IW-Konjunkturumfrage Lesezeit 4 Min.

Ukraine-Krieg dämpft die Erwartungen der Unternehmen

Der anhaltende Krieg in der Ukraine schwächt die Konjunktur in Deutschland erheblich, eine Rezession ist nicht mehr auszuschließen. Die Verunsicherung ist in jedem Fall groß. Dennoch: Die vom Institut der deutschen Wirtschaft im Juni befragten Unternehmen gehen für 2022 nach wie vor mehrheitlich von einer besseren Geschäftsentwicklung aus als im von Corona geprägten Vorjahr.

Kernaussagen in Kürze:
  • Weil sich die deutsche Wirtschaft zuletzt von den Corona-Lockdowns erholt hat, beurteilen die Unternehmen ihre aktuelle Lage verglichen mit dem Vorjahr als deutlich besser.
  • Die Erwartungen für den weiteren Jahresverlauf sind jedoch aufgrund des Ukraine-Kriegs deutlich gedämpft, auch wenn die Unternehmen per saldo noch von einem Anstieg der Produktion ausgehen.
  • Besonders skeptisch zeigen sich die Bauwirtschaft sowie die Unternehmen in den Regionen Deutschlands, die besonders eng in den Handel mit den mittel- und osteuropäischen Volkswirtschaften eingebunden sind.
Zur detaillierten Fassung

Ein Ende des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist derzeit nicht absehbar, die Belastungen für die Konjunktur in Deutschland und anderswo haben sich im Lauf der vergangenen Monate verfestigt. Ein wesentlicher Krisenfaktor ist die Gefahr, dass Energie- und Rohstofflieferungen ausbleiben. Die damit verbundenen Preiseffekte sind bereits deutlich spürbar. Schon im Frühjahr erwarteten mehr als 90 Prozent der vom IW befragten Unternehmen bis zum Jahresende starke oder mittlere Preiseffekte aufgrund der steigenden Energie- und Rohstoffkosten. Mehr als 80 Prozent der Firmen befürchteten zudem mittelfristig höhere Erzeugerpreise infolge steigender Arbeitskosten.

All diese Faktoren schlagen sich auch in der aktuellen IW-Konjunkturumfrage wider, für die im Juni fast 2.300 Unternehmen befragt wurden. Die Ergebnisse im Detail:

  • Geschäftslage besser als im Sommer 2021. Auch wenn sich die Einschätzungen gegenüber dem Herbst eingetrübt haben, stufen die meisten Firmen die aktuelle Situation im Vergleich zum von Corona geprägten Vorjahr doch als besser ein (Grafik):

Knapp vier von zehn Unternehmen berichten von einer günstigeren Produktionslage als vor einem Jahr, lediglich jeder fünfte Betrieb meldet eine Verschlechterung.

So viel Prozent der Unternehmen schätzen die Lage und die Geschäftsentwicklung für 2022 wie folgt ein Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Ganz ähnlich sieht die Momentaufnahme mit Blick auf Investitionen und Beschäftigung aus.

  • Erwartungen deutlich gedämpft. Der Ukraine-Krieg lässt die Unternehmen zwar mit großen Sorgen auf den weiteren Jahresverlauf blicken. Da in der IW-Umfrage jedoch stets ein Vergleich mit dem Vorjahr vorgenommen wird und 2021 durch coronabedingte Produktionsstörungen sowie Lockdown-Maßnahmen gekennzeichnet war, fallen die Zahlen noch relativ gut aus:

Immerhin 37 Prozent der Unternehmen rechnen für das Gesamtjahr 2022 mit einem höheren Produktionsvolumen als 2021, 25 Prozent erwarten einen Rückgang.

Infolge der Pandemie haben die Unternehmen viele Investitionen aufgeschoben. Einiges davon wird nun nachgeholt, doch von einem Investitionsboom kann angesichts der aktuellen geopolitischen Belastungen nicht die Rede sein – 36 Prozent der Firmen gehen für das laufende Jahr von einem Investitionsplus aus, 25 Prozent werden ihre Ausgaben für neue Maschinen und andere Anschaffungen voraussichtlich reduzieren.

Die Beschäftigungsperspektiven sind längst nicht mehr so rosig wie noch im vergangenen Sommer. Dennoch bleiben die Unternehmen – vor allem angesichts der insgesamt noch positiven Produktionserwartungen – unterm Strich noch zuversichtlich. So geht ein Drittel der Firmen davon aus, dass die Zahl ihrer Mitarbeiter 2022 steigen wird, während ein Fünftel mit einem Personalbbau rechnet.

  • Aussichten je nach Wirtschaftszweig sehr unterschiedlich. Die im Herbst 2021 noch recht optimistische deutsche Industrie sah sich nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs im Frühjahr am Rande einer Rezession. Inzwischen haben die Unternehmen ihre Einschätzungen ein wenig relativiert (Grafik):

Immerhin 44 Prozent der Industrieunternehmen rechnen für 2022 mit einem Produktionsanstieg. Allerdings sind weiterhin 28 Prozent der Betriebe aus diesem Wirtschaftszweig pessimistisch.

So viel Prozent der Unternehmen in Deutschland erwarten für das Gesamtjahr 2022 gegenüber 2021 diese Entwicklung der Produktion, Investitionen und Beschäftigung Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Nach wie vor droht der Industrie in Deutschland ein Stagnationsjahr. Die im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit bestehende Produktionslücke von zuletzt gut 6 Prozent dürfte damit in diesem Jahr nicht weiter geschlossen werden.

Auch die Dienstleister blicken mit spürbar weniger Zuversicht nach vorn als im Herbst 2021. Unterm Strich rechnet der Wirtschaftsbereich, der in den vergangenen beiden Jahren erheblich unter den Corona-Einschränkungen zu leiden hatte, zwar noch überwiegend mit einem Aufwärtstrend. Den Unternehmen macht jedoch fehlendes Personal ebenso zu schaffen wie die allgemeine Verunsicherung der Kunden sowie die gegenwärtigen Preissteigerungen, die sich in einer zurückhaltenden Nachfrage niederschlagen. Das beeinflusst auch die Investitionspläne, die per saldo nur noch moderat expansiv sind:

34 Prozent der Unternehmen im Servicesektor wollen 2022 mehr investieren als im Vorjahr, doch 23 Prozent werden voraussichtlich den entsprechenden Etat kürzen.

In der Bauwirtschaft, die bis zuletzt auf Wachstumskurs war und lange Zeit vergleichsweise unbeschadet durch die Corona-Pandemie gekommen ist, hat sich das Erwartungsbild noch deutlicher verdüstert. Materialengpässe und die damit einhergehenden massiven Produktionseinschränkungen bremsen die wirtschaftlichen Aktivitäten. Hinzu kommen die Kostenanstiege für Baumaterial und Energie, die sich ebenfalls negativ auf die Baukonjunktur auswirken.Demzufolge ist inzwischen nur noch ein Viertel der Baufirmen in Sachen Produktionsentwicklung zuversichtlich, ein Drittel dagegen geht für das laufende Jahr von einem Rückgang aus. Und bei den Investitionen überwiegt die Skepsis jetzt noch deutlicher als bereits im Frühjahr.

  • Deutliche Abweichungen zwischen den Regionen. Dort, wo Industriezweige wie die Automobilbranche und ihre Zulieferer dominieren, bestimmt die Erholung nach den coronabedingten Einbrüchen noch immer das Umfragebild. Allerdings begrenzen vielerorts die erneuten Produktionsprobleme unter anderem im Automobilsektor das Aufholpotenzial. Gleichwohl geht vor allem in Bayern die deutliche Mehrzahl der Unternehmen für 2022 von einem Produktionsplus aus – 46 Prozent Optimisten stehen dort nur 21 Prozent Skeptiker gegenüber. Auch in den nordöstlichen Bundesländern – Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt – überwiegt mit 38 zu 19 Prozent inzwischen wieder die Zuversicht. Die Folgelasten des Ukraine-Kriegs, die aufgrund der relativ engen Verflechtungen mit Russland und dem Ostseeraum noch im Frühjahr als erheblich eingeschätzt wurden, stufen die Unternehmen in der Region Nord-Ost nun offenbar nicht mehr als so dramatisch ein. Einen negativen Erwartungssaldo haben dagegen mittlerweile die Unternehmen in Sachsen und Thüringen, was sich aus der verhältnismäßig starken Einbindung dieser Region in den Handel mit den mittel- und osteuropäischen Volkswirtschaften erklären lässt.

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