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Interview: „Uns fehlt ein liberaler Kandidat“

Warum scheint Emmanuel Macron der Wahlsieg sicher? Und wie wird sich die Wirtschaft in Frankreich angesichts des Ukraine-Kriegs entwickeln? Antworten darauf gibt Denis Ferrand, Generaldirektor des französischen Wirtschaftsforschungsinstituts Rexecode.

Kernaussagen in Kürze:
  • „Man mag die Art und Weise, wie Macron Politik macht, kritisieren, doch er hat ein anspruchsvolles Programm vorgelegt, das eine klare Vision und wirtschaftliche Themen beinhaltet,“ kommentiert der Generaldirektor des französischen Wirtschaftsforschungsinstituts Rexecode, Denis Ferrand, die bevorstehende Präsidentschaftswahl.
  • Eines der Hauptprobleme Frankreichs ist seiner Meinung nach die im EU-Vergleich geringe Beschäftigungsrate von Niedrigqualifizierten.
  • Der Ukraine-Krieg dämpft auch die französische Wirtschaft. Ferrand geht davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt in Frankreich in diesem Jahr nur um 2,9 Prozent wachsen wird – 1,1 Prozentpunkte weniger als zuvor erwartet.
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Wie sehr beeinflusst der Krieg in der Ukraine die Wahl in Frankreich?

Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Umstand nur dem Krieg in der Ukraine geschuldet ist oder nicht auch der Corona-Krise oder den sozialen Medien, die dazu führen, dass kein Raum für echte politische Wahldebatten in Frankreich bleibt. Herr Macron hat erst vor zwei Wochen sein Wahlprogramm vorgestellt, wir haben in mancher Hinsicht also einen enorm verkürzten Wahlkampf.

Eigentlich müssten wir in Frankreich Themen wie die Rentenreform oder die Energiepolitik diskutieren, doch für echte politische Wahldebatten bleibt kein Raum.

Was müsste denn debattiert werden?

Zum Beispiel das Rentenalter. In Frankreich gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen dazu – Emmanuel Macron will das Renteneintrittsalter auf 65 Jahre erhöhen, Marine Le Pen, Jean-Luc Mélenchon und einige andere Kandidaten finden, dass 60 Jahre ausreichen. Wenn man solche gewichtigen Themen nicht jetzt schon diskutiert, wird es schwierig, sie nach der Wahl umzusetzen. Das gilt auch für ein anderes Thema: die Energiepolitik. Auch Frankreich muss mehr erneuerbare Energien erzeugen und dann ist da die Atomenergie, auf die wir sehr stolz sind, die aber in den vergangenen zehn Jahren beträchtlich geschrumpft ist.

Ist aus wirtschaftlicher Perspektive ein anderer Präsident als Emmanuel Macron möglich?

Man mag die Art und Weise, wie Macron Politik macht, kritisieren, doch er hat ein anspruchsvolles Programm vorgelegt, das eine klare Vision und wirtschaftliche Themen beinhaltet. Allerdings finde ich es problematisch und ineffizient, dass Macron die Rolle des Staates auch in vielen wirtschaftlichen Belangen weiter stärken will. Das gilt übrigens für alle Kandidaten, uns fehlt ein liberaler Kandidat.

Denis Ferrand ist Generaldirektor des französischen Wirtschaftsforschungsinstituts Rexecode; Foto: David Maurel In Deutschland sind die Wirtschaftsprognosen aufgrund des Ukraine-Kriegs deutlich schlechter geworden. Ist die Situation in Frankreich ähnlich?

Ja, allerdings weniger dramatisch als in Deutschland, weil wir weniger abhängig sind von russischem Gas und anderen Gütern aus Russland. Wir haben unsere Prognose für das französische Wirtschaftswachstum für dieses und nächstes Jahr gegenüber dem Dezember um jeweils 1,1 Prozentpunkte reduziert, sodass wir nun davon ausgehen, dass das Bruttoinlandsprodukt in Frankreich in diesem Jahr nur um 2,9 Prozent wachsen wird.

Eines der größten Probleme Frankreichs ist die Ungleichheit zwischen den Regionen. Wie kann dieses Problem gelöst werden?

Ich bin nicht sicher, ob das unser Hauptproblem ist. Meiner Meinung nach hat Frankreich ein anderes großes Problem: Die im EU-Vergleich geringe Beschäftigungsrate von Niedrigqualifizierten. Für Menschen mit diesem Qualifikationsniveau weist Frankreich die niedrigste Beschäftigungsrate in der gesamten EU aus und gleichzeitig ist in keinem anderen EU-Land der Abstand zwischen Niedrig- und Hochqualifizierten so groß wie in Frankreich.

Nochmal zurück zur Ukraine. Polen hat bereits mehr als zwei Millionen ukrainische Flüchtlinge aufgenommen, Deutschland knapp 300.000. Frankreich will bis zu 100.000 Flüchtlinge aufnehmen – ist das genug?

Es gibt einen Unterschied zwischen Ankündigungen und Taten, das hat man auch während der Corona-Krise gesehen. Für Frankreich kann es nämlich schon aus rein egoistischen Gründen eine gute Idee sein, Menschen aus der Ukraine willkommen zu heißen, weil wir – ähnlich wie in Deutschland – große Rekrutierungsprobleme haben. Die Ukrainer sind gut ausgebildet und sie können für unsere Wirtschaft sehr hilfreich sein. Ich denke, dass wir mehr als 100.000 Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen werden. Das merkt man schon daran, dass die Menschen ihre Wohnungen und Häuser aus eigenem Antrieb für diese Leute öffnen.

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