Umgang mit Falschinformationen Lesezeit 4 Min.

Wie Politiker auf Fake News reagieren

Um zu analysieren, wie seriös Politiker Bürgeranfragen beantworten und wie gewissenhaft sie mit offensichtlichen Falschinformationen umgehen, hat ein IW-Wissenschaftler fingierte Bürgeranfragen an rund 2.500 deutsche Parlamentarier geschickt. Das Ergebnis: Die etablierten Parteien schlagen sich gut – die AfD zeigt dagegen einen sorglosen Umgang mit Fake News.

Kernaussagen in Kürze:
  • IW-Wissenschaftler Matthias Diermeier hat sich mit der Frage beschäftigt, wie seriös Politiker in Deutschland Bürgeranfragen beantworten und ob sie falsche Aussagen berichtigen.
  • Durchschnittlich 95 Prozent der antwortenden Politiker der etablierten Parteien berichtigten die bewusst gewählten Fake News in den fingierten Bürgeranfragen des IW-Wissenschaftlers – dagegen ließ jeder dritte AfD-Abgeordnete die falschen Fakten so stehen.
  • Auch hinsichtlich der Antwortquote und der Frage, wie stark die Antworten von den korrekten Werten abwichen, schnitt die AfD deutlich schlechter ab als die anderen Parteien.
Zur detaillierten Fassung

Es liegt in der Natur des politischen Wettbewerbs, dass die verschiedenen Parteien unterschiedliche Aspekte desselben Themas betonen, um die eigene Agenda in den Vordergrund zu stellen. Ein legitimes Vorgehen – solange faktenbasiert und wahrheitsgetreu argumentiert wird.

Immer häufiger werden jedoch Fake News, also die bewusste Verbreitung von Fehlinformationen, zur strukturellen Manipulation der Meinungen potenzieller Wähler eingesetzt. Prominentestes Beispiel dafür sind die Praktiken des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, der über Twitter und andere Kanäle regelmäßig falsche Informationen teilte. Auch in Deutschland sind Fake News ein zunehmendes und viel diskutiertes Problem – und zwar nicht erst, seit Coronaleugner und Impfgegner ihre scheinbaren Wahrheiten verbreiten.

Doch nicht nur die sozialen Medien, auch die ungefilterte direkte Kommunikation zwischen Politikern und Wählern kann für solche Zwecke missbraucht werden. Aufgrund ihres privaten Charakters fliegen gerade Bürgeranfragen dabei unter dem Radar der Öffentlichkeit. Aus diesem Grund hat sich der IW-Wissenschaftler Matthias Diermeier mit der Frage beschäftigt, wie seriös Politiker in Deutschland Bürgeranfragen beantworten und ob sie falsche Informationen berichtigen – selbst dann, wenn die Fake News der politischen Ausrichtung der Partei entgegenkommen.

Während die etablierten Parteien falsche Informationen in Bürgeranfragen fast immer richtigstellen, lässt jeder dritte AfD-Abgeordnete die Fake News so stehen.

Fingierte Bürgeranfragen an deutsche Politiker

Die Ausgangslage für Diermeiers Studie bot eine deutschlandweite Umfrage aus dem Sommer 2020. Sie zeigte, dass AfD-Anhänger die Arbeitslosenquote von Zuwanderern deutlich überschätzen, Grünen-Wähler hingegen den Anteil von erneuerbaren Energien am Stromverbrauch unterschätzen.

Das machte sich der Wissenschaftler zunutze: Er erfand einen Alias und schrieb im Januar 2021 unter der Angabe, im jeweiligen Wahlkreis zu wohnen, fingierte Bürgeranfragen an 2.503 deutsche Parlamentarier auf Bundes- und Landesebene. Dazu entwarf Diermeier drei Versionen einer Mail – vom Aufbau her identisch, aber mit drei verschiedenen, neutral gehaltenen Fragen, ob eine bestimmte Information stimme, die er gehört habe.

Diese Information war allerdings eine bewusst gewählte Falschmeldung – erstens die von AfD-Anhängern zu hoch eingeschätzte Arbeitslosenquote von Immigranten (48 statt 14,4 Prozent), zweitens der von der Grünen-Anhängerschaft unterschätzte Anteil von erneuerbaren Energien am Stromverbrauch(35 statt 45,4 Prozent) und drittens die quer durch die Bevölkerung falsch beurteilte Arbeitslosenquote in Deutschland (24 statt 5,9 Prozent; alle Werte Stand 2020).

Jeder Politiker erhielt anschließend per Zufallsprinzip eine der drei Versionen. Die Antwortmails analysierte der IW-Wissenschaftler, der sein Studiendesign im Vorfeld mit der Ethik-Kommission der Universität Duisburg-Essen abgestimmt hatte, schließlich unter verschiedenen Gesichtspunkten:

Antwortquote. Rund die Hälfte aller Abgeordneten antwortete auf die fingierte Bürgeranfrage – mit 64 Prozent schnitten die Mitglieder des Deutschen Bundestags besser ab als die Landesparlamente, wo gut 45 Prozent der Politiker reagierten. Auffällig dabei: In den acht Bundesländern, in denen 2021 eine Wahl anstand, war die Antwortquote der Parlamentarier um 9 Prozentpunkte höher. Auf Parteiebene zeigten sich – zumindest bei den etablierten Parteien – nur geringe Unterschiede (Grafik):

Mit 55 Prozent antworteten Politiker von CDU/CSU am häufigsten, die Rückmeldungen von FDP, Linke und SPD lagen ebenfalls über der 50-Prozent-Marke.

So viel Prozent der Politiker dieser Parteien antworteten auf die fingierte Bürgeranfrage eines IW-Wissenschaftlers, in der er eine direkte Frage an sie richtete Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Grünen-Vertreter rangierten knapp dahinter. Lediglich AfD-Parlamentarier blieben mit einer Rückmeldungsquote von nur 39 Prozent öfter eine Antwort schuldig.

Toleranz von Fake News. Diejenigen, die eine Antwortmail schrieben, ließen die Falschinformationen in den seltensten Fällen unkommentiert oder sogar bestätigend durchgehen – erneut mit Ausnahme der AfD (Grafik):

Durchschnittlich 95 Prozent der antwortenden Politiker der etablierten Parteien berichtigten die Angaben – dagegen ließ jeder dritte AfD-Abgeordnete die falschen Fakten so stehen.

So viel Prozent der Politiker dieser Parteien stellten diese Frage mit einer bewusst gewählten Falschinformation in fingierten Bürgeranfragen eines IW-Wissenschaftlers nicht richtig Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Am deutlichsten widersprachen SPD-Politiker den falschen Zahlen: Gerade einmal sieben der 315 Parlamentarier stellten diese nicht richtig. Ganz anders die AfD: Eine Regressionsanalyse der Zahlen zeigt, dass ein AfD-Parlamentarier eine Fehlinformation mit einer rund siebenmal so hohen Wahrscheinlichkeit toleriert wie ein Politiker einer anderen Partei.

Insbesondere die Fehlinformation in der Migrationsanfrage ließ die AfD unkommentiert: Fast die Hälfte der Parteimitglieder, die auf die Mail antworteten, nahm hier keine Richtigstellung vor.

Abweichung von den korrekten Zahlen. Selbst wenn die Parlamentarier auf die Falschinformation reagierten – richtig waren ihre Antworten dennoch nicht immer. Zwar lagen ihre Angaben im Schnitt nahe an den offiziellen Zahlen, die Antworten der AfD-Politiker waren jedoch in jedem der drei Fälle am weitesten von der Realität entfernt.

In jenen Antwortmails, die den Fake News in der Bürgeranfrage widersprachen, wichen die Parteimitglieder im Schnitt ausnahmslos negativ von den korrekten Werten ab: Die Politiker bezifferten die Arbeitslosenquote in Deutschland höher (6,6 statt 5,9 Prozent) und den Anteil an erneuerbaren Energien geringer (43,3 statt 45,4 Prozent), als sie in Wirklichkeit sind. Die Arbeitslosenquote von Zuwanderern gaben sie durchschnittlich sogar um gut 3 Prozentpunkte zu hoch an (17,8 statt 14,5 Prozent).

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