Interview Lesezeit 3 Min.

„Nachhaltige Projekte kann jeder angehen“

Was München so einzigartig macht, welche Stadt in Corona-Zeiten besonders lebenswert ist und was es mit dem neuen Nachhaltigkeitsindex im Städteranking auf sich hat, erläutert Vanessa Hünnemeyer, Consultant in der IW Consult, im iwd-Interview.

Kernaussagen in Kürze:
  • In München trifft eine gute Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage auf eine hohe Lebensqualität, sagt Vanessa Hünnemeyer von der IW Consult über den Sieger des Städterankings 2020.
  • Mit dem neu eingeführten Nachhaltigkeitsindex wolle man dem wachsenden Klima- und Umweltbewusstsein in der Gesellschaft Rechnung tragen, so Hünnemeyer.
  • Auch wenn die finanziellen Spielräume der Städte teils sehr klein sind, könnten alle nachhaltige Projekte angehen.
Zur detaillierten Fassung

München dominiert seit Jahren das Städteranking der IW Consult. Was macht die bayerische Landeshauptstadt so stark?

In München trifft eine gute Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage auf eine hohe Lebensqualität. München bietet attraktive Erwerbsmöglichkeiten, exzellente Forschung und abwechslungsreiche Freizeitangebote. Nach einem Arbeitstag noch eine Erfrischung im Biergarten oder bei zeitgenössischer Kunst neue Inspiration finden? In München kein Problem. Unterm Strich stimmt einfach das Gesamtpaket.

Ist Münchens Entwicklung historischer Zufall oder das Produkt guter Politik?

Vanessa Hünnemeyer ist Consultant bei der IW Consult, die jährlich das Städteranking erstellt; Foto: IW Medien Beides: Erstens hat Bayern die Gelder aus dem Finanzausgleich in den 1960er und 1970er Jahren klug investiert. Zweitens schafft die bayerische Politik sehr gute Rahmenbedingungen – zum Beispiel durch ein groß angelegtes Breitbandförderprogramm.

Und welche Region bereitet Ihnen gerade die größten Sorgen?

Das Ruhrgebiet ist seit Jahren eher schwach. Allerdings sehen wir dort gerade eine große Dynamik. Die Städte im Pott werden im Niveauranking mittelfristig aufsteigen, wenn sie die Weichen jetzt richtig stellen.

Corona hat den Alltag in Deutschland verändert. In welchen Städten lässt es sich unter den gegenwärtigen Bedingungen am besten leben?

Um das abzuschätzen, haben wir uns drei Indikatoren angesehen: den Breitbandausbau, der effektives Arbeiten von daheim ermöglicht, die Kinderbetreuungsquote und die Nähe zur Natur.

Besonders gute Voraussetzungen hat Potsdam. Es ist die einzige Stadt, die in allen Bereichen unter den Top 15 landet. Unter Corona-Gesichtspunkten schneiden außerdem Bonn, Dresden, Wolfsburg und Berlin gut ab.

In diesem Jahr haben Sie einen Nachhaltigkeitsindex eingeführt. Warum?

In der Gesellschaft gibt es ein wachsendes Bewusstsein für Klima- und Umweltfragen. Dem wollten wir mit unserem neuen Ranking Rechnung tragen. Wir haben uns dabei aber nicht nur auf Klima und Umwelt fokussiert, sondern ein Ranking im Sinne eines umfassenden Nachhaltigkeitsgedankens erstellt.

Welche Kriterien fließen in den Index ein?

Wir haben uns auf das Nachhaltigkeitsverständnis der UN gestützt. Es umfasst die drei Bereiche ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit. Wir haben uns insgesamt 15 Indikatoren angesehen. In der Ökologie ist das unter anderem die Art der verwendeten Heizenergie sowie die installierte Solar- und Windleistung.

Die Städte im Ruhrgebiet werden im Niveauranking mittelfristig aufsteigen, wenn sie die Weichen jetzt richtig stellen.

Im Bereich Soziales geht es um die Teilhabe und Integration aller Personen. Das haben wir über Bildung und Arbeitsmarktintegration abgebildet. Eine hohe Schulabbrecherquote zum Beispiel ist negativ, da sie die künftige Arbeitsmarktintegration erschwert. Ebenfalls wichtig ist die Beschäftigungsquote von Frauen im Sinne der Diversität von Teams und der umfassenden Teilhabe vieler gesellschaftlicher Gruppen.

Beim Indikator Ökonomie geht es vor allem um die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen. Das bilden wir zum Beispiel über die Patentleistung und die Anzahl der Beschäftigten im Bereich Forschung und Entwicklung ab.

Die Ergebnisse des Nachhaltigkeitsindex zeigen, dass die gut platzierten Städte meist auch eine hohe Steuerkraft haben. Braucht es erst mal eine solide Einnahmebasis, um sich nachhaltiges Wirtschaften leisten zu können?

Nicht unbedingt. Eine hohe Steuerkraft gibt einer Kommune natürlich finanziellen Spielraum, um in zukunftsrelevante Projekte zu investieren. Mit dem Geld können Radwege gebaut, die Wirtschaftsförderung für Start-ups verbessert, das Glasfasernetz ausgebaut oder die Gewerbeflächenentwicklung vorangetrieben werden. Städte, die einem Haushaltsnotstand ausgesetzt sind wie im Ruhrgebiet, haben es deutlich schwerer, in die Spur zu kommen, als Städte mit soliden Finanzen.

Gleichzeitig gibt es aber auch bei geringem finanziellen Spielraum viele Möglichkeiten und Anreize, um die Weichen für mehr Nachhaltigkeit zu stellen – etwa durch die Installation von Ladesäulen. Nicht zuletzt bestehen auch viele Förderprojekte auf Bundes- und Landesebene, um die Nachhaltigkeit zu stärken.

Für klamme Kommunen gilt es also, mit kleineren Maßnahmen zu beginnen und sich Stück für Stück zu steigern. Nachhaltige Projekte kann jeder angehen.

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