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Italien: Strukturprobleme della casa

Die populistische Regierung in Rom wirft der Europäischen Union vor, die italienische Wirtschaft durch zu strikte Sparvorgaben auszubremsen. Doch die Schuldzuweisungen an Brüssel gehen fehl – denn die langjährigen Wachstums- und Strukturprobleme Italiens sind hausgemacht.

Kernaussagen in Kürze:
  • Italien kämpft nicht nur mit seiner Staatsverschuldung, sondern mit generellen wirtschaftlichen Problemen wie dem schwachen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts und der hohen Arbeitslosigkeit.
  • Auffallend ist die schwache Produktivität der Unternehmen – diese ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die italienische Wirtschaft von Klein- und Kleinstunternehmen dominiert wird.
  • Aber auch der Staat legt den Unternehmen zu viele Steine in Form von Regulierungen in den Weg.
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So unterschiedlich die linke Fünf-Sterne-Bewegung und die rechte Lega, die Italien seit dem Frühjahr regieren, auch sind – auf einen gemeinsamen Sündenbock können sie sich leicht einigen: Demnach ist es die EU, die den Italienern den verdienten Wohlstand vorenthält.

Zweifellos hat die Republik mit großen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen (Grafik):

Die italienische Wirtschaft kam in den vergangenen fünf Jahren nicht über ein reales Wachstum von 1,5 Prozent hinaus.

Wichtige Wirtschaftskennziffern für Italien im Vergleich zu Deutschland und Spanien Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Deshalb hat das Land die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008/2009 noch immer nicht überwunden. Das nach 2007 von einer schweren Immobilienmarktkrise gebeutelte Spanien hat dagegen die Kurve gekriegt und sein Bruttoinlandsprodukt (BIP) seit 2015 sogar jährlich um mindestens 3 Prozent gesteigert. Folglich war das spanische Pro-Kopf-BIP 2017 real immerhin 0,4 Prozent höher als im Jahr 2007. Italien dagegen ist vom Wohlstandsniveau der Vorkrisenzeit noch immer fast 9 Prozent entfernt.

Sehr unerfreulich ist auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt:

Mehr als 11 Prozent aller Erwerbspersonen in Italien hatten 2017 keinen Job – in der Altersklasse der 15- bis 24-Jährigen betrug die Quote sogar fast 35 Prozent.

In Spanien war die Jugendarbeitslosenquote 2017 mit knapp 39 Prozent zwar noch höher, den Iberern gelang es jedoch, die Quote seit dem Höchststand von 2013 um rund 17 Prozentpunkte zu reduzieren. In Italien dagegen, wo der Höchstwert 2014 verzeichnet wurde, sank die Quote seither lediglich um 8 Prozentpunkte.

Der Frust über die wirtschaftliche Misere dürfte einer der wesentlichen Gründe dafür sein, dass viele Italiener bei der vergangenen Wahl für die populistischen Parteien gestimmt haben. Doch deren vermeintliche Wohltaten – wie die Möglichkeit, früher in Rente zu gehen, oder die Einschränkung befristeter Arbeitsverhältnisse – werden kaum helfen, Italien ökonomisch voranzubringen.

Italiens Unternehmen sind zu wenig produktiv

Die Hauptursachen für die schwache Wirtschaftsentwicklung sind struktureller Natur. So ist zum Beispiel die sogenannte totale Faktorproduktivität – sie misst, wie effizient Arbeit und Kapital in der Produktion eingesetzt werden – in Italien in den vergangenen Jahren oft nur schwach gewachsen oder sogar geschrumpft. Zwar reichte es 2017 zu einem Plus von 0,8 Prozent, doch das Produktivitätswachstum liegt weiterhin unter dem EU-Durchschnitt.

Vor allem kleine Unternehmen tun sich in der Regel mit Produktivitätssteigerungen schwer – und die italienische Wirtschaft ist stark von Mini-Firmen geprägt:

In Italien gibt es insgesamt rund 388.000 Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes – mehr als 82 Prozent davon haben maximal neun Beschäftigte.

Zum Vergleich: In Deutschland sind von den gut 200.000 Industrieunternehmen lediglich knapp 62 Prozent so klein.

Gebremst wird die Produktivitätsentwicklung und damit auch die gesamtwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zusätzlich dadurch, dass viele italienische Kleinbetriebe in Familienhand sind – geht es um Fragen der Unternehmensführung, zählen dann verwandtschaftliche Beziehungen oft mehr als Managementkompetenzen.

Im Jahr 2015 haben italienische Unternehmen nur 0,67 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung ausgegeben – im Schnitt aller OECD-Länder betrug die Quote 1,45 Prozent.

Hinzu kommen geringe Investitionen in Forschung und Entwicklung (FuE): Den neuesten Daten der OECD zufolge beliefen sich die FuE-Ausgaben italienischer Unternehmen 2015 nur auf 0,67 Prozent des BIP – im Schnitt aller OECD-Länder betrug die Quote 1,45 Prozent, in Deutschland sogar 1,91 Prozent.

Dies wiederum liegt auch daran, dass die italienischen Banken bei der Vergabe neuer Kredite auf die Bremse treten, weil sie nach wie vor auf vielen faulen Darlehen sitzen – im Juni 2018 galten fast 10 Prozent aller vergebenen Kredite in Italien als notleidend.

Der Staat macht den Unternehmen das Leben zu schwer

Und schließlich legen viele staatliche Regulierungen den italienischen Unternehmen Steine in den Weg (Grafik):

Im Doing-Business-Index der Weltbank belegt Italien lediglich Rang 51 von 190 untersuchten Ländern, während Deutschland trotz der hierzulande oft beklagten Bürokratie immerhin Platz 24 erreicht.

Italiens Platzierung im Doing-Business-Index der Weltbank, der die Unternehmensregulierung in ein 190 Ländern bewertet Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Besonders negativ wirken sich in Italien unter anderem die langwierigen Genehmigungsverfahren für Firmen aus, die ein Lagergebäude errichten wollen. Zudem dauert es für Unternehmen überdurchschnittlich lange und ist zu kostspielig, geschäftliche Ansprüche im Streitfall vor Gericht durchzusetzen.

Am schlechtesten schneidet Italien mit Rang 118 in Sachen Steuersystem ab. Die dortigen Firmen müssen mehr als 53 Prozent ihres Gewinns in Form von Steuern und Abgaben abführen – im Schnitt der fortgeschrittenen OECD-Volkswirtschaften sind es weniger als 40 Prozent. Zudem benötigen Betriebe in Italien durchschnittlich 238 Stunden pro Jahr, um alle Vorschriften für die Entrichtung der wichtigsten Steuern zu befolgen. Damit ist der Aufwand um ein Drittel höher als im Mittel der vergleichbaren OECD-Länder.

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