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Arzneimittel­versorgung in Deutschland - abhängig vom Ausland?

Schon lange wird befürchtet, dass Deutschland bei kritischen Technologien zu sehr von Zulieferungen aus dem Ausland – insbesondere aus China – abhängt. Seit Beginn der Corona-Pandemie steht vor allem die Arzneimittelversorgung im Fokus. Eine neue IW-Studie untersucht die globalen Lieferverflechtungen der deutschen Arzneimittelproduktion.

Kernaussagen in Kürze:
  • Seit der Pandemie wird in Deutschland über eine mögliche Abhängigkeit von ausländischen Arzneimittel-Zulieferungen diskutiert, insbesondere aus China.
  • Tatsächlich sind deutsche Pharmahersteller zunehmend auf Zulieferungen angewiesen.
  • Gut drei Viertel der Zulieferungen kommen jedoch nicht aus Asien, sondern aus der Schweiz und der EU.
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Die fieberhafte Suche nach einem Medikament zur Behandlung von Covid-19 und einem Impfstoff gegen das Coronavirus hat in Politik und Gesellschaft die Frage aufgeworfen, wie die Versorgungssicherheit der Bevölkerung gewährleistet werden kann, wenn die deutsche – und europäische – Arzneimittelproduktion von Zulieferungen aus dem Ausland, insbesondere aus dem asiatischen Raum, abhängig ist.

Doch in welchem Ausmaß bezieht die deutsche Pharmaindustrie tatsächlich direkte Zulieferungen aus dem Ausland? Das IW ist dieser Frage nachgegangen und hat die Produktionsstruktur der Branche hinsichtlich ihrer inländischen Wertschöpfung und der importierten Vorleistungen untersucht.

Die Arbeitsteilung. Von der Entwicklung über die klinische Testphase, die behördliche Zulassung, die Produktion, die Lagerung und den Vertrieb – bis ein Medikament für Patienten verfügbar ist, muss es einen komplexen Prozess durchlaufen, in den viele Lieferanten, Sublieferanten, Hersteller und Behörden eingebunden sind. Das gilt umso mehr, als der Aufbau pharmazeutischer Lieferketten in den vergangenen Jahrzehnten durch Unternehmenszusammenschlüsse, Konsolidierungen und Produktionsverlagerungen ins Ausland geprägt war – insbesondere, um den steigenden Kostendruck im Gesundheits-wesen aufzufangen.

In Deutschland sind derzeit rund 103.000 Arzneimittel zugelassen - nur in 247 Fällen gab es Anfang November absehbare oder vorliegende Lieferengpässe.

Somit sind auch deutsche Pharmahersteller zunehmend auf Zulieferungen angewiesen. Allerdings ist die Arbeitsteilung mit ausländischen Unternehmen in der Pharmaindustrie weniger ausgeprägt als in der Industrie insgesamt:

Im Durchschnitt der Jahre 1991 bis 2018 war die Vorleistungsquote der gesamten Industrie um fast 17 Prozentpunkte höher als in der Pharmaindustrie.

Die Struktur der Vorleistungen. Im Jahr 2014 – neuere Daten gibt es nicht – kamen allein 43 Prozent aller Vorleistungen aus dem Dienstleistungssektor. Der Grund für diese hohe Quote ist, dass die pharmazeutische Produktion in hochautomatisierten Anlagen erfolgt und die Unternehmen deshalb auf entsprechenden externen Service angewiesen sind. Ein weiteres Viertel der Vorleistungen kam aus der eigenen Branche, gut ein Fünftel von anderen Industriefirmen (ohne Pharma und Chemie) sowie 12 Prozent aus der Chemiebranche.

Die Zulieferer. Mit Blick auf die Struktur der Zulieferer zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen der Menge der inländischen und der importierten Vorleistungen (Grafik):

Die deutsche Pharmaindustrie bezog im Jahr 2014 gut zwei Drittel ihrer Vorleistungen von Unternehmen aus dem Inland.

Vorleistungen nach Lieferbranchen 2014 in Milliarden Euro Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Rund die Hälfte der inländischen Vorleistungen besteht aus Serviceleistungen: Für Dienstleister spielt die geografische Nähe zu den Unternehmen trotz fortschreitender Digitalisierung und Globalisierung nach wie vor eine wichtige Rolle – ein fremdsprachiger Wartungsmonteur, der über Tausende Kilometer anreisen muss, ist keine Option.

Gleichwohl ist festzuhalten, dass sich die importierten Zulieferungen von 2000 bis 2014 mehr als verdoppelt haben – während die inländischen um 45 Prozent zulegten. Deshalb lohnt sich ein genauerer Blick darauf, aus welchen Ländern diese Zulieferungen kommen:

Die ausländischen Zulieferer. Bei den importierten Vorleistungen der deutschen Pharmaindustrie zeigt sich eine klare Dominanz der europäischen Zulieferer (Grafik):

Gut drei Viertel aller pharmazeutischen Zulieferungen aus dem Ausland stammten 2014 aus der Schweiz und den 28 EU-Ländern. So viel Prozent der importierten pharmazeutischen Vorleistungen kamen 2014 aus diesen Ländern und Regionen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Die Schweiz war mit einem Anteil von fast 42 Prozent mit Abstand der größte Einzellieferant, gefolgt von den USA mit gut 9 Prozent. Erst auf Platz drei lag China, das als Grundstofflieferant derzeit unter besonderer Beobachtung steht. Das Reich der Mitte lieferte rund 7 Prozent aller von deutschen Pharmaunternehmen importierten Vorleistungen. Das war zwar doppelt so viel wie im Jahr 2000, dennoch zeigen diese Zahlen, dass zumindest für 2014 nicht von einer generellen Abhängigkeit von chinesischen Zulieferungen gesprochen werden kann.

Bei all diesen Zahlen besteht das Problem, dass die zugrunde liegenden Daten der World Input-Output Database im Jahr 2014 enden und zudem keinen tieferen Blick auf die Produktebene zulassen. Verfügbar sind jedoch die Daten der deutschen Außenhandelsstatistik – und damit kann die empirische Lücke bei den Ein- und Ausfuhren pharmazeutischer Erzeugnisse zumindest teilweise geschlossen werden. Zudem gibt diese Statistik Auskunft über den Handel mit pharmazeutischen Grundstoffen; diese gehen in die Produktion von Fertigarzneien und Impfstoffen ein und stellen damit in der Regel eine Vorleistung dar:

Im Jahr 2019 entfielen 16 Prozent des Werts aller eingeführten Pharmaerzeugnisse und 51 Prozent der gesamten Einfuhrmenge auf Grundstoffe.

Bei Generika könnte es eng werden

Daran hat sich seit 2014 kaum etwas geändert. Damals lag der Anteil der Grundstoffe am Einfuhrwert bei 15 Prozent und ihr Anteil an der Einfuhrmenge bei 53 Prozent.

Auffallend ist jedoch eine sehr unterschiedliche Entwicklung von Einfuhrwert, der von 2014 bis 2019 insgesamt um gut 53 Prozent zulegte, und Einfuhrmenge, die nur um rund 4 Prozent stieg.

Diese Diskrepanz schlägt sich auch in den chinesischen Zulieferungen nieder: Sie hatten 2019 einen Anteil von rund 29 Prozent am Volumen der deutschen Pharma-importe, der Wertanteil lag aber nur bei knapp 10 Prozent. Die anderen asiatischen Zulieferer kamen auf10 Prozent der Einfuhrmenge und7 Prozent des Einfuhrwerts. Daraus lässt sich folgern, dass aus dem asiatischen Raum vor allem günstige Wirkstoffe – sogenannte Generika – eingeführt werden. Und in diesem Segment können durchaus Lieferschwierigkeiten entstehen, wenn es nur wenige Anbieter gibt.

Bislang ist davon jedoch – trotz Corona – in Deutschland nichts zu sehen: Anfang November wurden dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 247 Fälle von absehbaren oder vorliegenden Lieferengpässen gemeldet. Zum Vergleich: Insgesamt sind in Deutschland derzeit rund 103.000 Arzneimittel zugelassen.

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