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Welthandel: Der Blick geht nach China

Vom Ende der erratischen und protektionistischen Handelspolitik Donald Trumps dürfen sich die Europäer – insbesondere die Deutschen – nicht allzu viel versprechen. Denn der neue US-Präsident blickt vor allem in eine Richtung: nach China. Und mit dem Reich der Mitte will Joe Biden ganz anders umgehen als die Europäer – und stellt sie damit vor eine schwierige Wahl.

Kernaussagen in Kürze:
  • Der neue US-Präsident Joe Biden will die internationalen Handelsregeln modernisieren und die unfairen Praktiken Chinas unterbinden.
  • Die Handelspartner der USA müssen sich entscheiden, ob sie den amerikanischen Weg der Konfrontation mit China mitgehen oder versuchen, eine Auseinandersetzung weiterhin zu vermeiden.
  • Die EU-Länder sind unterschiedlich stark daran interessiert, mit den USA zu kooperieren. Eine eindeutige europäische China-Strategie gibt es noch nicht.
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Strafzölle, die einseitige Kündigung von Verträgen, Drohungen – all dies war kennzeichnend für die Amtszeit von Donald Trump. Nun hoffen die internationalen Handelspartner der USA auf eine Normalisierung der Beziehungen. So wird es auch kommen, allerdings nur, was den Ton der Handelspolitik angeht – nicht jedoch deren Ausrichtung.

Ohnehin hat Joe Biden erst mal ganz andere Sorgen. Der 46. US-Präsident muss sich zuallererst um die Corona-Pandemie kümmern, die in wenigen Ländern der Welt so dramatisch verläuft wie in den USA. Nicht minder dringend muss Biden die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft angehen, sonst droht der unselige Cocktail aus Populismus und Polarisierung das Land jahre- oder gar jahrzehntelang zu vergiften.

US-Handelspartner müssen sich entscheiden

Angesichts dieser Probleme wird die Handelspolitik der USA in der ersten Amtszeit Bidens zunächst eine untergeordnete Rolle spielen. Zudem scheint die neue US-Regierung mit ihren handelspolitischen Plänen vor allem ein Ziel zu verfolgen: Sie will einen Umgang mit dem weitgehend ungebremsten Aufstieg Chinas finden und für einen fairen Wettbewerb sorgen.

Das stellt die anderen Handelspartner der USA vor die Wahl: Entweder gehen sie den Weg der Konfrontation mit und unterstützen damit nicht nur die USA, sondern kümmern sich auch um ihre eigenen Probleme mit China. Oder sie versuchen, eine Auseinandersetzung mit China weiterhin zu vermeiden und nehmen damit in Kauf, die Zukunft der Welthandelsordnung weniger mitzubestimmen – denn bei deren Ausgestaltung werden auch dieses Mal die USA den Ton angeben.

Der neue US-Präsident Joe Biden geht handelspolitisch auf Konfrontationskurs mit China. Die Handelspartner der USA müssen sich entscheiden, ob sie diesen Weg mitgehen wollen.

Damit könnte Biden an die handelspolitischen Erfolge Barack Obamas anknüpfen, der zum einen an einem umfassenden Handels- und Investitionsabkommen mit der EU arbeitete und zum anderen die Verhandlungen zum größten Freihandelsabkommen der Geschichte – der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) – abschloss.

Doch Obamas Erfolge währten nur kurz. Trump brach die Verhandlungen mit der EU ab und erklärte schon am ersten Tag seiner Amtszeit den Austritt der USA aus der TPP. Und anstatt weiter nach Lösungen innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) zu suchen, setzte Trump eine Spirale aus Zollerhöhungen und entsprechenden Gegenmaßnahmen der Chinesen in Gang. Er versprach sich davon eine Senkung des Leistungsbilanzdefizits.

Zwar konnte die Trump-Regierung das Defizit gegenüber China von 2018 bis 2019 um fast 71 Milliarden Dollar senken, doch gleichzeitig erhöhte sich das Minus gegenüber Staaten wie Mexiko, Japan, Taiwan und Südkorea; außerdem sanken die Überschüsse gegenüber Kanada, Singapur und Hongkong.

Letztlich sind Trumps Schüsse deshalb nach hinten losgegangen (Grafik):

Das US-Leistungsbilanzdefizit fiel 2019 mit 480 Milliarden Dollar so hoch aus wie seit zehn Jahren nicht mehr und war um 85 Milliarden Dollar höher als das Defizit im letzten Jahr der Obama-Amtszeit.

Leistungsbilanzsaldo in Milliarden Dollar Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Die handelspolitischen Ansätze der neuen US-Administration sind in dem Plan „Made in all of America“ nachzulesen. Darin äußert Biden seine Absicht, mit Verbündeten zusammenzuarbeiten, um die internationalen Handelsregeln zu modernisieren und die unfairen Praktiken Chinas abzustellen.

EU ohne konkrete China-Strategie

Damit hat Biden den Verbündeten eine bestimmte Rolle zugewiesen: Sie sollen die USA im Kampf gegen China unterstützen. Das bringt die EU – insbesondere Deutschland – in eine verzwickte Situation, denn weder Brüssel noch Berlin haben derzeit eine eindeutige und konkrete China-Strategie. Zwar wurden in Schlüsselbranchen vereinzelte Maßnahmen eingeführt, etwa im Zusammenhang mit großen Investitionsprojekten chinesischer Investoren in Deutschland. Doch eine klare Positionierung und konkrete Lösungsvorschläge scheint die Bundesregierung aufgrund der damit verbundenen drohenden Konfrontation zu vermeiden.

Ein Blick in die Handelsstatistik liefert den Grund dafür: Im Jahr 2019 war China für Deutschland der mit Abstand wichtigste Lieferant von Importgütern. Und schon bald dürfte das Land auch der wichtigste Markt für deutsche Exporteure werden – bereits im Krisenjahr 2020 haben die Chinesen vermutlich Platz zwei hinter den Amerikanern belegt.

Auch auf EU-Ebene fällt es schwer, eine einheitliche Positionierung gegenüber China zu finden, denn das Land spielt für die einzelnen Mitgliedsstaaten eine recht unterschiedliche Rolle (Grafik):

Vor allem bei den Ausfuhren sind die USA für die meisten EU-Länder ein wichtigerer Partner als China – bei den Importen ist es meist umgekehrt.

So viel Prozent der Exporte und Importe der vier größten EU-Mitgliedsstaaten entfielen im Jahr 2019 auf ... Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Keine der vier größten EU-Volkswirtschaften hängt allerdings sowohl bei den Ausfuhren als auch bei den Einfuhren so stark vom Handelspartner China ab wie Deutschland.

Aus dieser Gemengelage ergibt sich, dass die EU-Länder unterschiedlich stark daran interessiert sind, mit den USA zu kooperieren und eine Konfrontation mit China zu riskieren.

Doch auch ohne einen Bruch mit Peking ist die Kooperation mit den USA möglich. Die EU und die USA sollten weitere Länder für ein plurilaterales Handelsabkommen gewinnen, das neue, über die WTO-Regelungen hinausgehende Liberalisierungen und vor allem schärfere internationale Regeln gegen Wettbewerbsverzerrungen festschreiben würde. Dann wäre China am Zug: Entweder es beteiligt sich an dem Abkommen und hält sich an die Regeln. Oder es stimmt einer substanziellen Reform der WTO-Regeln zu, etwa für Industriesubventionen.

Ist China nicht dazu bereit, könnte das Abkommen weiter ausgebaut und zu einer alternativen Welthandelsordnung entwickelt werden – zum Beispiel über eine erweiterte und überarbeitete Transpazifische Partnerschaft.

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