Handelsbilanz: Nebelkerzen aus Amerika
US-Präsident Donald Trump macht die Europäische Union mitverantwortlich dafür, dass die USA ein immenses Außenhandelsdefizit haben. Doch der präsidiale Vorwurf greift angesichts des komplexen Themas zu kurz. Selbst Deutschlands Handelsüberschuss gegenüber den USA könnte deutlich niedriger sein, als es die Daten vermuten lassen.
- Die USA hatten 2017 ein Leistungsbilanzdefizit von 466 Milliarden Dollar – davon stammten 358 Milliarden Dollar aus den Geschäften mit China.
- Während die EU im Warenhandel Überschüsse gegenüber den USA erwirtschaften, erzielen die Amerikaner im Gegenzug positive Salden im Dienstleistungshandel und in der Bilanz der Primäreinkommen.
- Statistische Unschärfen der Außenhandelsdaten machen ein gerechtes Urteil bezüglich des Handels zwischen den USA und Deutschland nahezu unmöglich. So zählen beispielsweise deutsche Importe, die im Rotterdamer Hafen ankommen, zur niederländischen Bilanz.
In manchen Sachen ist von Anfang an der Wurm drin. Das gilt auch für Donald Trumps Einschätzung zum Handel zwischen den USA und der EU: In einem Playboy-Interview erklärte der Milliardär bereits im Jahr 1990, was er als amerikanischer Präsident gegen das Handelsdefizit seines Landes tun würde, nämlich „jeden Mercedes-Benz und alle japanischen Produkte“ mit einer Einfuhrsteuer belegen. Allerdings, so Trump damals, sei er „zu 100 Prozent sicher“, diesen Job nicht haben zu wollen.
Fast 30 Jahre später ist Trump doch US-Präsident – und das Außenhandelsdefizit wurmt ihn immer noch. Aber zumindest gegenüber der EU sind seine protektionistischen Drohungen völlig unangebracht (Grafik):
Bereits seit der Finanzkrise haben die USA gegenüber der Europäischen Union einen Leistungsbilanzüberschuss. Von 2016 auf 2017 ist dieser sogar um nahezu 150 Prozent auf 14,2 Milliarden Dollar gestiegen.
Anders sieht es mit Blick auf Asien aus. Dort sind es allerdings nicht die Japaner, die den USA die Bilanz verhageln, sondern die Chinesen:
Im Jahr 2017 hatten die USA ein Leistungsbilanzdefizit von 466 Milliarden Dollar – davon stammten 358 Milliarden Dollar aus den Geschäften mit China.
Wenn Europa die Vorwürfe des amerikanischen Präsidenten nicht viel energischer kontert, mag das an der Komplexität des Themas liegen und daran, dass sich die Leistungsbilanz aus vielen unterschiedlichen Komponenten zusammensetzt.
Der Vorwurf von Donald Trump, die EU hätte gegenüber den USA einen hohen Leistungsbilanzüberschuss, ist falsch.
So wirkt es auf den ersten Blick tatsächlich, als würde Europa die USA mit Gütern überschwemmen – der Überschuss der EU im Warenhandel war 2017 mit mehr als 150 Milliarden Dollar immens. Allerdings wird das zu etwa einem Drittel durch den starken US-Dienstleistungshandel ausgeglichen – hier machen die USA ein Plus von gut 50 Milliarden Dollar. Denn sie verdienen beispielsweise mit Werbung, die auf amerikanischen Social-Media-Plattformen wie Facebook geschaltet wird, international viel Geld.
Die anderen zwei Drittel gleicht der US-Überschuss bei den sogenannten Primäreinkommen aus (Grafik). Dahinter verbergen sich Einkommen, die amerikanische Firmen und Privatpersonen durch Investitionen in Europa erwirtschaften – also Erträge aus Direktinvestitionen, Wertpapieranlagen und sonstigen Investitionen.
Anders gewendet kann man den Handelsstreit also wie folgt auf den Punkt bringen: Der Konflikt zwischen den USA und der EU entsteht, weil unterschiedliche Geschäftsmodelle aufeinandertreffen – die Europäer exportieren mehr Waren, dafür investieren amerikanische Firmen in der EU mehr und ziehen daraus einen beachtlichen finanziellen Nutzen.
Tatsächlich spielen diese Auslandsinvestitionen eine immer größere Rolle für die US-Wirtschaft:
Der Anteil der aus dem Ausland überwiesenen Primäreinkommen an allen Einkünften, die aus dem Ausland in die USA fließen, hat sich seit Anfang der 1990er Jahre von rund 21 auf rund 27 Prozent erhöht.
In Deutschland dagegen hat sich der Anteil der Primäreinkommen von 1991 bis 2017 deutlich reduziert – von mehr als 15 auf 11 Prozent.
Außenhandelsstatistik ist unscharf
Apropos Deutschland: Aus amerikanischer Sicht ist von den EU-Mitgliedsstaaten vor allem Deutschland der böse Exportsünder. Doch so einfach liegen die Dinge hier ebenfalls nicht. Denn die Interpretation der Außenhandelsdaten wird auch dadurch erschwert, dass es erhebliche statistische Unschärfen gibt – und die machen es nahezu unmöglich, ein gerechtes Urteil zu fällen. Das zeigt sich deutlich, wenn man einen näheren Blick auf die US-Handelsbeziehungen mit den EU-Ländern wirft:
Erstens kommen die Güter aus den USA in Europa meist per Schiff an, Hauptumschlagplatz ist Rotterdam. Auch US-Exporte nach Deutschland werden dann als Lieferungen in die Niederlande gezählt, was die Statistik verfälscht. So betrug der Anteil der US-Exporte in die Niederlande an allen US-Exporten in die EU 2017 fast 15 Prozent – dabei wohnen nur rund 3 Prozent der Europäer in den Niederlanden und die dortige Wirtschaftsleistung macht nur 4 Prozent des EU-Gesamtwerts aus.
Zweitens gibt es einen ähnlichen Effekt bei der Zuordnung von Dienstleistungsgeschäften: Häufig wickeln amerikanische Firmen ihre Geschäfte mit Europa über Niederlassungen in Irland oder den Niederlanden ab. Dann werden deutsche Dienstleistungsimporte aus den USA einerseits als Handel zwischen Deutschland und den EU-Partnern Irland oder den Niederlanden verbucht und andererseits als Handel zwischen Irland oder den Niederlanden mit den USA. So wurden beispielsweise im Jahr 2016 rund 20 Prozent der US-Dienstleistungsexporte in die EU für Irland verbucht und nur knapp 14 Prozent für Deutschland.
Es gibt aber noch ein weiteres grundsätzliches Problem in Sachen Handelsstatistik: Jedes Land erhebt seine Daten auf andere Weise – mit der Folge, dass die Ergebnisse oft im Widerspruch zueinander stehen. So behaupten sowohl die Briten als auch die US-Amerikaner, mit dem jeweils anderen Land einen Leistungsbilanzüberschuss zu haben.