IW-Konjunkturprognose Lesezeit 3 Min.

Interview: „Wir müssen in Deutschland produktiver werden“

Die Konjunktur in Deutschland lahmt, gleichzeitig ist der Investitionsbedarf so groß wie nie. IW-Geschäftsführer Hubertus Bardt spricht sich deshalb für eine ambitioniertere Standortpolitik aus.

Kernaussagen in Kürze:
  • Um dringend notwendige Investitionen zu tätigen, ist das derzeitige Wirtschaftswachstum Deutschlands zu gering, sagt IW-Geschäftsführer Hubertus Bardt.
  • „Wenn wir unser Wohlstandsniveau halten wollen und zusätzlich noch demografisch bedingte Produktionseinschränkungen ausgleichen wollen, dann müssen wir ein höheres Produktivitätswachstum organisieren," so Bardt.
  • Dafür seien zusätzliche Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung sowie moderne Ausrüstungen vonnöten – die nötigenfalls auch mithilfe neuer Schulden gestemmt werden müssten.
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Das IW geht für Deutschland in diesem Jahr von einem Mini-Wirtschaftswachstum von ¼ Prozent aus. Reicht das, um die anstehenden Herausforderungen – zum Beispiel den Umbau hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft und höhere Verteidigungsausgaben – zu finanzieren?

Hubertus Bardt ist Geschäftsführer im Institut der deutschen Wirtschaft; Foto: IW

Das reicht nicht. Wir bräuchten sogar ein höheres Wachstum als das vor Corona, um wieder auf das Wohlstandsniveau zu kommen, das wir ohne Pandemie und Krieg gehabt hätten. Dann könnten wir diese großen Investitionen für die Transformationsprozesse leichter stemmen und mit dem demografischen Wandel besser umgehen.

Wie realistisch ist das?

Konjunktur ist ein kurzfristiges Phänomen, sie beschreibt die Schwankungen unserer ökonomischen Aktivitäten oftmals aufgrund von plötzlich auftretenden Schocks. Das mittlere Wachstumsniveau muss also nicht so niedrig bleiben wie in der Rezession.

Für ein fortgeschrittenes Land ist es nicht untypisch, dass die Wachstumsraten der Produktivität im Zeitablauf kleiner werden. Aber je näher wir an der Nulllinie sind, desto eher drohen Wohlstandseinbußen. Notwendig ist deshalb eine grundlegende Investitionsoffensive.

Wenn wir allerdings unser Wohlstandsniveau halten wollen und zusätzlich noch demografisch bedingte Produktionseinschränkungen ausgleichen wollen, dann müssen wir ein höheres Produktivitätswachstum organisieren. Wenn weniger Menschen arbeiten, dann müssen wir produktiver werden. Das klappt vorwiegend mit Bildung, Forschung und Investitionen in moderne Ausrüstungen.

Wie viel Produktivitätswachstum pro Jahr bräuchten wir dafür?

Über die letzten fünf Jahre haben wir im Durchschnitt in Deutschland immer ein Produktivitätswachstum von 0,6 Prozent gehabt. Das ist nicht riesig, aber für ein fortgeschrittenes Land ist es nicht untypisch, dass die Wachstumsraten im Zeitablauf kleiner werden. Aber je näher wir an der Nulllinie sind, desto eher drohen Wohlstandseinbußen. Notwendig ist eine grundlegende Investitionsoffensive: in Infrastruktur, moderne Ausrüstungen und effiziente Gebäude, in Forschung und Entwicklung und natürlich ins Bildungswesen. Die Liste der Notwendigkeiten ist lang!

Sind neue Schulden dafür die Lösung?

Wir haben riesige öffentliche Ausgabenbedarfe. Allein für den Verteidigungsetat rechnen wir, wenn das Sondervermögen aufgebraucht ist, mit zusätzlich mehr als 30 Milliarden Euro im Jahr. Auch bei den sozialen Sicherungssystemen und der Infrastruktur bestehen erhebliche Zusatz- sowie Reinvestitionsbedarfe. Hinzu kommen die Kosten für die ökologische Transformation sowie die Digitalisierung. Es wird nicht leicht, die Investitionen – wenn notwendig auch über Schulden – zu finanzieren und gleichzeitig den Druck auf klare Priorisierungen und Sparsamkeit im Haushalt aufrechtzuerhalten.

Welche Maßnahmen wären darüber hinaus sinnvoll?

Im Grunde bräuchten wir eine bessere Standortpolitik. In Deutschland haben sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten schleichend die Standortbedingungen verschlechtert: durch höhere Lohnstückkosten, steigende Unternehmenssteuern, teure Energie und den Fachkräftemangel. Da muss gegengesteuert werden.

Mit Blick auf die Industrie braucht es darüber hinaus das richtige Regelwerk und einen geeigneten Förderrahmen, damit Firmen die Investitionen in die Dekarbonisierung stemmen können, die sich nicht am Markt refinanzieren lassen. Die Schwierigkeit besteht hier in erster Linie darin, nicht einfach jedes Unternehmen zu fördern, denn natürlich wollen alle Betriebe Unterstützung in diesem Prozess, aber längst nicht immer ist es nötig.

An Regeln mangelt es ja nicht ...

So langweilig diese Forderung mittlerweile klingen mag, sie ist nach wie vor aktuell: Der Staat muss Genehmigungsverfahren verschlanken und Regularien eindampfen. Dass das geht, zeigen die überaus schnell aufgebauten Flüssiggasterminals an der deutschen Nordseeküste.

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