Pharmabranche unter Kostendruck
Lieferengpässe bei einzelnen Medikamenten setzen das Gesundheitssystem scheinbar unter Handlungsdruck. Als Grund wird oftmals die Abhängigkeit von ausländischen Produzenten genannt. Aber wo liegt wirklich das Problem?
- Heutzutage halten für mehr als die Hälfte der in Europa gebrauchten generischen Wirkstoffe maximal eine Handvoll Hersteller das benötigte Wirkstoffzertifikat – und produzieren zum Großteil im Ausland.
- Grund dafür ist der hierzulande hohe Kostendruck auf dem Arzneimittelmarkt.
- Um den Markt für Hersteller wieder attraktiv zu machen und um zu verhindern, dass noch mehr Produktion ins Ausland abwandert, braucht es Erstattungspreise, die zumindest eine kostendeckende Produktion ermöglichen.
Paracetamol, Penicillin, Tamoxifen – das sind nur drei Arzneistoffe, die von Engpässen betroffen sind. Anfang März 2023 meldete das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte für mehr als 400 Arzneimittel Lieferschwierigkeiten.
Eines haben die meisten dieser Medikamente gemeinsam: Es sind Generika. Ein Generikum ist eine wirkstoffgleiche Kopie eines Arzneimittels, dessen Patentschutz abgelaufen ist. Laut ProGenerika, dem Verband der Generikaunternehmen in Deutschland, deckten Generika im Jahr 2021 rund 80 Prozent der gesamten Arzneimittelversorgung in Deutschland ab.
Das Gros der generischen Wirkstoffe, die es in Europa braucht, wird in Asien produziert (Grafik):
Im Jahr 2020 fanden sich fast zwei Drittel der Wirkstoffzertifikate, die für die Produktion generischer Wirkstoffe notwendig sind, in Asien.
Vor 20 Jahren wurden noch 30 Prozent der Zertifikate in Asien und 60 Prozent in Europa gehalten.
Sind also die Produktionsverlagerungen das Problem? Oder liegt das Lieferproblem vielmehr in der zunehmenden Konzentration der Produktion?
Heutzutage halten für mehr als die Hälfte der in Europa benötigten generischen Wirkstoffe maximal eine Handvoll Hersteller das benötigte Wirkstoffzertifikat.
Fällt einer dieser Hersteller aus, können die wenigen verbleibenden die fehlende Produktion nur schwer kompensieren – egal, ob diese in Europa oder Asien angesiedelt sind.
Der hohe Kostendruck durch Festbeiträge, Preismoratorien und Rabattverträge führt dazu, dass sich Pharmaunternehmen aus Deutschland und Europa zurückziehen, teilweise steigen sie sogar ganz aus dem Markt aus.
Dass viele generische Hersteller in den vergangenen Jahrzehnten aus dem Markt ausgestiegen sind, ist aber auch Folge des hochregulierten Arzneimittelmarktes:
Festbeträge. Für die meisten Generika gibt es einen Höchstbetrag, den die Krankenkassen erstatten. Für eine Flasche Paracetamol-Fiebersaft wurde der Festbetrag in den vergangenen zehn Jahren nicht angepasst – erst Anfang 2023 erfolgte eine Anhebung um 7 Cent. Doch der Wirkstoffpreis für Paracetamol stieg laut ProGenerika im Jahr 2021 um 70 Prozent. Die Produktion der Fiebersäfte ist zunehmend unwirtschaftlich: Von elf Anbietern im Jahr 2010 ist nur noch ein Hersteller übrig.
Preismoratorium. Preise für Medikamente, die nicht dem Festbetrag unterliegen, dürfen seit 2010 nicht erhöht werden – trotz steigender Kosten für Transport, Energie und Rohstoffe. Der 2018 eingeführte begrenzte Inflationsausgleich kann diese Kostensteigerungen nicht auffangen.
Rabattverträge. Wollen Hersteller die Versicherten einer Krankenkasse mit ihren Produkten versorgen, bewerben sie sich auf Ausschreibungen. Der Hersteller mit dem höchsten Rabatt bekommt den Zuschlag. Patienten erhalten in der Apotheke für ihr Rezept das Medikament des Herstellers, mit dem ihre Krankenkasse einen Rabattvertrag hat.
All diese Instrumente sollen die Kosten im Gesundheitssystem senken. Doch die Preisvorgaben führen dazu, dass sich die Produktion von Generika in Europa kaum noch lohnt. Das erklärt die Produktionsabwanderung an kostengünstigere Standorte, zum Beispiel in Asien.
Arzneimittel: Was wird (noch) in Europa produziert?
Dennoch werden auch in Europa nach wie vor Arzneimittel hergestellt. Der europäische Pharmastandort hat sich auf die Produktion innovativer, technologisch komplexer Arzneimittel und ihrer Wirkstoffe spezialisiert. So ist über die Hälfte der weltweiten Produktionsstätten für biotechnologisch hergestellte Wirkstoffe in Europa angesiedelt.
Innovative Pharmaunternehmen entwickeln in Deutschland auch neue Arzneimittel (Grafik):
Im Jahr 2019 investierten die Pharmaunternehmen in Deutschland fast 11 Prozent ihres Umsatzes in die eigene Forschung.
Im Jahr 2021 wurden allein 46 Medikamente mit neuem Wirkstoff auf den Markt gebracht.
Deutschland wird aber für die innovativen Hersteller immer unattraktiver. Dies liegt nicht zuletzt am GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. Denn die Maßnahmen verschlechtern die Erfolgsaussichten innovativer Pharmaunternehmen in Deutschland. Verliert ein Absatzmarkt an Attraktivität, stellt dies die hier bestehende Forschung und Produktion infrage.
Forderung nach Rückverlagerung greift zu kurz
Die Diskussion um die Rückverlagerung von generischen Wirkstoffproduktionen greift daher zu kurz. Das Ziel muss sein, die bestehenden Produktionen langfristig hier zu halten, damit Deutschland in Zukunft nicht auch bei der Entwicklung und Produktion neuer Arzneimittel vom Ausland abhängig ist.
Die Innovationen von heute sind die Generika von morgen. Um zu verhindern, dass die Produktion eines Medikaments ins Ausland abwandert, sobald dessen Patentschutz ausläuft, braucht es Erstattungspreise, die zumindest eine kostendeckende Produktion ermöglichen. Für 6 Cent – so viel erhält ein Generikahersteller laut ProGenerika im Schnitt aller Medikamente pro Tagestherapiedosis – ist das kaum möglich. Wer eine sichere Arzneimittelversorgung gewährleisten will, muss deshalb auf Dauer eine höhere Zahlungsbereitschaft zeigen.