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Wer folgt auf „Super Mario“ in Italien?

Am 25. September stehen in Italien Neuwahlen an. Als aussichtsreichste Kandidatin für den Regierungsvorsitz gilt Giorgia Meloni von der postfaschistischen Fratelli d’Italia. Eigentlich hält die 45-Jährige nicht viel von der EU, doch das Geld für Italien aus dem EU-Wiederaufbaufonds will sie laut Wahlprogramm doch gern haben.

Kernaussagen in Kürze:
  • Am 25. September wird in Italien gewählt. Aussichtsreichste Kandidatin ist Giorgia Meloni von der postfaschistischen Fratelli d’Italia. Zusammen mit der rechtspopulistischen Lega und Berlusconis Forza Italia käme Meloni den aktuellen Prognosen zufolge auf mehr als 50 Prozent der Wählerstimmen.
  • Die drei Parteien wollen am europäischen Integrationsprozess festhalten, die EU-Wiederaufbauressourcen sollen vollständig genutzt und der Reformplan von Mario Draghi im Rahmen der dafür geltenden EU-Regularien verbessert werden.
  • Will Italien weitere Auszahlungstranchen der 191,5 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbaufonds der EU in Anspruch nehmen, muss das Land ohnehin Draghis Reformvorhaben bis 2026 sukzessive abarbeiten.
Zur detaillierten Fassung

Nach dem Rücktritt des italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi Ende Juli war die Bestürzung zunächst groß, doch längst läuft der Wahlkampf zwischen Sizilien und Südtirol auf Hochtouren – und es zeichnet sich ein Novum ab: Denn nach den Neuwahlen am 25. September könnte im Palazzo Chigi in Rom mit Giorgia Meloni erstmals eine Frau regieren.

Falls es in Italien zu einem Mitte-rechts-Bündnis kommt, wäre die Frage der Fortführung der Strukturreformen zentral – schließlich sind sie Voraussetzung dafür, dass weiter Gelder aus dem EU-Wiederaufbaufonds Richtung Rom fließen.

Meloni, die bereits in der Regierung von Silvio Berlusconi Jugend- und Sportministerin war, ist Mitgründerin und Chefin der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia und die liegt in Umfragen mit rund 25 Prozent derzeit an erster Stelle in der Wählergunst. Zusammen mit der rechtspopulistischen Lega und Berlusconis Forza Italia käme Meloni den aktuellen Prognosen zufolge auf mehr als 50 Prozent der Wählerstimmen.

Wer ist die Frau, die sich anschickt, „Super Mario“ abzulösen? Mario Draghis rigoroser Politik vertrauten immerhin 70 Prozent der Italienerinnen und Italiener, trotz einer von ihm eingeführten De-facto-Corona-Impfpflicht ab 50 Jahren. Nur wenige Wochen nach seiner Vereidigung im Februar 2021 legte Draghi den mit Brüssel vereinbarten Piano Nazionale di Ripresa e Resilienza (PNRR) vor, einen detaillierten Reformplan, der einen regelrechten Umbau des Landes mithilfe der 191,5 Milliarden Euro aus dem EU-Wideraufbaufonds vorsieht.

Melonis Gemeinsamkeiten mit Orbán

Meloni verweigerte dem PNRR im vergangenen Jahr noch ihre Zustimmung. Sie wettert gerne gegen die „Bürokraten aus Brüssel“, denn sie sieht ihre Identität als Mutter, Christin und Italienerin durch die Migration, die Genderpolitik und die EU insgesamt bedroht. Ihre europapolitischen Ideen gleichen frappierend jenen des ungarischen Premiers Viktor Orbán.

Im 15-Punkte-Plan, den das Rechtsbündnis aus Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia kürzlich vorlegte, klingt das alles nun deutlich gemäßigter: Meloni will am europäischen Integrationsprozess festhalten, die Wiederaufbauressourcen vollständig nutzen und den PNRR im Rahmen der dafür geltenden EU-Regularien verbessern. Die Umsiedlung von internationalen Institutionen auf italienisches Hoheitsgebiet soll sogar forciert werden.

Kein Wunder: Will Italien weitere Auszahlungstranchen der 191,5 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbaufonds der EU in Anspruch nehmen, muss sich das Land mehr oder weniger an Draghis Pläne halten und die von ihm vorgesehenen Reformvorhaben bis 2026 sukzessive abarbeiten.

Tatsächlich ist das Land, immerhin drittstärkste Wirtschaftskraft in der EU, zuletzt gut mit diesem Kurs gefahren (Grafik):

Im vergangenen Jahr wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Italien um annähernd 7 Prozent, selbst im zweiten Quartal 2022 lag die Wirtschaftsleistung trotz schwieriger Rahmenbedingungen nochmals um 4,6 Prozent über dem Niveau vom Frühjahr 2021.

Die wichtigsten Kennziffern zur wirtschaftlichen Lage Italiens Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Zu den positiven Konjunkturdaten haben auch die intensiven Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland beigetragen. Mit fast 143 Milliarden Euro wurde 2021 ein neuer bilateraler Handelsrekord erzielt. Deutschland war 2021 Italiens wichtigster Absatzmarkt: Knapp 13 Prozent aller Ausfuhren – darunter Maschinen, Metallwaren, Autos, Elektronik, Chemie- und Pharmaerzeugnisse sowie landwirtschaftliche Produkte, Mode und Textilien – gingen in die Bundesrepublik.

Deutschland ist Italiens wichtigster Handelspartner

Gleichzeitig war Deutschland Italiens Importquelle Nummer eins. Rund 16 Prozent aller italienischen Wareneinfuhren trugen ein „Made-in-Germany“-Siegel, darunter viele Industrieprodukte sowie Energie, Kunststoffe, Fahrzeuge, Textilien und Nahrungsmittel.

Selbst wenn die Konjunktur Italiens in der zweiten Jahreshälfte stagniert, würde 2022 unterm Strich noch ein Wirtschaftswachstum von 3 Prozent stehen – das ist fast doppelt so viel wie der für Deutschland prognostizierte BIP-Anstieg.

Doch Italien leidet unter den aktuellen Krisen genauso wie viele andere Länder: Die Inflationsrate liegt aktuell bei rund 8 Prozent – und sie trifft die Italienerinnen und Italiener besonders hart. Denn anders als in den restlichen EU-Ländern sind die Löhne in Italien seit 1990 nicht gestiegen, sondern sogar um mehr als 2 Prozent gesunken.

Die hartnäckig hohe Arbeitslosigkeit ist ebenfalls ein großes Problem in Italien, das unter anderem mithilfe der EU-Gelder – 16 Prozent fließen in den Sektor Bildung und Forschung – angegangen werden soll.

Und auch auf den Finanzmärkten gerät das hoch verschuldete Italien unter Druck (Grafik):

Die Renditen für zehnjährige italienische Staatsanleihen haben sich seit Jahresanfang von gut 1 Prozent zwischenzeitlich mehr als verdreifacht. Rendite für zehnjährige Staatsanleihen in Prozent Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Ob die Zinsen weiter steigen werden, hängt nicht zuletzt vom Wahlergebnis am 25. September ab. Falls es zu einem Mitte-rechts-Bündnis kommt, wäre die Frage der Fortführung der Strukturreformen zentral – schließlich sind sie Voraussetzung dafür, dass weiter Gelder aus dem EU-Wiederaufbaufonds Richtung Rom fließen. Doch noch ist das alles nur ein Gedankenspiel: Im August stellten laut sämtlichen Meinungsforschungsinstituten nämlich die Nichtwähler und Unentschlossenen mit rund 40 Prozent die größte Gruppe in Italien.

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