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des Instituts der deutschen Wirtschaft

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Tarifbindung Lesezeit 3 Min.

Tarifverträge: Vom Ablehnen und Anlehnen

Seit 150 Jahren gibt es Flächentarifverträge in Deutschland. Das IW hat nun untersucht, warum Unternehmen auch heute noch an den Rahmenvereinbarungen festhalten und welche Rolle Tarife auch für nicht tarifgebundene Betriebe spielen.

Kernaussagen in Kürze:
  • 21 Prozent der Unternehmen in Deutschland sind tarifgebunden, weitere 32 Prozent orientieren sich an einem Flächentarifvertrag.
  • Für 37 Prozent bietet die eigene Tarifbindung eine sichere Kalkulationsgrundlage. 32 Prozent sehen die Fachkräftesicherung durch standardisierte Löhne als Pluspunkt.
  • Es ist zu erwarten, dass sich nicht tarifgebundene Unternehmen künftig noch stärker am Tariflohn orientieren, um im Wettkampf um die besten Arbeitskräfte mithalten zu können.
Zur detaillierten Fassung

Einschaltung des Arbeitsgerichts bei der Bahn, Warnstreiks im öffentlichen Dienst, im Handel oder in der Süßwarenindustrie, Urabstimmung bei der Deutschen Post – in diesem Jahr ringen Gewerkschaften und Arbeitgeber heftig um Tarifabschlüsse. Aber auch wenn die Tarifpolitik aufgrund der hohen Inflation und den daraus resultierenden Lohnforderungen gerade medial im Fokus steht, darf eines nicht in Vergessenheit geraten – die Bindung an Tarifverträge in Deutschland hat seit den 1990er Jahren stark nachgelassen:

War in Westdeutschland damals noch mehr als jeder zweite Betrieb an einen Flächentarifvertrag gebunden, lag der Anteil im Jahr 2021 nur noch bei 25 Prozent.

In Ostdeutschland verringerte sich die Tarifbindung von zwischenzeitlich fast 30 auf 15 Prozent.

Bereits im Jahr 2014 wollte die damalige Große Koalition unter Führung der Union diesem Trend entgegenwirken und verabschiedete das sogenannte Tarifautonomiestärkungsgesetz, das unter anderem den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn etablierte.

21 Prozent der Unternehmen in Deutschland sind tarifgebunden, weitere 32 Prozent orientieren sich an einem Flächentarifvertrag.

Die Ampel-Parteien beabsichtigen nun, mit einem Bundestariftreuegesetz die Tarifbindung zu stärken. Die Idee hinter der neuen Initiative: Öffentliche Aufträge werden künftig an die Einhaltung tarifvertraglicher Regelungen gekoppelt.

Die Politik will dadurch Druck auf die Unternehmen ausüben, sich einem Flächen- oder Haustarif anzuschließen. Sie vergisst allerdings, entscheidende Fragen zu stellen: Wie attraktiv ist eine Tarifbindung für Firmen überhaupt?

Um diese Frage zu beantworten, hat das Institut der deutschen Wirtschaft die Antworten von fast 800 Unternehmen ausgewertet, die im Rahmen des IW-Personalpanels im Frühjahr 2022 erhoben wurden. Die Ergebnisse bestätigen zunächst, dass die Tarifbindung in Deutschland generell nicht mehr allzu stark ausgeprägt ist (Grafik):

21 Prozent der Unternehmen sind tarifgebunden – 16 Prozent davon an einen Flächentarifvertrag und 5 Prozent an einen Haustarifvertrag.

So viel Prozent der Unternehmen dieser Branchen in Deutschland sind tarifgebunden oder orientieren sich an einem Flächentarifvertrag Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Das Interessante: Knapp ein Drittel der befragten Firmen hat zwar keinen Flächentarifvertrag, orientiert sich aber an einem. Somit ist der tarifliche Einfluss deutlich größer als zunächst erkennbar. Insgesamt bieten die Rahmenverträge demnach mehr als der Hälfte aller Betriebe eine unternehmerische Hilfe.

Eine vergleichsweise hohe Tarifbindung gibt es im Produzierenden Gewerbe mit 26 Prozent, im Sektor Groß-/Einzelhandel und Logistik trifft das dagegen nur auf 16 Prozent der befragten Unternehmen zu. Grundsätzlich nutzen größere Firmen häufiger Tarifverträge oder orientieren sich an ihnen. In der Befragung galt das für 82 Prozent der Unternehmen mit 250 oder mehr Mitarbeitern. Von den Betrieben mit bis zu 50 Mitarbeitern hatte nur gut die Hälfte einen Tarifvertrag oder lehnte sich an die Regeln eines bestehenden an.

Grundsätzlich gilt: Der Vorteil einer Tarifbindung lässt sich nicht objektiv messen. Von daher ist es wichtig zu erfahren, aus welchen Motiven sich Arbeitgeber auf Tarife einlassen. Im Rahmen des IW-Personalpanels haben sich 201 an einen Flächentarif gebundene Unternehmen dazu geäußert. Das Ergebnis (Grafik):

Für 37 Prozent bietet die eigene Tarifbindung eine sichere Kalkulationsgrundlage.

So viel Prozent der Unternehmen in Deutschland, die einen Flächentarifvertrag nutzen, tun dies aus folgenden Gründen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Ein zusätzliches Motiv ist für ein knappes Drittel, dass standardisierte Löhne und Arbeitszeiten die Gefahr verringern, Fachkräfte durch Abwerbungen zu verlieren. Weitere wichtige Gründe für den Tarifvertrag sind Tradition (29 Prozent) und die Möglichkeit, Konflikte auf der überbetrieblichen Ebene zu regeln und sie dadurch aus dem eigenen Betrieb herauszuhalten (28 Prozent). Druck, den etwa die Forderungen der Gewerkschaft oder der organisierten Belegschaft ausüben, spielt dagegen eine untergeordnete Rolle.

Die intrinsische Motivation der Unternehmen, durch die Tarifbindung Fachkräfte im Unternehmen halten zu können, dürfte sich angesichts der wachsenden Fachkräftelücke in den kommenden Jahren erhöhen.

Der Fachkräftemangel wird sich auch auf die nicht tarifgebundenen Unternehmen auswirken. Es ist zu erwarten, dass sie sich künftig noch stärker am Tariflohn orientieren, um im Wettkampf um die besten Arbeitskräfte mithalten zu können. Denn die Löhne in tarifgebundenen Betrieben sind im Durchschnitt etwas höher. Eine zunehmende Orientierung an Tariflöhnen muss aber nicht bedeuten, dass sich Betriebe ohne Tarifvertrag auch für den Einstieg in einen Flächentarifvertrag entscheiden.

Die politische Debatte sollte sich daher davon lösen, auf die formale Flächentarifbindung zu schauen. Auch eine Haustarifbindung oder eine Orientierung am Flächentarifvertrag kann zu fairen Arbeitsbedingungen führen – zumal die tarifgebundenen Unternehmen aufgrund von Öffnungsklauseln, die es ihnen erlauben, in einzelnen Punkten vom Tarifvertrag abzuweichen, keinesfalls eine homogene Gruppe darstellen.

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