Gesetzliche Krankenversicherung Lesezeit 2 Min.

Interview: „Wir brauchen eine ergänzende private Pflichtversicherung“

Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung steigen, gleichzeitig wankt das Solidaritätsversprechen. Jochen Pimpertz, Leiter des Clusters Staat, Steuern und Soziale Sicherung im IW, spricht sich daher für eine Reform aus, die beide Probleme in den Griff bekommt.

Kernaussagen in Kürze:
  • Um das Ausgabenwachstum der gesetzlichen Krankenversicherung zu bremsen und das Solidaritätsversprechen zu wahren, schlägt IW-Experte Jochen Pimpertz eine zweite private Finanzierungssäule vor.
  • In dieser für alle verpflichtenden, jedoch individuell gestaltbaren kapitalgedeckten Krankenversicherung würden Versicherte dann eigenverantwortlich für ihre künftigen Ausgaben vorsorgen.
  • Einkommensschwächere Menschen würden zwar steuerfinanzierte Zuschüsse benötigen – das wäre aber für den Staat immer noch günstiger, als die gesamte Finanzierungslücke in der GKV zu schließen, so der Leiter des Clusters Staat, Steuern und Soziale Sicherung im IW.
Zur detaillierten Fassung

Kann in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) trotz der alternden Bevölkerung dauerhaft das Solidaritätsversprechen gewahrt werden?

Das geht – zum Beispiel mit einem dauerhaft festgeschriebenen Beitragssatz. Dann können die Beitragslasten für jüngere Generationen nicht mehr steigen, nur weil die Versichertengemeinschaft altert.

Bei weiterhin steigenden Ausgaben würden dann aber Einnahmen fehlen.

Deshalb braucht es eine zweite Finanzierungssäule. Ich denke dabei an einen ähnlichen Weg wie bei Beamten: Deren Beihilfe deckt nur einen Teil ihrer Behandlungskosten ab, weswegen sie sich für den vollen Versicherungsschutz ergänzend in einer privaten Krankenversicherung absichern müssen.

In einer kapitalgedeckten Krankenversicherung sorgen Versicherte eigenverantwortlich für ihre künftigen Ausgaben vor.

Das kann auch für die GKV funktionieren. Den überwiegenden Teil der Ausgaben finanzieren weiterhin solidarische Beiträge, der Beitragssatz bliebe aber konstant. Und die dann noch bestehende Finanzierungslücke ließe sich mit einer für alle verpflichtenden, jedoch individuell gestaltbaren privaten Versicherung schließen. In einer solchen kapitalgedeckten Krankenversicherung sorgen Versicherte dann eigenverantwortlich für ihre künftigen Ausgaben vor. Deshalb können ihre Kosten nicht auf nachfolgende Generationen abgewälzt werden.

Jochen Pimpertz ist Leiter des Clusters Staat, Steuern und Soziale Sicherung im IW; Foto: IW Medien Und wenn man sich keine Zusatzversicherung leisten kann?

Zunächst einmal profitieren Ältere mit einem höheren Gesundheitsrisiko weiterhin von der solidarischen Beitragsfinanzierung. Denn sie benötigen im Schnitt häufiger und oftmals teurere medizinische Hilfe, zahlen aber aufgrund ihres niedrigeren Renteneinkommens einen geringeren Betrag ein. Einkommensschwächere Menschen würden steuerfinanzierte Zuschüsse benötigen, um sich die ergänzende Versicherungsprämie leisten zu können. Das wäre aber für den Staat immer noch günstiger, als die gesamte Finanzierungslücke in der GKV zu schließen.

Das Problem der stetig steigenden GKV-Ausgaben bestünde dann aber immer noch.

Auch auf der Ausgabenseite kann eine ergänzende Finanzierungssäule helfen. Denn eine Versicherungsprämie wird nicht nach der Einkommenshöhe berechnet, sondern nach den erwarteten Kosten. Wenn Versicherte zwischen Modellen wählen können, in denen die Versorgung zu unterschiedlich hohen Kosten geschieht – zum Beispiel in der ambulanten Versorgung mit freier Arztwahl oder in einem von der Krankenkasse organisierten hausarztzentrierten Modell –, dann machen unterschiedliche Kosten auch einen Unterschied in der Prämienhöhe aus.

Wir brauchen ein Preissignal.

Bislang haben die Versicherten aber keinen finanziellen Anreiz, auf die freie Arztwahl zu verzichten. Denn der GKV-Beitrag hängt von der Höhe ihres Einkommens ab, nicht von der Wahl des Modells. Was wir aber brauchen, ist ein Preissignal. Dann lohnt es sich für die Krankenkassen, mit einzelnen Anbietern separat günstigere Entgelte auszuhandeln und Netzwerke aufzubauen, bei denen zum Beispiel Hausärzte als Lotsen agieren, wenn es einen Spezialisten braucht.

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