Digitale Dekade Lesezeit 4 Min.

Langsam nährt sich die Digitalisierung

Die EU-Kommission hat das aktuelle Jahrzehnt zur digitalen Dekade erklärt und will „Nachhaltigkeit und Wohlstand in einer menschengerechten digitalen Zukunft sichern“. Doch es ist noch viel zu tun, bis die Mitgliedsstaaten die von der Kommission gesteckten Digitalisierungsziele erreichen. Deutschland steht dabei keineswegs besser da als seine EU-Nachbarn.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die EU-Kommission hat in vier Bereichen konkrete Digitalisierungsziele für die Mitgliedsstaaten vorgegeben, auf die sich auch EU-Parlament und Ministerrat verpflichtet haben.
  • Es gibt allerdings nahezu flächendeckend noch viel Luft nach oben in den EU-Ländern, wenn sie die Ziele bis 2030 wirklich erreichen wollen.
  • Deutschland steht bei den meisten Zielen nicht besser da als seine Nachbarn, teilweise sogar schlechter – was auch am föderalen System liegt.
Zur detaillierten Fassung

Erst Coronapandemie, dann Ukraine-Krieg: Die Europäische Union hatte in den vergangenen Jahren große Herausforderungen zu bewältigen. Da blieben andere Themen zumindest in der medialen Aufmerksamkeit auf der Strecke. So auch die digitale Dekade: Bis 2030 will die EU-Kommission die Staatengemeinschaft digital fit machen. Dafür hat sie in vier Bereichen konkrete Ziele für die Mitgliedsstaaten vorgegeben, auf die sich auch EU-Parlament und Ministerrat verpflichtet haben.

Bis 2030 sollen die EU-Staaten im Rahmen der digitalen Dekade eine Reihe ambitionierte Digitalisierungs-Ziele erreichen. Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Doch kommen die Staaten bei der Digitalisierung voran? Der Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) der EU-Kommission fasst Indikatoren für die digitale Leistungsfähigkeit der Mitgliedsstaaten zusammen und dokumentiert die Fortschritte bereits seit 2014. Der Index belegt, dass es nahezu flächendeckend viel Luft nach oben gibt:

Im Jahr 2021 verfügten 49 Prozent der Bevölkerung in Deutschland über digitale Grundkompetenzen, im Durchschnitt aller EU-Staaten betrug der Anteil immerhin 54 Prozent. Das Ziel für 2030 lautet allerdings 80 Prozent.

Um diesem Ziel näher zu kommen, müssen die Bildungssysteme passende Qualifizierungsmaßnahmen – gerade für ältere oder bildungsferne Menschen – anbieten.

Ob digitale Infrastruktur, digitale öffentliche Verwaltung oder digitale Kompetenzen: Nahezu flächendeckend gibt es in den EU-Mitgliedsstaaten noch viel Luft nach oben.

Hinsichtlich der Fachkräfte für Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) ist der Befund ähnlich –sowohl bei der Gesamtzahl als auch bei der angepeilten Geschlechterparität. Für das Jahr 2030 hat sich die EU 20 Millionen entsprechend qualifizierte Personen zum Ziel gesetzt, doch es gibt bislang nur knapp 9 Millionen in der Union – und der Frauenanteil liegt bei gerade einmal 19 Prozent. Es ist deshalb unerlässlich, das Potenzial der Frauen für den IKT-Bereich stärker zu nutzen – auch angesichts des schon heute erdrückenden IT-Fachkräftemangels.

Ebenso essenziell ist eine exzellente digitale Infrastruktur – gerade im globalen Wettbewerb um den attraktivsten Standort. Doch vom „Gigabit für alle“ profitierten 2021 lediglich 75 Prozent der Haushalte Deutschlands, EU-weit sogar nur 70 Prozent. Bei der 5G-Netzabdeckung kam Deutschland auf 87 Prozent, der EU-Wert lag bei 66 Prozent.

Die gefühlte Netzabdeckung liegt – zumindest in Deutschland – allerdings noch einmal deutlich darunter. Das belegt eine repräsentative YouGov-Befragung im Auftrag des Vergleichsportals Check24.

Demnach erlebten – Stand März 2023 – in den vergangenen zwölf Monaten 41 Prozent der Deutschen Netzausfälle oder -abbrüche; fast zwei Drittel von ihnen zu Hause oder bei Freunden, über 30 Prozent im Auto, ein Viertel in der Bahn und ebenfalls ein Viertel, wenn sie zu Fuß auf dem Land unterwegs waren.

Der digitale Wandel in Unternehmen kommt zwar voran, doch nur 55 Prozent der kleinen und mittelgroßen Firmen erreichten 2021 zumindest das Basisniveau der von der EU definierten digitalen Intensität, nutzten also in grundlegendem Maße digitale Technologien und Anwendungen. In Deutschland waren es 59 Prozent, angestrebt sind allerdings 90 Prozent.

Bei künstlicher Intelligenz, Cloud-Lösungen und Big Data will die Kommission, dass je 75 Prozent der Firmen die entsprechenden technischen Möglichkeiten nutzen. Bislang liegt die Quote sowohl in Deutschland als auch in der EU insgesamt bei jedem der Indikatoren bei weniger als der Hälfte.

Es ist deshalb von entscheidender Bedeutung, dass die Mitgliedsstaaten und die EU alles unternehmen, um Firmen den Nutzen der Digitalisierung zu verdeutlichen. Vor allem die Eigentümer und Verantwortlichen in kleineren Firmen sehen bislang häufig keinen Mehrwert in digitalen Anwendungen – obwohl diese, richtig genutzt, massiv Zeit sparen und Kosten senken.

Und auch im vierten Zielbereich der digitalen Dekade der Europäischen Union – der Digitalisierung der öffentlichen Dienste – bestätigen die DESI-Daten, was Bürger und Unternehmer tagtäglich erleben:

Noch immer sind wesentliche öffentliche Dienste – anders als von der EU-Kommission gefordert – nicht online verfügbar.

Stand 2021 war etwa ein Viertel der Services für Bürger in der EU nicht digital, bei den Angeboten der öffentlichen Hand für Firmen waren es noch etwa 20 Prozent.

Die nur schleppende Digitalisierung der Behörden fällt Deutschland auch als Einwanderungsland auf die Füße, weil die undurchsichtige Bürokratie und eine analoge Papierflut potenzielle Fachkräfte abschrecken (siehe "Das Zugpferd ist die gute Jobperspektive").

Hinzu kommt, dass bestimmte Digitalisierungspläne – beispielsweise im Gesundheitsbereich – in Deutschland noch gar nicht umgesetzt sind. So soll bis 2030 die Online-Patientenakte für alle eingeführt werden und mindestens 80 Prozent der Bürger sollen dann über eine digitale ID verfügen. Außerdem stellt die Digitalisierung der Behörden neue Anforderungen an die Zusammenarbeit verschiedener Ämter und Verwaltungsebenen.

In einem föderalen System werden sich gewisse Probleme also nur mit sehr langem Atem überwinden lassen, eine Dekade dürfte dafür kaum genügen.

Das könnte Sie auch interessieren

Meistgelesene