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Interview: „Reichtum liegt häufig im Auge des Betrachters“

Wer in Deutschland zu den einkommensreichsten 10 Prozent gehört, ist letztlich eine rein statistische Einstufung. Subjektiv wird Reichtum aber sehr unterschiedlich eingeschätzt, sagt Judith Niehues, Verteilungsexpertin im Institut der deutschen Wirtschaft.

Kernaussagen in Kürze:
  • Fakten und die subjektive Wahrnehmung driften beim Thema Reichtum oft weit auseinander, meint IW-Verteilungsexpertin Judith Niehues im iwd-Kommentar.
  • So besteht „echter“ Reichtum in den Augen vieler nur dann, wenn Personen neben hohen Einkommen auch sehr hohe Vermögen besitzen – zu den „wirklich“ Reichen zählt dann aber nur eine kleine Teilgruppe der einkommensstärksten 10 Prozent.
  • Gleichzeitig vermuten die Bundesbürger jedoch laut einer Befragung, dass 25 Prozent der Bevölkerung aufgrund ihrer Einkommens- und Vermögenssituation als reich gelten.
Zur detaillierten Fassung

Die Veröffentlichung von Schwellenwerten zur Einkommensverteilung sorgt regelmäßig für erregte Gemüter. Ab wann jemand zu den einkommensstärksten 10 Prozent der Bevölkerung zählt, ist jedoch zunächst nur eine statistische Einteilung: Wenn alle Einkommen der Höhe nach sortiert werden, gibt es zwangsläufig einen Einkommenswert, ab dem man zu den rund acht Millionen Menschen Deutschlands mit den höchsten Einkommen zählt.

„Echter“ Reichtum besteht in den Augen vieler nur dann, wenn Personen neben hohen Einkommen auch sehr hohe Vermögen besitzen – zu den „wirklich“ Reichen zählt dann nur eine kleine Teilgruppe der einkommensstärksten 10 Prozent.

Dass besonders viele einkommensstarke Menschen in Paarhaushalten leben, in denen keine Kinder (mehr) wohnen, erklärt sich vorrangig aus zwei Gründen: Wenn die Kinderbetreuung nicht (mehr) im Vordergrund steht, können beide Erwachsene einfacher in Vollzeit erwerbstätig sein. Gegenüber Singlehaushalten haben zusammenlebende Paare zudem den Vorteil, dass sie vom gemeinsamen Wirtschaften profitieren, sich also gewisse Dinge teilen – ihre Pro-Kopf-Einkommensgrenzen für das reichste Zehntel liegen entsprechend niedriger. Da das Einkommen im Erwerbsverlauf typischerweise ansteigt, findet man vor allem HIKOs im oberen Einkommensbereich – also ältere Haushalte, bei denen die Kinder bereits ausgezogen sind (High Income, Kids Out).

Judith Niehues ist Verteilungsexpertin im Institut der deutschen Wirtschaft; Foto: IW Medien Dennoch sind die einkommensreichsten 10 Prozent eine ziemlich heterogene Gruppe und die Lebenssituation der wirklich Hochvermögenden dürfte sich substanziell von der Lebenswirklichkeit derjenigen unterscheiden, die nur knapp die Schwelle zu den einkommensreichsten 10 Prozent überschreiten. „Echter“ Reichtum besteht in den Augen vieler nur dann, wenn Personen neben hohen Einkommen auch sehr hohe Vermögen besitzen – zu den „wirklich“ Reichen zählt dann nur eine kleine Teilgruppe der einkommensstärksten 10 Prozent. Gleichzeitig vermuten die Bundesbürger jedoch laut einer Befragung, dass 25 Prozent der Bevölkerung aufgrund ihrer Einkommens- und Vermögenssituation als reich gelten.

Dass Einschätzungen zum Reichtum sehr subjektiv sind, zeigen auch die Reaktionen auf kürzlich veröffentlichte Einkommensgrenzen in einer OECD/Bertelsmann-Mittelschichtsstudie: So äußern in den sozialen Medien viele Menschen ihr Unverständnis darüber, dass eine Familie mit zwei Kindern unter14 Jahren und einem Haushaltsnettoeinkommen in Höhe von 8.000 Euro der Studie zufolge noch zur Mittelschicht zählt. Der Einkommensbetrag entspricht aber ziemlich genau der haushaltsspezifischen Grenze zu den einkommensreichsten 10 Prozent. Für viele, die deutlich weniger Einkommen zur Verfügung haben, kann ein solcher Schwellenwert also durchaus Reichtum bedeuten.

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