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Deutschland hat Spielraum für zusätzliche Schulden

Seit Wochen ringen Bundesfinanzminister Christian Lindner und seine Ministerkollegen um den Bundeshaushalt. Finanziell hätte Deutschland durchaus Spielräume, um über Schulden essenzielle Investitionen zu tätigen. Dazu müsste sich die Politik aber von der restriktiven Umsetzung der Schuldenbremse lösen und sich stattdessen an den Maastricht-Kriterien orientieren.

Kernaussagen in Kürze:
  • Um sowohl den Ausbau der erneuerbaren Energien als auch die Digitalisierung voranzutreiben, muss Deutschland in Zukunft deutlich mehr investieren.
  • Jene dringenden Investitionen könnte die Regierung über Schulden finanzieren, ohne dass die Schuldenstandsquote stark steigen würde.
  • Dafür müsste die Politik allerdings die Schuldenbremse flexibler gestalten.
Zur detaillierten Fassung

Der Ausbau der erneuerbaren Energien stockt, die Infrastruktur bröckelt zunehmend und die Wirtschaft muss dringend digitalisiert und transformiert werden – in Deutschland herrscht bereits seit geraumer Zeit ein ganz erheblicher Reformstau.

Das Institut der deutschen Wirtschaft rechnet für das Jahr 2023 mit einer Investitionsquote – also den Investitionen gemessen an den gesamten Staatsausgaben – von 5,6 Prozent. Zum Vergleich: Vor der Coronapandemie lag der Wert bei 5,4 Prozent. Eine Investitionsoffensive sieht anders aus.

Grundsätzlich stellt sich beim Thema Investitionen immer zuerst die Frage nach der Finanzierung. Für die Bundesrepublik kann die Antwort darauf allerdings auf keinen Fall höhere Steuern und Abgaben lauten (Grafik):

Die Steuer- und Abgabenquote liegt bereits seit Jahren auf einem hohen Niveau, 2023 summieren sich die Steuern auf 24,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Steuereinnahmen beziehungsweise Abgaben in Deutschland in Prozent des Bruttoinlandsprodukts Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Die Bürger weiter zu belasten, würde zudem negative Auswirkungen auf viele andere Bereiche wie den privaten Konsum nach sich ziehen, weil Geld bekanntlich nicht doppelt ausgegeben werden kann.

Ein anderer Ansatz, um finanzielle Mittel für dringende Projekte freizumachen, könnte die Streichung von Subventionen sein. Denn die Subventionsquote, also der Anteil der Subventionen an den gesamten Staatsausgaben, liegt 2023 voraussichtlich bei 4 Prozent; vor Corona waren es gerade einmal 2 Prozent. Im Jahr 2022 beliefen sich die Subventionen auf 73 Milliarden Euro.

Darüber hinaus hat die Regierung die Möglichkeit, wichtige Impulse für das Land über Schulden zu finanzieren. Das große Problem: die restriktive Schuldenbremse. Dass dieses Instrument in seiner jetzigen Form auch aus Sicht der Politik Schwierigkeiten verursacht, zeigte sich nicht zuletzt darin, dass die Regierung mittlerweile diverse Sondervermögen geschaffen hat, um die Kriterien haushaltstechnisch formal einzuhalten. Bestes Beispiel dafür sind die 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Instandsetzung der Bundeswehr. Die Opposition sprach nicht nur einmal von einem Schattenhaushalt – wobei sie selbst für diese Unterstützung gestimmt hat.

Eine flexiblere Schuldenbremse würde der Politik helfen, dringende Investitionen in Digitalisierung, Energiewende und Co zu tätigen.

Im EU-Vergleich hat Deutschland wenig Schulden

Um die ökonomischen Gegebenheiten und die Tragfähigkeit des deutschen Staatshaushalts einschätzen zu können, bietet sich im Vergleich zur Schuldenbremse eine andere Größe als Referenz deutlich besser an: die Schuldenstandsquote.

Hier zeigt sich mit Blick auf den Euroraum, dass Deutschland besser durch die Coronakrise gekommen ist als andere Staaten (Grafik):

Von 2018 bis 2021 stieg die Staatsverschuldung in Deutschland von 61,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 68,6 Prozent. Für das Jahr 2023 rechnet das IW mit einer Quote von 65,4 Prozent.

Staatsverschuldung in Prozent des Bruttoinlandsprodukts Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

In Frankreich ist die Schuldenstandsquote von 2018 bis 2021 um 15 Prozentpunkte auf 112,8 Prozent gestiegen. Spanien und Italien legten ebenfalls in dieser Größenordnung zu und standen 2021 bei 118,3 Prozent beziehungsweise bei rund150 Prozent.

Der deutsche Staat ist finanziell folglich deutlich besser aufgestellt als die anderen großen Volkswirtschaften der Eurozone. Derzeit plant die Bundesregierung für das kommende Jahr mit einem Finanzierungsdefizit von etwa 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Maastricht-Kriterien erlauben eine Finanzierungslücke von bis zu 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Aufgrund des nominal wachsenden BIP wird die Schuldenstandsquote voraussichtlich unter die Marke von 65 Prozent fallen. Der Clou:

Deutschland könnte 80 Milliarden Euro mehr Schulden für 2024 aufnehmen, innerhalb der Maastricht-Vorgaben agieren und die Schuldenstandsquote würde nur minimal steigen.

Es gibt also noch erheblichen Spielraum für die Haushaltspolitik, wenn der Staat sich vom Korsett der Schuldenbremse löst. Es gilt aber nach wie vor: Schulden sollten nicht leichtfertig aufgenommen werden. Vielmehr muss die Politik im Blick haben, welche Investitionen dringend notwendig sind, um die Position des Wirtschaftsstandorts Deutschland wenigstens zu halten und im Optimalfall zu verbessern.

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