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Schwache Investitionen verringern Wachstumspotenzial der Wirtschaft

Die Folgen der Corona-Pandemie haben die Investitionskonjunktur in Deutschland nachhaltig geschwächt. Der russische Angriff auf die Ukraine hat viele Investitionshemmnisse noch einmal verstärkt. Mit Blick auf den längerfristigen Spielraum für das Produktions- und Produktivitätswachstum in Deutschland lässt das nichts Gutes erahnen.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die Folgen der Corona-Pandemie haben die Investitionskonjunktur in Deutschland nachhaltig geschwächt – im zweiten Quartal 2022 lagen die realen Ausrüstungsinvestitionen um mehr als 8 Prozent unter dem Niveau des Frühjahrs 2019.
  • Der Ukraine-Krieg hat die Investitionsbedingungen nun nochmals verschlechtert, die Unternehmen nennen als negative Einflussfaktoren vor allem die gestiegenen Energiekosten, die Probleme bei der Energieversorgung sowie die allgemeine weltwirtschaftliche Unsicherheit.
  • Damit vergrößert sich die Gefahr, dass die deutsche Wirtschaft unter anderem den digitalen Wandel und die Klimawende nicht ausreichend vorantreibt und im globalen Wettbewerb an Boden verliert.
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Kaum erholt – das mag sich nicht nur so mancher nach der Rückkehr aus dem Sommerurlaub denken. Der Befund gilt auch für die aktuelle Lage der deutschen Wirtschaft. Sie ringt darum, die Einbrüche aus der Corona-Pandemie wettzumachen, und muss seit einem halben Jahr auch noch mit den Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine zurechtkommen.

Ein wichtiger Indikator für die wirtschaftliche Schwäche sind die Investitionen. Vor allem bei den Ausrüstungsinvestitionen, zu denen im Wesentlichen Maschinen, Geschäftsausstattungen und gewerblich genutzte Fahrzeuge zählen, ist die durch die Pandemie gerissene Lücke noch längst nicht geschlossen (Grafik):

Im zweiten Quartal 2022 lagen die realen Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland mehr als 8 Prozent unter dem Niveau des Frühjahrs 2019, als der vergangene Investitionszyklus seinen Höhepunkt erreichte.

Preis-, saison- und arbeitstäglich bereinigte Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland, 4. Quartal 2019 = 100 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Das Problem ist allerdings noch gravierender, als es diese Investitionslücke vermuten lässt. Denn die vielen nicht getätigten Investitionen seit Beginn der Corona-Pandemie kumulieren sich zu einem erheblichen Investitionsrückstand. Einer Modellrechnung des IW zufolge wären die gesamten Investitionen in Deutschland in den zurückliegenden drei Jahren um gut 70 Milliarden Euro höher ausgefallen, wenn es weder die Pandemie noch den Ukraine-Krieg gegeben hätte.

Investitionsschwäche hat langfristige Folgen

Diese ausgebliebenen Investitionen bremsen nicht nur die aktuelle Konjunktur, sie schmälern auch langfristig den gesamtwirtschaftlichen Kapitalstock und damit den künftigen Spielraum für das Produktions- und Produktivitätswachstum in Deutschland. Das ist umso bedenklicher, als die Herausforderungen durch den demografischen Wandel, die Digitalisierung und die Dekarbonisierung – also den Umstieg von fossilen Energien auf eine emissionsärmere oder klimaneutrale Produktionsweise – nur mit einem hohen Investitionstempo zu bewältigen sind.

Die Hintergründe der aktuellen Investitionsschwäche lassen sich mithilfe der jüngsten IW-Konjunkturumfrage genauer beleuchten (siehe "Ukraine-Krieg dämpft die Erwartungen der Unternehmen"). Denn die Unternehmen wurden auch danach gefragt, welche Faktoren aus ihrer Sicht ganz allgemein die Investitionstätigkeit ankurbeln beziehungsweise hemmen.

Der wichtigste Investitionstreiber ist demnach die Digitalisierung:

Für 60 Prozent der vom IW befragten Firmen ist der Trend zur digitalen Wirtschaft Anlass für zusätzliche Investitionen, nur 8 Prozent reagieren mit einem Investitionsrückgang.

Ein weiteres Motiv, die Investitionen zu steigern, ist die Dekarbonisierung – wenn auch in deutlich schwächerem Ausmaß. Immerhin 35 Prozent der Unternehmen investieren mehr, um beispielsweise ihre Produktionsprozesse emissionsärmer zu gestalten. Lediglich 12 Prozent der Betriebe sagen, dass von der Dekarbonisierung ein negativer Investitionsanreiz ausgeht.

Viele andere Faktoren werden von den Unternehmen mehrheitlich als Investitionshemmnis eingestuft:

Der stärkste negative Einfluss auf die Investitionen geht aktuell von der weltwirtschaftlichen Unsicherheit, Lieferkettenstörungen und den Arbeitskosten aus.

Der Saldo aus dem Anteil der Unternehmen, die in diesen Faktoren eine Investitionshürde sehen, und dem Anteil jener, die den Investitionseffekt als positiv bewerten, beträgt jeweils mehr als 60 Prozentpunkte. Mit mindestens 50 Prozentpunkten kaum geringer ist der Saldo bei den Einflussgrößen Energiekosten und -versorgung sowie dem Personalmangel. Auch die Corona-Pandemie wirkt für rund die Hälfte der befragten Unternehmen nach wie vor als nennenswerte Investitionsbremse.

Fast sieben von zehn Unternehmen geben an, dass die durch den Ukraine-Krieg dramatisch gestiegenen Energiekosten ihre Wettbewerbsfähigkeit verschlechtert und dadurch die Investitionstätigkeit gebremst haben.

Der Krieg in der Ukraine vergrößert die wirtschaftliche Unsicherheit noch weiter und bürdet den Unternehmen zusätzliche Anpassungslasten auf. Auf viele der relevanten Investitionsfaktoren wirkt sich der Krieg negativ aus (Grafik):

Fast sieben von zehn Unternehmen geben an, dass die dramatisch gestiegenen Energiekosten ihre Wettbewerbsfähigkeit verschlechtert und dadurch die Investitionstätigkeit gebremst haben.

So viel Prozent der Unternehmen in Deutschland erwarten durch den Ukraine-Krieg einen negativen bzw. positiven Einfluss auf diese Investitionsfaktoren Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Für etwa 60 Prozent der Firmen haben sich die Investitionsbedingungen verschlechtert, weil der Ukraine-Krieg die Probleme bei der Energieversorgung in Deutschland verschärft, die weltpolitische Lage noch unsicherer gemacht und zu weiteren Störungen der internationalen Lieferketten geführt hat.

Zudem hat der Faktor Arbeitskosten weiter an Relevanz gewonnen – vor allem für die deutsche Industrie, die ohnehin im internationalen Wettbewerb seit Langem einen Arbeitskostennachteil hat und nun die zusätzliche Bürde der höheren Energiepreise tragen muss.

Die wenigen positiven Effekte auf die Investitionsbereitschaft dürften vor allem darauf zurückzuführen sein, dass die Unternehmen infolge des Kriegs mehr Geld in Maßnahmen zur Energieeinsparung stecken oder für Cybersecurity ausgeben.

Insgesamt trüben die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs die Investitionsperspektiven weiter ein. Somit vergrößert sich die Gefahr, dass die deutsche Wirtschaft unter anderem den digitalen Wandel sowie die Klimawende nicht ausreichend vorantreibt und im globalen Wettbewerb an Boden verliert.

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