Interview Lesezeit 6 Min.

„Kürzungen in der Landwirtschaft gefährden den Freihandel“

Der FDP-Politiker Volker Wissing ist rheinland-pfälzischer Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau – ein bundesweit einmaliger Ressortzuschnitt. Ungewöhnlich für einen Liberalen ist auch seine Forderung, die Landwirtschaft finanziell dauerhaft zu subventionieren.

Kernaussagen in Kürze:
  • Der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing warnt davor, Bauern die Subventionen zu kürzen. Landwirte in der EU bräuchten Unterstützung, um dem internationalen Wettbewerbsdruck standhalten zu können.
  • Außerdem seien Agrarhilfen auch deshalb nötig, weil sich Menschen im ländlichen Raum ohne finanzielle Unterstützung abgehängt fühlen würden - und sich in der Folge gegen freien Handel aussprechen könnten.
  • Wissing erhofft sich von der EU eine Strategie für ganz Europa, die die Qualität in der landwirtschaftlichen Produktion steigert statt die Quantität.
Zur detaillierten Fassung

Sie sind FDP-Politiker, seit annähernd vier Jahren Landwirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz und sprechen sich ganz klar für dauerhafte Agrarsubventionen aus. Wie passt das zusammen?

Die Landwirtschaft braucht Unterstützung, denn allein kann sie dem internationalen Wettbewerbsdruck nicht standhalten. Die Unterstützung sollte vor allem darauf abzielen, dass die Erzeugerpreise steigen. Auch zusätzliche Aufgaben, die wir von den Landwirten einfordern, zum Beispiel Kulturlandschaftspflege und Agrarumweltmaßnahmen, müssen wir entsprechend vergüten. Denn wir können nicht erwarten, dass die Landwirtschaft kostenlos für die Allgemeinheit tätig wird, also mehr investiert, aber auf den Mehrkosten sitzen bleibt.

Es ist gut, wenn der Staat sich so weit wie möglich aus dem Markt heraushält. Aber kann man sich bei der Landwirtschaft wirklich raushalten?

Wie vermitteln Sie das den Industriebetrieben, die Sie in Rheinland-Pfalz ja auch vertreten?

Als Wirtschaftsminister sehe ich Subventionen grundsätzlich kritisch. Es ist gut, wenn der Staat sich so weit wie möglich aus dem Markt heraushält. Und damit sind wir wieder beim Kernproblem: Kann man sich bei der Landwirtschaft wirklich raushalten? Wenn wir in unseren Parlamenten dauerhaft eine Mehrheit sichern wollen für industrie- und handelspolitische Notwendigkeiten, dann müssen wir auch die Menschen im ländlichen Raum mitnehmen. Und wenn die Menschen in der Landwirtschaft keine Perspektive haben, dann werden sie keine Bereitschaft entwickeln, sich für internationalen Freihandel einzusetzen.

Großbritannien ist ein gutes Beispiel für diesen Zusammenhang: Der Brexit wurde auf dem Land herbeigesehnt, nicht in der Londoner City oder in den Industriezentren. Und deswegen müssen wir darauf achten, dass die ländlichen Räume nicht abgehängt werden.

Die Zahl der Bauern in der EU sinkt aber trotz der gemeinsamen Agrarpolitik seit Jahrzehnten dramatisch, so ganz funktioniert das Modell also nicht.

Volker Wissing ist rheinland-pfälzischer Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau; Foto: IW Medien Die Zahl der Bauern hat abgenommen und der Strukturwandel ist enorm – aber auch der Druck. Die Frage ist jetzt, ob man durch eine Kürzung der Agrarmittel den Druck auf den ländlichen Raum weiter erhöht und den Strukturwandel weiter rapide beschleunigt – oder ob man dafür sorgt, dass er sanfter vonstattengeht und auch neue Perspektiven entstehen, beispielsweise durch die Förderung neuer Technologien wie Smart Farming oder Digital Farming.

Im Übrigen würden in einem zweiten Schritt auch die erfolgreichen Industrieunternehmen und die wirtschaftlich starken Regionen, die am Export hängen, von einer Kürzung des EU-Agrarhaushalts getroffen. Denn wenn der ländliche Raum keine neuen Freihandelsabkommen unterstützt, bedeutet dies mittelfristig auch weniger Umsätze für die exportstarken Industrien.

Warum wollen Sie neue Technologien wie Smart Farming unterstützen? Wir haben doch jetzt schon eine Überproduktion in der Landwirtschaft der Europäischen Union.

Das stimmt, und wir haben auch Bedarf an Extensivierung. Gleichzeitig haben wir aber einen steigenden Bedarf beim Einsatz neuer Technologien, um beispielsweise Umweltstandards einzuhalten und die Rentabilität in der Landwirtschaft zu erhöhen. Denn wenn wir immer weniger Menschen haben, die sich in der Landwirtschaft engagieren, dann brauchen wir trotzdem ein ausreichendes Einkommen für diese Menschen, um überhaupt jemanden für die grünen Berufe zu begeistern.

Wie könnte denn der Einsatz von Smart Farming einem Bauern helfen, der für sein Kalb zurzeit nur 10 Euro bekommt?

Wir haben heute keine Perspektive, Milchviehwirtschaft ohne digitale Technologien zu betreiben. Ohne Melkroboter hätten wir kein Milchvieh, denn heute ist keiner mehr bereit, sieben Tage die Woche das ganze Jahr über zu melken. Außerdem ist die Digitalisierung auch ein Beitrag zu mehr Tierwohl: Ein Melkroboter, der den ganzen Tag bereitsteht, um Kühe zu melken, bedeutet auch, dass die Kühe nicht auf bestimmte Melkzeiten getrimmt werden müssen.

Gleichzeitig brauchen wir eine Strategie in ganz Europa, um die Qualität der Landwirtschaftsproduktion zu steigern und nicht die Quantität. In der Tat sind weniger als 10 Euro für ein Kalb eine Katastrophe und ich glaube, dass wir auch in der Züchtung andere Wege einschlagen müssen – weg von der Massenproduktion, sowohl in der Tier- als auch in der Pflanzenzucht.

Aber auch das geht nur mit staatlicher Unterstützung. Wir haben leider heute schon die Situation, dass Agrarprodukte zum Opfer von internationaler Handelspolitik werden. Ein Beispiel sind die Strafzölle der USA auf europäischen Wein, die wegen der Airbus-Subventionen verhängt worden sind. Die Leidtragenden sind also nicht die Industrieunternehmen, sondern die Menschen, die im ländlichen Raum Wein anbauen und in die Vereinigten Staaten exportieren. So etwas wird zu Recht als unfair empfunden.

Wohin exportieren die rheinland-pfälzischen Weinbauern?

Wir haben Weinbauern, die bis zu 80 Prozent in die USA liefern; es wird sehr schwer für diese Betriebe, sich neue Märkte zu suchen. Denn Wein ist ein sehr traditionelles Getränk, das über lange Zeit in einen neuen Markt eingeführt werden muss. Länder, in denen deutscher Wein keinen Marktanteil hat, kann man nicht von heute auf morgen erobern.

Müssen denn europäische Bauern und Winzer so stark auf den Export in Drittstaaten setzen?

Das ist genauso nötig oder unnötig wie der Export von Industriegütern in Drittstaaten. Es macht schon Sinn, unseren Wein auch außerhalb der EU zu vertreiben. Schließlich drängen auch ausländische Weine auf unseren Markt. Und die Verbraucher erwarten heutzutage auch, dass sie das ganze Jahr über frische Beeren oder andere saisonale Produkte kaufen können, die in ihrem eigenen Land gerade aufgrund der Jahreszeit nicht verfügbar sind.

Grundnahrungsmittel, die vor Ort produziert werden, sollten auch vor Ort konsumiert werden. Es ist unter Klimaschutzaspekten sinnlos, Kartoffeln von Spanien nach Deutschland zu exportieren und umgekehrt.

Wünschenswert wäre allerdings, Grundnahrungsmittel, die vor Ort produziert werden, auch vor Ort zu konsumieren. Es ist unter Klimaschutzaspekten sinnlos, Kartoffeln von Spanien nach Deutschland zu exportieren und umgekehrt.

Wer im Winter frische Beeren aus Chile oder Südafrika kauft, zahlt auch nicht den wahren Preis.

Das ist das Problem, die Erzeugerpreise sind zu niedrig. Wir müssen uns deshalb überlegen, wie wir es schaffen, angemessene Preise für landwirtschaftliche Produkte zu bekommen. Das ist vor allem im internationalen Handel eine große Herausforderung. In Europa können wir diesbezüglich mithilfe von mehr Markttransparenz schon einiges erreichen. Bei Bioprodukten ist uns das bereits gelungen, da haben wir das EU-Biosiegel mit klaren Kriterien, auf die sich der Verbraucher verlassen kann. In der Fleischerzeugung fehlt uns so etwas noch, hier bräuchten wir dringend eine verbindliche, europaweit einheitliche Kennzeichnung, die dem Verbraucher zeigt: Dieses Fleisch kommt aus Massentierhaltung und dieses nicht.

Blicken wir in die Zukunft. Wie hoch wird der EU-Agrarhaushalt 2030 sein?

Allein durch den Brexit wird der gemeinsame Agrarhaushalt deutlich niedriger ausfallen als heute. Das wird hart für die Landwirtschaft und es wird den Strukturwandel weiter beschleunigen. Doch das widerspricht den Vorstellungen, die wir von Extensivierung und umweltnaher Landwirtschaft haben. Sollten wir auf EU-Ebene keine ausreichende Finanzierung des Agrarsektors erzielen, müssen wir gegebenenfalls mit nationalen Mitteln weiterhelfen.

Und wie sind die Perspektiven für die biologische Landwirtschaft?

Der ökologische Landbau hat einen zunehmenden Marktanteil, allerdings wächst er sehr langsam. Wir haben umgekehrt in der konventionellen Landwirtschaft durch den Einsatz digitaler Technologien und neuer, moderner Pflanzenschutzmittel eine immer mehr vergleichbare Rückstandsfreiheit wie im ökologischen Landbau. Ich glaube, dass die beiden Anbauarten sich in den nächsten Jahren weiter angleichen werden.

Ist denn das Ziel der Bundesregierung, dass im Jahr 2030 ein Fünftel der landwirtschaftlichen Fläche biologisch bewirtschaftet werden soll, überhaupt erreichbar?

Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel. Wir haben uns in Rheinland-Pfalz das gleiche Ziel gesetzt und sind auf einem guten Weg: Aktuell werden 10 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in meinem Bundesland von Biobauern bewirtschaftet.

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