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Lieferketten anpassen, aber nicht zerstören

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie werfen die Frage auf, inwieweit Deutschland seine Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten und Produktionsstandorten verringern sollte. Auch wenn es angesichts der aktuellen Situation erforderlich ist, die mit dieser Verflechtung verbundenen Risiken neu zu bewerten, sollten die Vorteile der Globalisierung nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden.

Kernaussagen in Kürze:
  • Im vergangenen Jahr importierten deutsche Unternehmen Vorprodukte im Wert von 606 Milliarden Euro.
  • Insgesamt entfallen gut 23 Prozent der Wertschöpfung, die in deutschen Waren und Dienstleistungen steckt, auf das Ausland.
  • Die Corona-Krise stellt die bisherigen Lieferstrukturen infrage, eine Neujustierung ist allerdings in erster Linie Aufgabe der Unternehmen.
Zur detaillierten Fassung

Keine andere der 20 größten Industrienationen ist so stark in die globale Wirtschaft eingebunden wie Deutschland: Die Offenheit der deutschen Wirtschaft – gemessen an der Summe der Exporte und Importe in Relation zum Bruttoinlandsprodukt – betrug im vergangenen Jahr 88 Prozent. Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte, welche maßgeblich zum hohen Wohlstandsniveau in Deutschland beigetragen hat, beruht zu einem guten Teil darauf, dass hiesige Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten neue Produktionsstätten in der Nähe ihrer Absatzmärkte errichtet haben. Zudem beziehen die Firmen ihre Bauteile und Komponenten mittlerweile in hohem Umfang von ausländischen Lieferanten:

Im vergangenen Jahr importierten deutsche Unternehmen Vorprodukte im Wert von 606 Milliarden Euro.

Damit ist Deutschland der mit Abstand größte Vorleistungsimporteur in der EU – 22,5 Prozent aller Vorprodukte, die die Mitgliedsstaaten im Ausland einkaufen, entfallen auf die Bundesrepublik.

Gemessen an den jeweiligen Gesamteinfuhren der einzelnen Länder bewegt sich Deutschland allerdings im Mittelfeld der Europäischen Union, seine so dargestellte Abhängigkeit von Vorleistungsimporten ist also nicht übermäßig groß (Grafik):

Im Jahr 2019 machten die deutschen Importe von Vorprodukten 55 Prozent der gesamten Einfuhren aus – in immerhin zwölf anderen EU-Staaten war der Anteil höher.

So viel Prozent der gesamten Warenimporte entfielen im Jahr 2019 auf Vorleistungen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Zu dieser Gruppe gehören jedoch auch Länder wie Italien, Spanien, Finnland und Griechenland, die – gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung – insgesamt weniger importieren als Deutschland.

Deutschlands Lieferanten

Für die Bundesrepublik sind die anderen EU-Staaten die wichtigsten Lieferanten von Vorprodukten (Grafik):

Mehr als 62 Prozent der von Deutschland importierten Vorleistungsgüter kommen aus anderen EU-Ländern.

So viel Prozent der deutschen Vorleistungsimporte kamen im Jahr 2019 aus diesen Ländern Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Dabei stehen die Niederlande mit gut 13 Prozent an erster Stelle. Allerdings dürfte sich in dieser Zahl auch niederschlagen, dass viele Vorprodukte, die eigentlich aus anderen Teilen der Welt stammen, über den Hafen von Rotterdam ihren Weg in die Bundesrepublik finden — dieser Effekt lässt sich aus den verwendeten Handelsstatistiken nur schwer herausrechnen.

Gut ein Drittel der deutschen Vorleistungsimporte kommt aus Ländern außerhalb der EU.

Trotz dieser Verzerrung ist immerhin gut ein Drittel der deutschen Vorleistungsimporte dem Nicht-EU-Ausland zuzurechnen – mit den USA (5,3 Prozent) und China (5,0 Prozent) als wichtigsten Lieferanten.

Länderübergreifend werden von Deutschland zu jeweils etwa 16 Prozent Teile und Zubehör von Investitionsgütern oder Transportmitteln sowie Kraft- und Schmierstoffe importiert. Ansonsten dominieren sonstige verarbeitete Vorprodukte – eine nähere Aufschlüsselung lassen die Handelsstatistiken nicht zu.

Was das Ausland zu deutschen Erzeugnissen beisteuert

Um genauer feststellen zu können, welche Bedeutung ausländische Vorprodukte für die Herstellung deutscher Erzeugnisse haben, muss man auf sogenannte Input-Output-Tabellen zurückgreifen, wie sie etwa die OECD für eine Datenbank verwendet. Zwar liegen diese Daten aufgrund der komplexen Berechnungen nur für das Jahr 2015 vor, dies ist jedoch angesichts der relativ beständigen Handelsströme verkraftbar.

Die OECD-Daten bestätigen jedenfalls, dass die von der deutschen Wirtschaft erbrachten Leistungen zu einem beträchtlichen Teil auf ausländischen Vorleistungen beruhen (Grafik):

Insgesamt entfallen gut 23 Prozent der Wertschöpfung, die in deutschen Waren und Dienstleistungen steckt, auf das Ausland.

So viel Prozent der Wertschöpfung, die in deutschen Waren und Dienstleistungen enthalten ist, stammten im Jahr 2015 aus dem In- bzw. Ausland Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Auch in dieser Abgrenzung stehen die Vorleistungen aus der EU mit 10 Prozent an der Spitze, die Vereinigten Staaten kommen auf einen Anteil an der gesamten deutschen Wertschöpfung von 2,3 Prozent, China stellt 1,9 Prozent.

Je nach Wirtschaftszweig fallen die Anteile des Auslands und speziell Chinas zum Teil noch deutlich höher aus. Innerhalb der Industrie gilt dies zuvorderst für den Bereich Datenverarbeitung und Elektronik, hier steuert China fast 13 Prozent zur deutschen Wertschöpfung bei. Aber auch in Schlüsselbranchen wie dem Maschinenbau und der Automobilindustrie spielen andere Lieferländer und speziell das Reich der Mitte eine wesentliche Rolle:

In einer von deutschen Herstellern im In- oder Ausland für 100.000 Euro verkauften Maschine stecken im Schnitt gut 28.200 Euro an ausländischer Wertschöpfung, darunter 3.200 Euro aus China.

Selbst wenn die Wertschöpfungsbeiträge einzelner Länder nicht allzu hoch erscheinen, ist zu bedenken, dass deren strategische Bedeutung für einzelne Branchen durchaus noch größer sein kann. Dies gilt zum Beispiel, wenn eine Branche auf seltene Erden angewiesen ist, die fast ausschließlich in China zu vertretbaren Kosten gewonnen und verarbeitet werden können.

Corona-Krise stellt bisherige Lieferketten infrage

Generell aber stellt sich angesichts der Corona-Krise die Frage, ob die bisherigen Lieferketten für die deutsche Wirtschaft noch tragfähig sind oder ob die Unternehmen ihre Abhängigkeit von – oftmals nur wenigen – Zulieferern verringern müssten. Klar ist, dass Strategien wie Outsourcing und Just-in-time-Fertigung die Firmen anfällig für Produktionsunterbrechungen an einzelnen ausländischen Standorten gemacht haben. So haben zum Beispiel die Shutdowns in China und Norditalien die hiesigen Automobilhersteller schwer getroffen.

Das Risiko der Abhängigkeit vom Ausland gegen die Kostenersparnisse durch die internationalen Wertschöpfungsketten neu abzuwägen, sollte allerdings in erster Linie in der Hand der Unternehmen liegen. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht wäre es sinnvoll, wenn in den entsprechenden Berechnungsmodellen zum Beispiel auch die negativen gesellschaftlichen Kosten von Produktionsausfällen berücksichtigt würden.

Das Risiko der Abhängigkeit vom Ausland gegen die Kostenersparnisse durch die Globalisierung neu abzuwägen, ist in erster Linie Aufgabe der Unternehmen.

Der Staat sollte nur dann in das Marktgeschehen eingreifen, wenn es um klar definierte essenzielle Bereiche geht – etwa Branchen oder Produkte, die für die Versorgung der Bevölkerung unabdingbar sind. In diesem Sinne wäre zum Beispiel eine stärkere Bevorratung mit medizinischer Ausrüstung denkbar.

In jedem Fall sollte eine Neuausrichtung der Lieferstrukturen als Reaktion auf die Corona-Krise nicht zu neuem Protektionismus führen und damit die zuletzt ohnehin gefährdeten Erfolge globaler Handelsliberalisierung weiter infrage stellen. So gilt es in der EU, die Grenzen offen zu halten. Und im Rahmen der Welthandelsorganisation könnten Staaten, die – anders als beispielsweise China – auf Offenheit und möglichst geringe staatliche Verzerrungen setzen, gemeinsam versuchen, wieder mehr multilaterale Handelserleichterungen auf den Weg zu bringen.

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