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Interview: „Frankreich und Deutschland werden enger zusammenrücken“

Der Ukraine-Krieg beeinflusst nicht nur den Wahlkampf in Frankreich, sondern auch die wirtschaftlichen Beziehungen zu den Nachbarstaaten. Patrick Brandmaier, Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Französischen Industrie- und Handelskammer, geht davon aus, dass die beiden Länder wirtschaftlich künftig noch enger zusammenarbeiten werden.

Kernaussagen in Kürze:
  • Patrick Brandmaier, Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Französischen Industrie- und Handelskammer, sieht eine breite Unterstützung der Wirtschaft für den amtierenden und erneut zur Wahl angetretenen Emmanuel Macron.
  • Die Unternehmer sähen, dass Macrons Reformkurs mit niedrigeren Produktionssteuern und Liberalisierungen in die richtige Richtung gehe und hofften, dass die Politik weiter an Rahmenbedingungen arbeitet, die die Wirtschaft noch wettbewerbsfähiger machen.
  • Die politische Stabilität und die Nähe zu Deutschland machten Frankreich in unsicheren Zeiten zudem zu einem noch wichtigeren Partner als bislang, so Brandmaier.
Zur detaillierten Fassung

Herr Brandmaier, ist die Wahl in Frankreich aus Ihrer Sicht schon gelaufen?

Wenn man den politischen Beobachtern und Umfragen glauben darf und den Debatten im öffentlichen Raum folgt, dann ergibt sich ein recht klares Bild: Der aktuelle Präsident Emmanuel Macron liegt mit plus/minus 30 Prozent Zustimmung mit Blick auf den ersten Wahlgang nach wie vor vorne. Zudem ist von den anderen Kandidaten keiner so in Erscheinung getreten, dass man eine entscheidende Veränderung erwarten kann. Das große Bild steht somit für die meisten Franzosen schon fest. Allerdings entscheidet sich die Wahl in Frankreich erst mit dem zweiten Wahlgang, der natürlich offen ist.

Sind die Franzosen damit glücklich?

Für die meisten Franzosen ist derzeit das Thema Kaufkraft wichtig – auch in Frankreich sind die Energiepreise und die Verbraucherpreise insgesamt stark gestiegen, was durch den Ukraine-Krieg noch mal verstärkt wird. Diese Themen bewegen die Menschen und darauf erwarten sie auch Antworten von der Politik. Die Debatten diesbezüglich drehen sich hier in Frankreich vor allem darum, ob man die gesamte Bevölkerung entlastet oder nur den Teil, der über eine geringe Kaufkraft verfügt.

In den Unternehmen gibt es einen großen und breiten Zuspruch für die vergangenen fünf Jahre der Regierung Macron. Denn es wurden Reformen angepackt und realisiert, deren erste Ergebnisse die Wirtschaft nun sieht.

Das zweite Thema, das die Franzosen bewegt, ist die Frage nach künftigen Reformen. Groß debattiert wird vor allem die verschobene Rentenreform, die der Kandidat Macron bei einer Wiederwahl relativ schnell angehen will. Diese Reform löst bei breiten Bevölkerungsschichten Sorgen aus und hat wahrscheinlich dazu geführt, dass Macron in den jüngsten Umfragen ein wenig zurückgefallen ist – obwohl er seit der russischen Invasion in der Ukraine einen regelrechten Schub erlebte als souverän agierender Staatsmann im Kriegs- und Krisenfall.

Und wie sieht die Wirtschaft eine zweite Amtszeit von Macron?

Eindeutig positiv. Bei unseren 800 Mitgliedern und den französischen Mitgliedsfirmen gibt es einen großen und breiten Zuspruch für die vergangenen fünf Jahre der Regierung Macron. Denn es wurden Reformen angepackt und realisiert, deren erste Ergebnisse die Wirtschaft nun sieht. So hat sich beispielsweise die Arbeitslosigkeit erheblich verringert: Als Herr Macron antrat, lag die Arbeitslosenquote bei 11 Prozent, heute nähert sie sich der 7-Prozent-Marke. Die Unternehmer sehen, dass dieser Reformkurs mit niedrigeren Produktionssteuern und Liberalisierungen in die richtige Richtung geht, und hoffen, dass die Politik weiter an Rahmenbedingungen arbeitet, die die Wirtschaft noch wettbewerbsfähiger machen.

Patrick Brandmaier ist Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Französischen Industrie- und Handelkammer; Foto: KLUBA Und in welchen Punkten hätten die Betriebe mehr erwartet?

Die Unternehmen hätten schon gerne gesehen, dass die Rentenreform in der aktuellen Legislaturperiode kommt, um diesen Schwung in der Post-Covid-Phase, die nun natürlich durch den Krieg beeinträchtigt ist, mitzunehmen.

Als Folge des Angriffskriegs betont Macron, die französische Wirtschaft müsse unabhängiger werden. Steht zu befürchten, dass dieser Kurs der deutsch-französischen Zusammenarbeit schaden könnte?

Das große Ziel Macrons ist die Reindustrialisierung. Der Anteil der industriellen Produktion am Bruttoinlandsprodukt ist in Frankreich etwa halb so groß wie in Deutschland. Über diesen Abstand ist man sich in Frankreich bewusst und man würde ihn gerne reduzieren – nicht, weil man zu Deutschland aufschließen will, sondern weil man sich für die Wirtschaft und die Haushaltssituation eine signifikante Verbesserung erhofft. Denn eine stärkere französische Industrie würde die Arbeitslosigkeit weiter senken, die Sozialsysteme entlasten und für ein höheres Steueraufkommen sorgen.

Daneben hat Macron aber auch ein klares Interesse an mehr Autonomie innerhalb Europas. Er will Frankreich und die europäischen Nachbarstaaten weniger abhängig machen von anderen großen Staaten wie den USA, China und eben auch Russland, wo wir vor allem Abhängigkeiten im Energiebereich haben. Hier geht es also ganz klar um eine Zusammenarbeit auf europäischer und damit auch auf deutsch-französischer Ebene.

Wo ließe sich die Zusammenarbeit zwischen deutschen und französischen Unternehmen verbessern?

Zwei Dinge haben der deutsch-französischen Kooperation eine neue Dynamik gegeben: Das eine war die Unterzeichnung des Aachener Vertrags, der Grundsteine auch im wirtschaftlichen Bereich gelegt hat für eine verstärkte Kooperation wie beispielsweise auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz. Das andere war die Corona-Krise, in deren Folge die Europäische Union ein 750 Milliarden Euro schweres Hilfspaket geschnürt hat und das ebenfalls deutsch-französische Kooperationsfelder beinhaltet, etwa in der Wasserstofferzeugung oder der Batterietechnologie.

Die Situation in der Ukraine und Russland wird wohl außerdem dazu führen, dass Frankreich und Deutschland enger zusammenrücken – nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich.

Ist die deutsch-französische Zusammenarbeit denn intensiver geworden seit der Unterzeichnung des Aachener Vertrags?

Wir sehen ganz klar, dass Frankreich für deutsche Unternehmen ein attraktiver Investitionsstandort ist. Umfragen aus 2018 und 2020 unter unseren Mitgliedsunternehmen zeigen, dass sich die Einschätzung der Attraktivität des französischen Marktes verbessert hat.

Zudem kommen jetzt zwei neue Standortfaktoren aufgrund der Russland-Krise hinzu: nämlich politische Stabilität und Nähe. Frankreich ist eine stabile Demokratie und wird es auch nach der Wahl bleiben und somit weiterhin ein wichtiger Partner für die deutsche Wirtschaft sein. Geografische Nähe ist ebenfalls von entscheidender wirtschaftlicher Bedeutung: Frankreich ist ein Nachbarland. Wenn sich weltweit die Frachtraten binnen kurzer Zeit verfünffachen, wird diese Tatsache wichtiger. Zwischen Baden-Württemberg und dem Elsass liegen 30 Kilometer, da sind höhere Dieselpreise kein gravierendes Problem.

Wie schlägt sich denn die Attraktivität Frankreichs als Investitionsstandort in Zahlen nieder?

Deutschland ist 2021 zum größten Direktinvestor in Frankreich aufgerückt. Es gab im vergangenen Jahr in Frankreich insgesamt mehr als 1.600 ausländische Investitionsprojekte verbunden mit der Schaffung von rund 45.000 Arbeitsplätzen in Frankreich, das ist ein neuer Rekord. Darunter befinden sich 460 Industrieinvestitionsprojekte, das sind fast 50 Prozent mehr als 2020. Frankreich ist also nicht nur als Absatzmarkt attraktiv, sondern zunehmend auch als Produktionsstandort sowie für die Forschung und Entwicklung.

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