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Polen: Regierung muss Wirtschaftswachstum wiederbeleben

Wer auch immer als Sieger aus der bevorstehenden Parlamentswahl hervorgeht: Die künftige polnische Regierung steht vor großen wirtschaftspolitischen Herausforderungen. Um an die Wachstumserfolge früherer Jahre anknüpfen zu können, muss die Politik neue Impulse setzen – und die Konflikte mit der EU ausräumen.

Kernaussagen in Kürze:
  • Polen hat in den vergangenen Jahrzehnten eine beeindruckende Wachstumsbilanz erzielt, die reale Wirtschaftsleistung ist von 1991 bis 2022 um fast 250 Prozent gestiegen.
  • Die künftige Regierung wird allerdings einiges tun müssen, um die zuletzt unter Druck geratene Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.
  • Zudem gilt es, einige strukturelle Herausforderungen zu bewältigen. Die dafür nötigen Mittel könnten zum Teil von der EU kommen – dafür müsste die polnische Regierung aber ihre Streitigkeiten mit Brüssel beilegen.
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Rund 30 Millionen wahlberechtigte Polinnen und Polen entscheiden am 15. Oktober darüber, wer ihr Land in den kommenden vier Jahren regiert. Die Frage, wie sich Polen unter der künftigen Regierung wirtschaftlich entwickeln wird, ist auch für Deutschland und Europa insgesamt relevant. Denn das Land ist inzwischen gemessen am Bruttoinlandsprodukt die sechstgrößte Volkswirtschaft der Europäischen Union. Die Wachstumsbilanz ist beeindruckend (Grafik):

Von 1991 bis 2022 ist die reale Wirtschaftsleistung Polens um fast 250 Prozent gestiegen – in Ungarn und Tschechien legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) preisbereinigt nur um rund 100 Prozent zu.

Reales Bruttoinlandsprodukt von Polen, Ungarn, Tschechien, Deutschland und der EU-15, 1991 = 100 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich Polen zunehmend in die internationalen Wertschöpfungsketten integriert. Mit Exporten im Wert von zuletzt 343 Milliarden Euro und Importen von 363 Milliarden Euro hat sich das Handelsvolumen allein seit 2002 versiebenfacht. Deutschland ist mit einem Anteil am polnischen Außenhandel von rund 27 Prozent der bei Weitem wichtigste Kunde und Lieferant der polnischen Wirtschaft.

Von 1991 bis 2022 ist die reale Wirtschaftsleistung Polens um fast 250 Prozent gestiegen – in Ungarn und Tschechien legte das Bruttoinlandsprodukt preisbereinigt nur um rund 100 Prozent zu.

Der wirtschaftliche Aufstieg hat den Anteil der Beschäftigten an allen 15- bis 64-Jährigen auf das historische Hoch von mehr als 70 Prozent steigen lassen. Und:

Die Arbeitslosenquote lag 2022 unter 3 Prozent – hinter Tschechien war das die zweitniedrigste Quote in der EU.

Zuletzt ist die polnische Wirtschaft allerdings unter Druck geraten: In diesem Jahr dürfte das reale BIP nur noch um 0,9 Prozent zulegen. Ein wesentlicher Belastungsfaktor ist dabei die Rezession in Deutschland.

Hinzu kommt die hohe Inflation – 2022 legten die Verbraucherpreise in Polen im Schnitt um 13 Prozent zu. Als Reaktion darauf erhöhte die polnische Zentralbank den Leitzins bis auf 6,75 Prozent, was die private Konsum- und Investitionstätigkeit bremst. Zugleich sind Arbeitskräfte knapp, sodass die Löhne stärker steigen, als es angesichts der abgeschwächten Konjunktur angemessen wäre. Eine Lohn-Preis-Spirale droht.

Darüber hinaus muss Polen strukturelle Herausforderungen bewältigen, um auf den früheren Wachstumspfad zurückkehren zu können:

Innovationskraft und Produktivität steigern

Im Innovationsindex der EU-Kommission liegt Polen mit 68 Punkten deutlich unter dem EU-Schnitt von 108,5. Ein starkes Hemmnis sind die niedrigen Forschungsausgaben (Grafik):

Trotz eines deutlichen Anstiegs seit 2010 erreichten die polnischen Ausgaben für Forschung und Entwicklung 2020 nur knapp 1,4 Prozent des BIP – das Vergleichsland Tschechien kam immerhin auf rund 2 Prozent.

Forschungs- und Entwicklungsausgaben von Polen, Ungarn, Tschechien und Deutschland in Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Die geringe Innovationskraft führt mit dazu, dass die Arbeitsproduktivität, also die Bruttowertschöpfung je Beschäftigtenstunde, in Polen lediglich 67 Prozent des EU-Durchschnitts beträgt und unter dem Niveau von Ungarn (70 Prozent) und Tschechien (77 Prozent) liegt. Ursachen für die schwache Produktivität der polnischen Wirtschaft sind unter anderem mangelnde IT-Kenntnisse der Erwerbsbevölkerung und der geringe Anteil an Studienabschlüssen im MINT-Bereich.

Um die Innovationstätigkeit zu stärken, sollte die künftige polnische Regierung zum Beispiel in die Forschungsinfrastruktur investieren und Weiterbildungen im IT-Bereich fördern.

Die grüne Transformation meistern

Der Klimawandel und die Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine machen die Abkehr von fossilen Energieträgern alternativlos. Doch Polens Energieproduktion beruht nach wie vor zu fast 70 Prozent auf der Kohle und erst zu 21 Prozent auf erneuerbaren Energien. Bislang plant die Regierung in Warschau nur, diesen Anteil bis 2030 auf etwa 30 Prozent zu steigern.

Um ambitioniertere Ziele zu erreichen, müsste die Politik deregulieren – derzeit ist beispielsweise für Windenergieanlagen das Zehnfache ihrer Höhe als Mindestabstand zur nächsten Siedlung vorgeschrieben. Generell dauern Verwaltungsverfahren im Rahmen der Energiewende zu lange. Außerdem gilt das Energienetz in Polen als veraltet.

Das benötigte Geld für die Energiewende könnte zum Teil aus Brüssel kommen – insgesamt hat sich Polen um knapp 35 Milliarden Euro an Fördergeldern aus der sogenannten Aufbau- und Resilienzfazilität beworben.

Ausgezahlt werden die Mittel aber erst, wenn Polen von der EU-Kommission verlangte Reformen umsetzt – insbesondere muss die Regierung die Unabhängigkeit der Gerichte stärken. Bislang stellt sich die von der PiS-Partei geführte Koalition hier quer.

Das Investitionsklima verbessern

Maßnahmen, um die Rechtsstaatlichkeit zu verbessern und die Gerichtsbarkeit zu stärken, könnten auch helfen, mehr private Investitionen in Zukunftstechnologien und Klimaschutz zu mobilisieren. In den vergangenen Jahren betrugen die gesamten Investitionen von Staat und privater Wirtschaft in Polen stets weniger als 25 Prozent des BIP – Tschechien und Ungarn kamen zuletzt auf 33 beziehungsweise34 Prozent.

Eine wesentliche Investitionshürde ist bis dato, dass die Unternehmen den Investitionsschutz durch Gesetze und Gerichte als eher schlecht einstufen – 62 Prozent der Unternehmen in Polen haben diesbezüglich kein Vertrauen in die heimische Politik und Justiz. Die Firmen monieren die häufigen Änderungen der Rechtsvorschriften, intransparentes Verwaltungshandeln sowie die Schwierigkeit, Verwaltungsentscheidungen vor Gericht anzufechten. Die künftige Regierung muss also einiges tun, um das Vertrauen der Unternehmen zurückzugewinnen.

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