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Wie hat sich die Kaufkraft seit der Ölkrise entwickelt?

Dass die Preise stark steigen, dieses Phänomen kannten bis vor ein paar Monaten nur ältere Menschen in Deutschland. Denn die letzte große Inflation gab es Anfang der 1970er Jahre. Damals wurden Sonntagsfahrverbote verhängt, um Sprit zu sparen. Die Bundesbank setzte außerdem den Leitzins stark herauf, was einen Anstieg der Arbeitslosigkeit zur Folge hatte.

Kernaussagen in Kürze:
  • Zwischen der Ölkrise Anfang der 1970er Jahre und der aktuellen Energiekrise gibt es auffallend viele Parallelen, etwa die vorherigen Boomjahre und eine lange Phase der expansiven Geldpolitik.
  • Doch es gibt auch Unterschiede: Anders als vor 50 Jahren müssen Verbraucher heutzutage mit Kaufkraftverlusten leben.
  • Verglichen mit 1974 sind viele Güter für Konsumenten dennoch erschwinglicher geworden, insbesondere solche, die sich aufgrund des technischen Fortschritts günstiger herstellen lassen.
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Wer in diesen Tagen Post von seinem Energieversorger bekommt, muss damit rechnen, dass sich die monatliche Abschlagszahlung für Gas oder Fernwärme im kommenden Jahr verdoppelt. Im Schnitt mussten die Verbraucher in Deutschland im Oktober 2022 rund 10 Prozent mehr für Waren und Dienstleistungen zahlen als vor einem Jahr – und auch in den kommenden Monaten dürfte die Inflationsrate hoch bleiben.

Hauptursache sind die hohen Energiepreise sowie andere Knappheiten, die vor allem durch die russische Invasion in der Ukraine entstanden sind. All dies führt in Deutschland nicht nur dazu, dass das Heizen teurer wird, sondern auch viele Lebensmittel, Benzin und Diesel, Reisen sowie Hunderte von anderen Dingen.

Die Ölpreiskrise Anfang der 1970er Jahre war für Westdeutschland ein gravierendes Problem, denn damals gewann die Bundesrepublik rund die Hälfte ihrer Energie aus Öl.

Es ist schon lange her, dass sich Waren und Dienstleistungen binnen kurzer Zeit derart verteuert haben: Die bislang stärkste Inflation nach den Wiederaufbaujahren gab es Anfang der 1970er Jahre, als sich nicht nur in Westdeutschland, sondern in sämtlichen Industrieländern das Preisniveau merklich nach oben bewegte. Auffällig sind die vielen Parallelen zwischen damals und heute. Auch vor 50 Jahren hatte die Bundesrepublik wirtschaftlich viele gute Jahre hinter sich – nicht zuletzt begünstigt durch eine expansive Geldpolitik der Bundesbank – und es war ebenfalls ein Krieg, der zu einer Energiekrise führte. So setzten mehrere OPEC-Staaten während des Jom-Kippur-Kriegs 1973 einen Ölboykott gegen die Verbündeten Israels ein und reduzierten die Ölproduktion um bis zu 25 Prozent.

Für die Bundesrepublik Deutschland war das ein gravierendes Problem, denn Anfang der 1970er Jahre gewann Westdeutschland rund die Hälfte seiner Energie aus Öl. Binnen kürzester Zeit vervierfachte sich der Ölpreis, der Preis für einen Liter Heizöl stieg sogar noch stärker: von rund 10 Pfennig auf 60 Pfennig. Da Energie auch schon vor einem halben Jahrhundert eine wichtige Komponente des Warenkorbs war, anhand dessen die Inflationsrate berechnet wird, stieg die Teuerung in Deutschland von knapp 2 Prozent im Jahr 1970 auf 7,9 Prozent im Dezember 1973.

Wie eine IW-Berechnung zeigt, sind für die Verbraucher in dieser Zeit die meisten Produkte trotzdem erschwinglicher geworden (Grafik):

Für fast alle Lebensmittel und sogar für Strom mussten die Westdeutschen 1974 trotz hoher Inflation weniger lange arbeiten als 1970.

So lange mussten die Bundesbürger im Durchschnitt arbeiten, um sich diese Güter leisten zu können Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Ursache dafür waren die gestiegenen Reallöhne: Zwischen 1970 bis 1974 stiegen die Nettolöhne in der Bundesrepublik Deutschland um 51 Prozent, die Verbraucherpreise dagegen „nur“ um 27 Prozent.

Dennoch war früher nicht alles besser. Dadurch, dass die Bundesbank den Leitzins zwischen 1972 und 1973 von 4 auf 13 Prozent hochsetzte, um die steigende Inflation in den Griff zu bekommen, würgte sie gleichzeitig die wirtschaftliche Entwicklung ab. Die Folgen für den Arbeitsmarkt waren verheerend: Waren im Jahr 1973 in Westdeutschland nur 273.000 Arbeitslose registriert, vervierfachte sich deren Zahl nahezu auf 1,1 Millionen Menschen im Jahr 1975.

Aktuell müssen Konsumenten mit Kaufkraftverlusten leben

Diese Gefahr besteht in Deutschland derzeit aufgrund des in vielen Branchen ausgeprägten Fachkräftemangels noch nicht. Erst, wenn Unternehmen die Investitionsspielräume ausgehen und die Produktion aus Kostengründen ins Ausland verlagert wird, sind Beschäftigungsrückgänge wahrscheinlich. Allerdings müssen Konsumenten in der aktuellen Krise – anders als vor einem halben Jahrhundert – sehr wohl Kaufkraftverluste hinnehmen.

Zwar sind die meisten Waren zwischen 1970 und heute für Verbraucher erschwinglicher geworden – besonders bei technischen Produkten wie Waschmaschinen, Kühlschränken und Fernsehern gibt es aufgrund des technischen Fortschritts Kaufkraftgewinne zu verzeichnen –, doch unterm Strich zahlt man derzeit drauf:

Die Verbraucherpreise lagen im Oktober 2022 um 16 Prozent über dem Jahresdurchschnitt 2019, die Nettolöhne wuchsen im selben Zeitraum jedoch im Mittel nur um 11 bis 12 Prozent.

Besonders stark zu spüren sind die Kaufkraftverluste bei Nahrungsmitteln, mit Ausnahme von Kartoffeln. Die Bundesregierung hat deshalb drei Entlastungspakete mit einem Gesamtvolumen von 200 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, um Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger in der aktuellen Krise zu unterstützen. Ab März 2023 soll zudem ein Gaspreisdeckel die Verbraucher vor steigenden Energiekosten schützen. Auch das gab es früher nicht: Während der Ölkrise in den frühen 1970er Jahren haben viele Mieter und Eigentümer wegen der hohen Energiepreise ihre Ölheizung einfach ausgeschaltet.

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