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Sollten Unternehmen mehr Homeoffice anbieten?

In der Pandemie haben Firmen und Angestellte das Homeoffice schätzen gelernt. Doch sollten Mitarbeiter künftig weitgehend eigenverantwortlich darüber entscheiden, von wo sie arbeiten? Michael Voigtländer, Immobilienexperte und Kompetenzfeldleiter im IW, ist dafür; IW-Direktor Michael Hüther wirbt dagegen für die Rückbesinnung auf die Stärken der Bürogemeinschaft.

Kernaussagen in Kürze:
  • Sollen die Unternehmen mehr Homeoffice wagen? Ja, sagt IW-Kompetenzfeldleiter Michael Voigtländer, denn es funktioniert und erhöht Motivation und Produktivität.
  • Nein, entgegnet IW-Direktor Michael Hüther, denn Innovationen erfordern das physische Zusammentreffen von Menschen, ihr gemeinsames Denken und Fühlen einschließlich kontroverser Diskussionen und Reibereien.
  • Einig sind sich beide darin, dass das mobile Arbeiten den Beschäftigten mehr Flexibilität verschafft.
Ja,
sagt
Michael Voigtländer,

Leiter des Kompetenzfelds Finanzmärkte und Immobilienmärkte

Die verschiedenen Lockdowns im vergangenen und in diesem Jahr zwangen Unternehmen zu einem großen sozialen Experiment: Statt vom Büro aus musste ein Großteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten. Und das für viele überraschende Ergebnis: Es hat funktioniert. Einige Branchen berichten sogar von Produktivitätsgewinnen, in anderen gab es zumindest keine signifikanten Verschlechterungen.

Wie geht man nun mit diesen Erfahrungen um? Gezeigt hat sich, dass mobiles Arbeiten bei einer ganzen Reihe von Tätigkeiten gut funktioniert, viele Mitarbeiter berichten, dass sie zu Hause konzentrierter arbeiten können. Wieder andere Beschäftigte lehnen das Homeoffice grundsätzlich ab. Es spricht daher viel dafür, einen bunten Mix an Arbeitsmöglichkeiten zuzulassen.

Homeoffice funktioniert. Einige Branchen berichten sogar von Produktivitätsgewinnen.

Das Büro wird für viele Mitarbeiter ein zentraler Arbeitsort bleiben und für alle direkte Kommunikationsmöglichkeiten bieten – zumal die wenigsten dauerhaft auf den persönlichen Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen verzichten wollen. Ein ausschließliches Homeoffice wird daher die Ausnahme bleiben. Doch nun wieder all jene vollzählig ins Büro zu zwingen, die gut und produktiv zu Hause arbeiten, kann Motivation und auch Produktivität kosten.

Nicht zuletzt ist für viele das Homeoffice eine Erleichterung, weil sie sich so zumindest an einigen Tagen das Pendeln sparen – Zeit, die sie auch für Mehrarbeit nutzen. So verschieden wie die Menschen sind, so unterschiedlich sind letztlich auch die Rahmenbedingungen, die sie benötigen, um bestmöglich zu arbeiten. Dieses Produktivitätspotenzial sollte nicht unbeachtet bleiben.

Natürlich stellt mehr mobiles Arbeiten die Unternehmen vor Herausforderungen: Wenn ein Teil der Beschäftigten künftig zwei, drei oder sogar noch mehr Tage zu Hause arbeitet, müssen Bürobelegungen besser geplant, Meetings verbindlicher festgelegt und Führung neu gedacht werden. Auch der Erhalt der Corporate Identity ist eine Herausforderung, neue Formate und gemeinsame Veranstaltungen werden wichtiger.

Doch Unternehmen profitieren nicht nur davon, dass Mitarbeiter motivierter und produktiver sind, sie können auch ihre Büros flexibler nutzen, manche Unternehmen werden Flächen einsparen können oder im Fall einer Expansion nicht neue anmieten müssen. Darüber hinaus wird die Suche nach Fachkräften einfacher, da die Nähe zum Arbeitsplatz an Bedeutung verliert.

Ohnehin stellt sich die Frage, ob sich Unternehmen den Arbeitsplatzwünschen ihrer Mitarbeiter angesichts der großen Fachkräfteengpässe entziehen können, die sich noch verstärken werden – aufgrund der demografischen Entwicklung. Zu diesem Gedanken passt auch die folgende Entwicklung in den USA: Nachdem die US-Banken JP Morgan und Goldman Sachs ihre Beschäftigten in New York mit Nachdruck aufgefordert haben, wieder vollzählig ins Büro zurückzukehren, fangen die europäischen Banken am Standort New York nun an, den US-Banken Mitarbeiter mit der Aussicht auf mehr mobiles Arbeiten abzuwerben.

Nein,
sagt
Michael Hüther,

Direktor und Mitglied des Präsidiums

Never waste a good crisis? An diesen Winston Churchill zugeordneten Spruch muss sich erinnert fühlen, wer die fast begeisterungsgetragene Forderung nach mehr Homeoffice oder gar einer Homeoffice-Pflicht vernimmt, die nach dem langen Lockdown und der politischen Aufforderung dazu nun in das neue Normal hinübergerettet werden soll. Vieles muss bedacht werden, was hier nur angedeutet werden kann.

Welche Bedeutung hat grundsätzlich das Unternehmen als Arbeitsort? Wir Ökonomen wissen, dass Innovationen – abgesehen vom Tüftler in der heimischen Garage – das physische Zusammentreffen von Menschen, ihr gemeinsames Denken und Fühlen inklusive kontroverser Diskussionen und Reibereien erfordern. Und zwar beiläufig wie organisiert. Die Reduzierung des Miteinanders auf feste Termine führt zu Verlusten – bei der Innovationskraft, bei der sozialen Bindung, bei der Reaktionsmöglichkeit des Arbeitgebers auf individuelle Krisen.

Es geht nicht darum, das Homeoffice zu verdammen, aber doch darum, den Preis zu erkennen, wenn man dabei Maß und Mitte aus dem Auge verliert.

Was folgt aus umfangreichem und dazu noch völlig selbstbestimmtem Homeoffice für das betriebliche Miteinander? Vielfältige Spaltungspotenziale sind zu bedenken: zwischen Produktion und Verwaltung, zwischen experimentellen Aufgaben im Labor und Routinetätigkeiten, zwischen vertraulicher Arbeit und jenen Tätigkeiten, für die das nicht gilt, sowie zwischen Führungskräften und Mitarbeitern. Belegschaftsgruppen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten sind vorstellbar.

Was bedeutet ein umfangreiches und selbstbestimmtes Homeoffice für die Steuerung im Unternehmen? Es muss sehr viel stärker auf Ergebnisindikatoren mit laufendem Monitoring gesetzt werden, die Dokumentationsroutinen werden zunehmen. Denn was im Unternehmen durch das wiederholte, auch zufällige Gespräch an Wahrnehmung über die Arbeit der Kollegin oder des Mitarbeiters entsteht, das kann in einer Homeoffice-Welt nur durch formale Lösungen erreicht werden.

Und nicht zuletzt: Unternehmenskultur als informelle Steuerung, in der sich die impliziten Werthaltungen, Traditionen und Umgangsformen manifestieren, beruht auf dem Zusammensein am Arbeitsort, auf dem Erleben des anderen in all seinen Dimensionen. Findet dies nur noch organisiert über Feiern und Ausflüge statt, dann kann es die traditionelle Bedeutung nicht mehr erhalten. Fluide Belegschaften erlangen ihre Identität dann auch nicht über eine Feierkultur, sondern nur über eine Unternehmenskultur, die Freud und Leid, Kooperation und Konflikt zu adressieren vermag.

Nun geht es nicht darum, das Homeoffice zu verdammen, aber doch darum, den Preis zu erkennen, wenn man dabei Maß und Mitte aus dem Auge verliert. Mobiles Arbeiten verschafft dem gehetzten Menschen unserer Zeit Flexibilität, doch Stabilität und Orientierung, die dieser genauso benötigt, erfährt er in geordneten sozialen, zeitlichen und räumlichen Strukturen. Unternehmen werden sich verändern, aber das wird nur gelingen, wenn klar ist, wo Arbeit primär stattfindet: nämlich im Unternehmen als Ort und nicht in der Privatheit. Dann kann das Unternehmen eher zum Erlebnisort werden und damit seine nicht kompensierbaren Funktionen stärken.

 

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