Globale Lieferketten Lesezeit 3 Min.

So überwinden Betriebe den Liefernotstand

Die Pandemie hat zu bislang unbekannten Problemen beim Nachschub von importierten Vorleistungsgütern geführt. Trotz längerfristiger Lieferschwierigkeiten will die Mehrheit der europäischen Unternehmen allerdings an den Vorteilen der internationalen Spezialisierung festhalten. Nur wenige Betriebe haben sich bislang dazu entschlossen, knappe Waren, die sie aus dem Ausland beziehen, wieder selbst herzustellen. Sie gehen eher andere Wege, um die Versorgung zu sichern.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die Corona-Krise hat zu bislang unbekannten Problemen beim Nachschub von importierten Vorleistungsgütern geführt.
  • Derzeit sind viele Güter knapp, darunter Holz, Mikrochips und Stahl.
  • Dennoch wollen die meisten betroffenen Unternehmen in Deutschland keine Produktion aus dem Ausland zurückverlagern. Stattdessen versuchen die Betriebe, zusätzliche Lieferanten zu gewinnen und alternative Transportrouten zu etablieren.
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Es sind nicht nur die viel zitierten Mikrochips, die Unternehmen gerade fehlen: Auch Holz, Papier, Stahl und Kunststoffe sind knapp – und damit stockt die Produktion von Autos, Fahrradersatzteilen, Möbeln und Verpackungen bis hin zu Geschirrspülern und Kühlgeräten. Corona und einiges mehr – Waldbrände in den USA und Dürren in Kanada, der tagelang blockierte Sueskanal sowie fehlende Lkw-Fahrer – haben das Wirtschaftsmodell der internationalen Spezialisierung und der globalen Lieferketten vielfach ins Wanken gebracht.

Insgesamt gibt es EU-weit bei 5.200 wichtigen Produktgruppen strategische Abhängigkeiten von ausländischen Zulieferern.

Für die EU und insbesondere für Deutschland, wo viele Unternehmen ihr exportorientiertes Geschäftsmodell auf dem Fundament der internationalen Spezialisierung aufgebaut haben, ist der stotternde Waren- und Rohstoffnachschub nicht leicht zu verkraften (Grafik):

Im Jahr 2020 importierten EU-Firmen Vorleistungsgüter aus dem Ausland im Wert von annähernd 2,4 Billionen Euro – das entsprach rund 52 Prozent der gesamten EU-Einfuhren.

Für so viele Milliarden Euro importierten die EU-Staaten Vorleistungsgüter aus anderen EU-Staaten beziehungsweise Drittstaaten Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Damit hat sich seit dem Jahr 2000 der Wert der importierten Vorleistungen in der EU nahezu verdoppelt.

Die meisten EU-Staaten beziehen mehr als die Hälfte ihrer Vorprodukte aus anderen EU-Ländern. Ein besonders relevantes außereuropäisches Lieferland sind die USA: Sie fungieren nicht nur für Deutschland, sondern auch für Irland, die Niederlande, Belgien, Frankreich und Spanien als wichtigster Geschäftspartner außerhalb der Union. Wenn es dagegen um Rohstoffe und Chemikalien für die energieintensive Industrie sowie für die Gesundheitsversorgung geht, ist China ein wichtiger außereuropäischer Player. So kauft Deutschland mehr als die Hälfte seiner Importe an seltenen Erden und deren Bestandteilen in China ein.

Insgesamt gibt es EU-weit 5.200 wichtige Produktgruppen, bei denen es strategische Abhängigkeiten von ausländischen Zulieferern gibt – so das Ergebnis einer aktuellen Studie der EU-Kommission. Allerdings:

Stark abhängig von anderen Ländern ist die EU lediglich bei 34 Schlüsselprodukten – 22 davon fallen in die Kategorien Rohstoffe und Vorprodukte, zwölf sind Endprodukte wie zum Beispiel Teile von Corona-Schutzbekleidung oder Medikamente.

Angesichts der anhaltenden Lieferkettenprobleme rufen manche europäische Politiker in einigen Industrien zum „Reshoring“ auf. Doch die Rückverlagerung der Produktion nach Europa hat einen entscheidenden Nachteil: Ohne technischen Fortschritt führt das Reshoring zu höheren Produktionskosten – und damit zu höheren Preisen und einer schlechteren internationalen Wettbewerbsfähigkeit.

Nicht zuletzt aus diesem Grund waren die Unternehmen in Europa in der Vergangenheit eher zurückhaltend mit Rückverlagerungen. So haben in Deutschland zwischen 2010 und 2012 nur 2 Prozent der Unternehmen des Produzierenden Gewerbes Teile der Produktion zurückgeholt, von 2013 bis 2015 waren es mit 3 Prozent etwas mehr. EU-weit lag der Anteil mit 4 Prozent der Firmen des Produzierenden Gewerbes zwar doppelt so hoch, dennoch ist die Bilanz eindeutig: Für jedes europä-ische Unternehmen, das die Produktion innerhalb dieses Zeitraums zurückgeholt hat, haben rein rechnerisch mehr als drei Betriebe genau das Gegenteil getan, also ihre Produktion oder Teile davon ins Ausland verlegt.

Zurückverlagerung ist die Ausnahme

Auch seit Ausbruch der Corona-Krise wird wenig nach Deutschland und in die anderen EU-Staaten zurückverlagert. Zwar gibt es einige prominente Beispiele wie den VW-Konzern, der selbst in die Chip-Entwicklung einsteigen will, oder den französischen Pharmakonzern Sanofi, der mittlerweile einige Bestandteile seiner Medikamente wieder selbst produziert, doch in den meisten Fällen suchen die von Lieferproblemen betroffenen Unternehmen nach anderen Auswegen (Grafik):

Um ihre Abhängigkeit von ausländischen Zulieferern zu verringern, bemühen sich die deutschen Unternehmen vor allem, weitere Zulieferer zu gewinnen. So viel Prozent der deutschen Firmen mit ausländischen Niederlassungen oder Tochterunternehmen, die Lieferschwierigkeiten haben, antworteten auf die Frage nach einer Diversifizierung ihrer Lieferketten wie folgt Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Auch größere Lagerbestände, andere Transportrouten sowie die Suche nach Lieferanten aus weiteren Ländern sind für die Firmen probate Mittel gegen Lieferengpässe. Lediglich 6 Prozent der im Frühjahr 2021 befragten Unternehmen gaben an, dass sie vorhätten, die betroffenen Vorleistungsgüter wieder selbst zu produzieren.

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