Kommentar: „Es gibt drei große Baustellen“
Deutsche Unternehmen klagen immer häufiger über Mängel der Infrastruktur, die sie in ihren Geschäftsabläufen behindern. Es wurde viel zu lange von der Substanz gelebt und zu wenig für die Infrastruktur getan, sagt Thomas Puls. Der IW-Verkehrsexperte fordert höhere staatliche Investitionen und einen weiteren Bürokratieabbau.
- Die Infrastruktur in Deutschland war einst vorbildlich, aber dann gab es viele Versäumnisse, sagt IW-Verkehrsexperte Thomas Puls.
- Der Investitionshaushalt müsse – auch wegen steigender Preise – kontinuierlich angehoben werden und nicht, wie von der Politik geplant, nur fortgeschrieben werden.
- Große Probleme für die Infrastruktur seien lange Planungsverfahren und der Fachkräftemangel, so Puls. Auch hier gibt es dringenden Handlungsbedarf.
Nach den Ausbaukampagnen der 1960er und der 1970er Jahre in Westdeutschland galt die deutsche Infrastruktur einst als vorbildlich. In der Folge ruhte man sich aber auf dem Erfolg aus, die Investitionen in die Infrastruktur sanken in den folgenden Jahren deutlich. Westdeutschland begann, von der Substanz zu leben.
Nach der Wiedervereinigung wurde in den 1990er Jahren stark in den Ausbau der ostdeutschen Infrastruktur investiert. Aber auch hier folgte das gleiche Muster: Abwarten statt weitermachen. Das blieb nicht ohne Folgen. Bereits 1999 stellte die vom damaligen Kanzler Gerhard Schröder eingesetzte Pällmann-Kommission erhebliche Investitionsdefizite im Verkehrsbereich fest. Doch die Warnungen wurden ignoriert. Die preisbereinigten Investitionen sanken sogar in den darauffolgenden zehn Jahren.
Die Folgen sind heute unübersehbar. Die Infrastruktur entwickelt sich immer mehr zum Standortnachteil, wie die Ergebnisse der neuesten IW-Unternehmensbefragung unterstreichen.
Fast 80 Prozent der befragten Firmen sehen sich in ihrer Geschäftstätigkeit durch Infrastrukturmängel eingeschränkt, 27 Prozent sprechen sogar von deutlichen Beeinträchtigungen.
Die in den 1960er und 1970er Jahren errichteten Infrastrukturen sind inzwischen um die 50 Jahre alt. Selbst bei guter Pflege würde in diesem Alter eine Generalsanierung fällig. Da es aber auch hier Versäumnisse gab, müssen nun wichtige Teile der Infrastruktur ersetzt werden.
Die Investionen in die Infrastruktur müssen entgengen der bisherigen Planungen der Politik in den kommenden Jahren kontinuierlich steigen.
Erste Schritte, um die Probleme zu bewältigen, wurden auf Bundesebene unternommen. Das reicht aber schlicht nicht, um die Lage zu verbessern. Es muss deutlich mehr kommen. So wurden die höheren Investitionen in die Infrastruktur seit 2015 weitgehend von steigenden Baupreisen geschluckt. In den Jahren 2021 und 2022 hat der Preisanstieg die Investitionen sogar real schrumpfen lassen. Das zeigt, dass der Investitionshaushalt entgegen den bisherigen Planungen auch im laufenden Jahrzehnt kontinuierlich und verlässlich steigen muss, damit die nötigen Arbeiten beauftragt werden können.
Genauso wichtig ist es, Planungs- und Genehmigungsverfahren massiv zu beschleunigen.
Sie sorgen inzwischen dafür, dass Neubauten von Bundesverkehrswegen im Schnitt etwa 20 Jahre dauern. Erste Schritte wurden mit mehreren Planungsbeschleunigungsgesetzen gemacht, aber auch hier gilt: Das reicht nicht. Bei Ersatzneubauten wie der Leverkusener Brücke wäre ein Verzicht auf die Planfeststellung eine sinnvolle Maßnahme.
Doch all dies wird nichts nützen, wenn es an der Umsetzung scheitert. In der Bauwirtschaft herrscht ein sich laufend verschärfender Fachkräftemangel – vom Bauingenieur über den Polier bis zum Tiefbauer. Das Fachkräfteproblem besitzt das Potenzial, die Infrastruktursanierung nachhaltig auszubremsen. Das sind schlechte Aussichten für die deutschen Unternehmen.