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Ist die Schuldenbremse zeitgemäß?

Seit 2009 hat Deutschland eine Schuldenbremse. Niklas Potrafke, Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie, hält sie weiterhin für zentral, damit die Politik priorisiert und staatliche Ausgaben sorgfältig prüft. Für IW-Direktor Michael Hüther ist sie in ihrer jetzigen Form ein Hemmschuh für wichtige Investitionen und deshalb reformbedürftig.

Kernaussagen in Kürze:
  • Seit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts wird wieder viel über Sinn und Unsinn der Schuldenbremse diskutiert.
  • Die Schuldenbremse ist gerade jetzt wichtig, denn die Politik muss priorisieren, da der Staat kein Einnahmeproblem hat, sagt Niklas Potrafke.
  • Michael Hüther plädiert dagegen für eine Reform der Schuldenregel, um finanzielle Spielräume für Investitionen etwa in den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft zu gewinnen.
Ja,
sagt
Niklas Potrafke,

Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie

Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 wird wieder lebhaft über die Schuldenbremse diskutiert. Jetzt heißt es, sie sei nicht mehr zeitgemäß, weil die Herausforderungen – Klimawandel, dringender Investitionsbedarf, geopolitische Risiken – zu groß seien. Ja, die Herausforderungen sind groß und es gilt, die öffentlichen Investitionen auszuweiten und mehr zum Schutz des Klimas, in die Infrastruktur, Verteidigung, Bildung etc. zu investieren. Aber das sollte ohne neue Schulden passieren. Die Schuldenbremse ist gerade jetzt wichtig. Die erneute Debatte um die Schuldenbremse unterstreicht dies eindrucksvoll. In der Vergangenheit war es leicht, die Schuldenbremse einzuhalten – angesichts niedriger Zinsen und einer gleichzeitig wachsenden Wirtschaft. Nun ist die makroökonomische Lage schwieriger und schon sollen es neue Schulden richten. Die Schuldenbremse hält die Politik an, Prioritäten zu setzen und sorgfältig zu prüfen, wofür öffentliche Mittel verwendet werden sollen.

Die diskutierten Reformvorschläge überzeugen jedoch nicht.

Der demografische Wandel erfordert unabdingbare Reformen unserer sozialen Sicherungssysteme. Allen voran sollte das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung angepasst werden. Das ist lange bekannt, aber die Politik rührt sich nicht. Vielmehr werden immer mehr Steuermittel der Rentenkasse zugeführt, um die durch den demografischen Wandel steigenden Rentenausgaben bestreiten zu können. Dieses Geld fehlt für öffentliche Investitionen. Eine Reformdebatte, wie die konsumtiven Ausgaben deutlich reduziert werden können – neben den Steuerzuschüssen in die Sozialversicherungen sind das auch Subventionen –, ist dringend notwendig und der Schlüssel zur Frage, wie höhere Investitionen finanziert werden können.

Empirische Studien liefern Evidenz zur Wirkung von Fiskalregeln wie der Schuldenbremse. Sie legen nahe, dass die Politik an der Schuldenbremse festhalten sollte, wenn sie weiterhin von niedrigen Risikoprämien auf Staatsanleihen profitieren und in den Genuss von ordentlichem Wirtschaftswachstum kommen möchte.

Berechtigt ist die Frage, ob die Schuldenbremse reformiert werden sollte, um sie besser zu machen. Die diskutierten Reformvorschläge überzeugen jedoch nicht. Dies gilt gerade auch für den bedeutendsten Reformvorschlag, investive Ausgaben von der Schuldenbremse auszunehmen. Es ist schwierig, Ausgaben als investiv oder konsumtiv zu deklarieren. Die Politik hätte immer einen Anreiz, sämtliche von ihr bevorzugten Ausgaben als investiv zu verkaufen und sie über Schulden zu finanzieren.

Weitere kleinere Reformvorschläge scheinen gemacht zu werden, um auf Teufel komm raus einen Reformprozess in Gang zu setzen, der die Schuldenbremse lockern und untergraben soll. Dem gilt es konsequent Absagen zu erteilen und die Schuldenbremse ohne solche Reformen zu erhalten.

Nein,
sagt
Michael Hüther,

Direktor und Mitglied des Präsidiums

Muss die Schuldenbremse abgeschafft werden? Nein. Das Grundgesetz hat seit 1949 eine Schuldenregel und internationale Erfahrungen belegen, dass die disziplinierte Budgetpolitik wachstumsförderlich wirkt. Wer die Abschaffung fordert oder diese Forderung anderen unterstellt, der führt Scheindebatten. Ist die Schuldenbremse reformbedürftig? Ja. Jede Regel findet in der Wirklichkeit ihren Meister. Das führt zu Lektionen. Und wer wollte nicht lernfähig sein?

Die Reformbedarfe sind technischer und konzeptioneller Natur, genannt sei nur dies: Die Option, für eine Notlage die Schuldenbremse auszusetzen, ist mit einer Tilgungspflicht verbunden, die fragwürdige Effekte hat, wenn sie budgetpolitische Handlungsspielräume einschränkt und volkswirtschaftlich kontraproduktiv wirkt. Aus der überraschenden Interpretation des Verfassungsgerichts, dass eine Notlage sich an Jährlichkeit und Jährigkeit zu orientieren habe, folgt offenkundig gesetzgeberischer Korrekturbedarf.

Unklar ist, wie der Finanzierungsbedarf für die Infrastruktur- und Transformationsinvestitionen gedeckt werden kann. Der starre Spielraum für die konjunkturunabhängige Verschuldung im Jahr – 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – reicht dafür nicht. Das Klimagesetz verlangt bis 2045 klimaneutrale Produktion und Konsum. Ein Strukturwandel per Termin war wirtschaftspolitisch noch nie zu leisten, das stellt die Finanzierung vor neue Herausforderungen. Eine Generation wird es nicht aus ihren Steuerzahlungen leisten können.

Dass 20 Prozent des Bundeshaushalts eingespart werden können, ist eine aberwitzige Vorstellung.

Große Steuerreformen, wie zuletzt unter den Kanzlern Kohl und Schröder mit erheblichen Entlastungen für Bürger und Unternehmen, folgten der berechtigten Idee, dass sie sich durch höhere wirtschaftliche Dynamik nachfinanzieren. In der Logik der Schuldenbremse müssen sie strukturell vorfinanziert werden. Da das nie gelingt, ist die Schuldenbremse eine Steuersenkungsbremse.

Reformvorschläge gibt es mittlerweile von vielen Seiten: vom Sachverständigenrat, vom Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums, aus dem Institut der deutschen Wirtschaft. Die Diskursverweigerung derjenigen, die jede Änderung ablehnen, trägt nicht mehr.

Was bleibt an Gegenargumenten? Dass sich Länder mit Schuldenregeln ökonomisch besser entwickeln, bestreitet niemand. Dass es deshalb exakt unserer Schuldenbremse bedarf, ist sehr wohl zu bestreiten. Verwiesen wird auf Umschichtungen im Haushalt, sodass die notwendigen Investitionen und die gebotene Steuerreform ohne Kredite möglich würden; hinzu kämen noch gut 40 Milliarden Euro für Verteidigung, die im Finanzplan für 2027 fehlen. Dass 20 Prozent des Bundeshaushalts eingespart werden können, ist eine aberwitzige Vorstellung.

Wenn gar nichts mehr hilft, wird der Kulturkampf ausgerufen: Es formiere sich eine neue Welt mit Schuldenmachern. Schon angesichts der Reformbefürworter – bis hin zur Bundesbank – kann man dies in das Reich der Märchen verbannen. Argumente müssen sich an ihrem sachlichen Gehalt und dem Beitrag zur Problemlösung messen lassen. Die Verteidiger der Schuldenbremse bleiben solche Argumente schuldig.

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