufen. Insgesamt sind in den zehn Jahren von 2011 bis 2020 unter dem Strich 4,36 Millionen Menschen in die Bundesrepublik zugewandert, wenn man die Zuzüge mit den Fortzügen verrechnet.

Ein Land wie Deutschland, das infolge gesunkener Geburtenzahlen und dem baldigen Ausscheiden der Babyboomer-Generation aus dem Erwerbsalter ein wachsendes Demografieproblem hat, ist auf die oft jungen Zuwanderer angewiesen. Eine Beispielrechnung: Ohne die seit 2007 Zugewanderten hätten im Jahr 2017 in Deutschland je 100 Personen zwischen 60 und 69 Jahren nur 87,5 Personen im Alter von 20 bis 29 Jahren gegenübergestanden – tatsächlich waren es 99,5.

Klar ist: Ohne kluge Köpfe aus dem Ausland geht es nicht. Denn viele im Ausland Geborene sind hochqualifiziert und können so die Fachkräftebasis hierzulande stärken (Grafik):

Von allen 25- bis 34-Jährigen, die im Jahr 2019 in Deutschland einen Hochschulabschluss hatten, waren 25 Prozent im Laufe ihres Lebens zugewandert.

So sollte die Bundesregierung die Zuwanderung noch stärker fördern, um den Fachkräftemangel abzuschwächen – etwa durch erleichterte Zuwanderungsregelungen für beruflich qualifizierte Fachkräfte. Es gilt, mehr junge Menschen aus Ländern wie Indien für die hiesigen Hochschulen zu gewinnen und nach dem Studium im Land zu halten. Deutschland muss verstärkt gezielt um die möglichen Zuwanderer werben, wie dies etwa schon über die Online-Plattform „Make it in Germany“ geschieht. Auch spezifische Rekrutierungsmaßnahmen wie Jobbörsen in Ländern mit besonders großen Migrationspotenzialen könnten hilfreich sein.