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Pharmaunternehmen weniger abhängig von China als gedacht

Die Corona-Pandemie hat die Sorge wachsen lassen, Deutschland könne bei der Arzneimittelproduktion und -versorgung zu abhängig von Lieferländern wie China werden. Eine nähere Analyse zeigt allerdings, dass die deutsche Pharmaproduktion ihre Vorleistungen vor allem aus dem eigenen Land sowie aus Europa bezieht. Dennoch besteht Handlungsbedarf für die Politik.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die deutsche Pharmaindustrie setzt stark auf eigene Wertschöpfung und bezieht rund zwei Drittel der benötigten Vorleistungen aus dem Inland.
  • Von den importierten pharmazeutischen Vorleistungen kamen zuletzt rund 85 Prozent aus der EU und der Schweiz, China lieferte lediglich 4 Prozent der entsprechenden Importe.
  • Der Versuch, Teile der Pharmaproduktion nach Deutschland zurückzuverlagern, wäre aufwendig und wenig zielführend – stattdessen sollte die Politik den Pharmastandort Deutschland grundsätzlich stärken.
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Knappe Impfstoffe, Engpässe bei einigen Medikamenten – stärker noch als viele andere Wirtschaftszweige wurde die pharmazeutische Industrie durch die Corona-Pandemie vor große Herausforderungen gestellt. Das liegt auch daran, dass die Branche global ausgerichtet ist und daher von gestörten Lieferketten besonders betroffen sein kann.

Die Probleme haben die Politik in Deutschland, aber auch auf europäischer Ebene auf den Plan gerufen. Die EU-Kommission fordert eine „offene strategische Autonomie im Arzneimittelbereich“. Und die Bundesregierung will darauf hinwirken, dass die Pharmaunternehmen wieder mehr Arzneimittel, Wirk- und Hilfsstoffe in Deutschland oder zumindest in der EU produzieren.

Nur ein Drittel der Vorleistungen im Wert von rund 19 Milliarden Euro, die die deutsche Pharmaindustrie im Jahr 2017 bezogen, kam aus dem Ausland. Die größten Lieferanten waren die EU-Länder und die Schweiz, China rangierte eher hinten.

Doch um beurteilen zu können, inwieweit solche plakativen Forderungen überhaupt sinnvoll und hilfreich sind, muss man die tatsächlichen Produktions- und Lieferstrukturen in der Pharmabranche analysieren. Die entscheidende Frage lautet: Wie abhängig vom Ausland und insbesondere von einzelnen Ländern wie China ist die deutsche Pharmaproduktion wirklich? Das IW hat hierzu Daten für das Jahr 2017 – neuere Zahlen liegen nicht vor – unter die Lupe genommen. Die wichtigsten Ergebnisse:

Die eigene Wertschöpfung hat in der Pharmaindustrie einen hohen Stellenwert. Der Anteil der eigenen Wertschöpfung am gesamten Produktionswert betrug 2017 in der deutschen Pharmaindustrie 53 Prozent – somit stammten 47 Prozent aus Vorleistungen. Damit war die Vorleistungsquote deutlich niedriger als im Schnitt des Verarbeitenden Gewerbes, wo sie bei 66 Prozent lag.

Insgesamt bezog die deutsche Pharmaindustrie im Jahr 2017 Vorleistungen im Wert von rund 19 Milliarden Euro.

Davon wurden 43 Prozent aus dem Verarbeitenden Gewerbe zugeliefert – allein 18 Prozent aller Vorleistungsbezüge kamen aus dem Pharmabereich selbst. Das hängt auch damit zusammen, dass die hiesigen Pharmaunternehmen stark spezialisiert sind und vor allem innovative und komplexe Fertigarzneimittel sowie Impfstoffe und Zubereitungen für Diagnostika herstellen.

Nur ein Drittel der Vorleistungen kommt aus dem Ausland. Naheliegenderweise kaufen die Pharmafirmen Dienstleistungen, Bauleistungen und Energiegüter vornehmlich vor Ort. Aber auch bei pharmazeutischen Vorprodukten dominiert das Ausland keineswegs (Grafik):

Im Jahr 2017 bezog die hiesige Pharmaindustrie Vorleistungen aus der eigenen Branche im Wert von mehr als 3,4 Milliarden Euro – gut die Hälfte davon wurde von inländischen Firmen zugeliefert.

Vorleistungsbezüge der deutschen Pharmaindustrie aus diesen Branchen im Jahr 2017 in Millionen Euro Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Bei den Vorerzeugnissen aus der Chemiebranche betrug der Inlandsanteil sogar nahezu 60 Prozent. Per saldo steuern inländische Zulieferer zwei Drittel aller Vorleistungen bei, ein Drittel kommt aus dem Ausland.

China steht im Ranking der Lieferanten eher hinten. Schaut man speziell auf die Herkunftsländer der pharmazeutischen Vorleistungen, zeigt sich, dass die hiesigen Pharmafirmen vor allem auf europäische Lieferanten bauen (Grafik):

Rund 85 Prozent der im Jahr 2017 importierten pharmazeutischen Vorleistungen kamen aus der EU sowie aus der Schweiz – sie allein steuerte 44 Prozent der importierten pharmazeutischen Vorprodukte bei.

So viel Prozent der pharmazeutischen Vorleistungsimporte der deutschen Pharmaindustrie kamen im Jahr 2017 aus diesen Ländern Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

China dagegen lieferte lediglich 4 Prozent aller pharmazeutischen Vorleistungsimporte.

Eine weitergehende Analyse zeigt zudem, dass auch die wichtigsten europäischen Partnerländer der deutschen Pharmaunternehmen nur zu geringen Anteilen industrielle Vorleistungen aus China beziehen.

Pharmastandort Deutschland grundsätzlich stärken

Unterm Strich weisen die Daten nicht auf eine starke Abhängigkeit der deutschen Pharmaproduktion von chinesischen Zulieferern hin. Allerdings gilt es zu bedenken, dass China vor allem generische Produkte, also preisgünstige Nachahmungen von Arzneimitteln und Wirkstoffen liefert, deren Patentschutz ausgelaufen ist. Der monetäre Wert dieser Vorleistungen ist daher relativ gering. Das muss aber nicht unbedingt für die importierten Mengen gelten, sodass strategische Abhängigkeiten bei einzelnen dieser Produkte nicht auszuschließen sind.

Doch selbst wenn die Politik in solchen Fällen einschreiten will: Die Produktion nach Deutschland oder in andere europäische Länder zurückzuverlagern, wäre ein ungewisses, zeit- und vor allem kostspieliges Vorhaben für die Unternehmen. Zudem ist unklar, wie künftig Produktionsverlagerungen in jenen Fällen verhindert werden sollen, in denen aktuell innovative Arzneimittel ihren Patentschutz verlieren.

Zielführender ist es, den Pharmastandort Deutschland grundsätzlich zu stärken. Das kann die Bundesregierung tun, indem sie Genehmigungs- und Zulassungsverfahren beschleunigt, die Steuerbelastung für die Unternehmen reduziert und die Wagniskapitalbedingungen für Start-ups im Pharmasektor verbessert.

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