Wirtschaftspolitik Lesezeit 6 Min.

Interview: „Die Verunsicherung ist vor allem hausgemacht“

Weniger Produktion, weniger Investitionen und weniger Beschäftigung – die jüngste Verbandsumfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft zeichnet ein düsteres Bild für 2024. Wie die Politik gegensteuern kann und warum die Schuldenbremse nicht mehr zeitgemäß ist, erklärt IW-Direktor Michael Hüther.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die derzeitige Verunsicherung in der deutschen Wirtschaft ist mehr von der deutschen Politik hausgemacht als fremdverschuldet – so IW-Direktor Michael Hüther im iwd-Interview.
  • Seiner Ansicht nach ist die Transformation hin zur Klimaneutralität bis 2045 auf der Basis des jüngsten Haushaltskompromisses nicht zu schaffen.
  • Industriepolitik dürfe angesichts des Klimaneutralitätsziels in Deutschland nicht mehr als etwas Unanständiges gelten.
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Nur neun der 47 vom IW befragten Verbände gehen davon aus, dass die Produktion bei ihren Mitgliedsunternehmen 2024 höher ausfallen wird als 2023 – 23 erwarten weniger Output. Was macht die Verbände so pessimistisch?

So schlecht war die Stimmung zuletzt zu Zeiten der Finanzkrise. Die aktuelle Bewertung setzt auf der bereits sehr schlechten Einschätzung vom Vorjahr auf. Diese hat sich verstetigt. Damals erwarteten die Verbände wegen der Energiekostensituation und der Gasmangellage wenig positive Impulse. Anschließend sind wir zwar besser ins Jahr 2023 gestartet, als viele dachten. Aber dieser Optimismus ist schnell verflogen.

Das derzeitige Maß an Verunsicherung ist mehr von der deutschen Politik hausgemacht als fremdverschuldet. Aber natürlich gibt es zusätzlich geopolitische Risiken.

Dabei gilt festzuhalten: Das derzeitige Maß an Verunsicherung ist mehr von der deutschen Politik hausgemacht als fremdverschuldet. Aber natürlich gibt es zusätzlich geopolitische Risiken – weiterhin den Ukraine-Krieg, die Rolle Chinas im globalen Kontext und zuletzt die Ereignisse in Israel.

Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft; Foto: IW Medien

Anders als bei den Verbandsumfragen der vergangenen Jahre erwarten viele Wirtschaftszweige inzwischen einen Beschäftigungsrückgang. Wie schlimm wird es auf dem Arbeitsmarkt?

Wir als IW erwarten, dass die Arbeitslosenquote auf 6 Prozent ansteigt, dahinter steckt unter anderem die nur mühsame Integration der Geflüchteten. Gleichzeitig drückt der Mangel an Fachkräften das Beschäftigungsniveau. Zudem gehen vor allem die energieintensiven Branchen von einem Stellenabbau aus. Aber immerhin 19 Branchen sagen, dass die Situation bei ihnen stabil bleibt – das sollte man nicht übersehen.

Beim Haushaltskompromiss hat die Bundesregierung auch das Thema Energie nicht ausgeklammert und will an einigen Stellen sparen. Hätte sie stattdessen lieber die Schuldenbremse opfern sollen?

Als die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert wurde, ging es darum, den Haushalt zu sanieren, damit Deutschland international sein Standing behält. Doch jetzt haben wir keine Skepsis an den Kapitalmärkten gegenüber Deutschland als Schuldner.

Mit dem jüngsten Haushaltskompromiss umgeht die Bundesregierung zwar eine Verfassungsänderung, aber die Transformation bis 2045 hin zur Klimaneutralität werden wir so nicht schaffen.

Und die Energiekosten sind nun mal ein zentrales Thema für den Standortwettbewerb. Niedrigere Netzentgelte wird es mit diesem Kompromiss jetzt nicht geben können. Dabei ist ohnehin sehr lange von vielen energieintensiveren Firmen wenig investiert worden am Standort Deutschland. Die Unternehmen haben abgewartet, wollten Klarheit gewinnen. Jetzt, so fürchte ich, werden Investitionen am hiesigen Standort erst recht nicht mehr stattfinden.

Seit einiger Zeit sprechen Sie sich deutlich gegen die starre Schuldenbremse aus. Was genau ist Ihr Argument?

Unter den momentanen Bedingungen muss man etwas weiterdenken. Passt das rechtliche Konstrukt noch in die aktuelle Situation? Was die Politik stattdessen tut, ist lediglich das, was sie ohne wirkliche Kraftanstrengung tun kann. Damit umgeht sie zwar eine Verfassungsänderung, aber die Transformation bis 2045 hin zur Klimaneutralität werden wir so nicht schaffen – höchstens, indem der Standort Produktionskapazitäten verliert. Das wäre die Transformation auf kaltem Weg, aber das wollen wir ja hoffentlich nicht.

Ohne Schuldenbremse müssten die jungen Generationen noch höhere Schulden zurückzahlen. Wie soll das funktionieren?

Die junge Generation hat auch ein Interesse an Klimaneutralität. Nur auf die Staatsschulden zu schauen, ist halbgar. Die Schuldenquote hat Zähler und Nenner: Wir übergeben den kommenden Generationen ja nicht nur einen Schuldenstand, sondern auch einen Vermögensstand, sprich: die Wirtschaftsleistung. Würden die jetzt dringenden Investitionen erst in späteren Jahren nachgeholt, käme das die nachrückenden Generationen viel teurer.

Anders gesagt: Wenn wir eine Infrastruktur hinterlassen, die nicht trägt, dann ist das viel schlimmer als etwas höhere Schulden, die für Deutschland bei deutlichem Wirtschaftswachstum kein Problem darstellen.

Sie haben die Rolle Chinas erwähnt. Trotz der Machtansprüche Pekings machen sich die deutschen Unternehmen bislang kaum unabhängiger von China. Sind die Firmen zu träge oder zu naiv?

Nein. Unternehmen müssen einen schonenden Einsatz ihres Kapitals sicherstellen. Die zentrale Frage lautet: Gehe ich aus einem Markt raus oder sorge ich nur gut vor für den Fall, dass ich rausgehen muss? Soll ich also schon in vorauseilendem Gehorsam ein Land verlassen, weil etwas passieren könnte?

Klar ist: Für viele Unternehmen lässt sich der chinesische Markt schlicht nicht ersetzen. Zudem gibt es aktuell auch andere Signale aus China – man darf für 15 Tage ohne Visum einreisen, Wirtschaftssanktionen werden reduziert und der Dialog mit den USA wurde wieder aufgenommen. Letztlich sind auch die Chinesen nicht im eigenen Orbit unterwegs, sondern international eingebunden und auf andere Staaten angewiesen.

In anderen Ländern wie den USA sind die Aussichten für 2024 deutlich besser als in Deutschland. Woran liegt das?

Wir haben weltweit eine schwache Industriekonjunktur. Das ist für Deutschland problematisch, weil der Anteil der entsprechenden Branchen an der gesamten Wertschöpfung in Deutschland hoch ist.

Hinzu kommen politische Unterschiede: In den USA beispielsweise gab und gibt es sehr umfassende industriepolitische Förderprogramme – die ihre Wirkung zeigen.

Industriepolitik darf in Deutschland angesichts des Ziels, bis 2045 klimaneutral zu werden, nicht mehr als etwas Unanständiges gelten.

Industriepolitik darf in Deutschland angesichts des Ziels, bis 2045 klimaneutral zu werden, nicht mehr als etwas Unanständiges gelten. Die Politik muss für das Klimaziel auf beiden Marktseiten eingreifen – sowohl bei den CO2-Preisen als auch bei neuen (Leit-)Märkten wie jenen rund um die Wasserstofftechnologie.

Und noch ein wichtiger Gedanke: Aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland mit immer mehr alten Menschen und weniger Erwerbstätigen brauchen wir dringend eine umfassende Digitalisierung und mehr Kapital, also Maschinen, die Menschen ersetzen oder zumindest umfassend unterstützen können. All dies wird ebenfalls nicht ohne staatliches Zutun funktionieren.

Zuwanderung galt lange als Allheilmittel für Deutschlands Wirtschaft. Dabei hat die Politik häufig keinen Unterschied gemacht zwischen Flüchtlings-Migration und gesteuertem Fachkräftezuzug. Jetzt haben rechte Parteien, die die Angst vor Überfremdung befeuern, Zuspruch wie nie. Was sollte die Politik tun?

Es ist eine Lebenslüge, abzustreiten, dass Deutschland schon immer ein Zuwanderungsland war. Wir haben letztlich nur drei Möglichkeiten, dem demografischen Wandel zu begegnen:

Erstens können wir die Produktivität steigern, aber das geht nur noch sehr bedingt. Zweitens hilft Zuwanderung. Und drittens müssen wir fragen, was wir selbst tun können. Also: schlicht mehr arbeiten oder länger arbeiten.

Und beim Thema Zuwanderung muss für die Menschen erkennbar sein, dass die Zuwanderung einen Nutzen hat. Es wird problematisch, wenn die Sorgen der Bürger nicht ernst genommen werden.

Ist die ganze Integrationsdebatte also vor allem ein Kommunikationsproblem?

Machen wir uns nichts vor: Natürlich gibt es Sozialtourismus. Aber wir haben viele tolle Erfolgsgeschichten von gelungener Integration, das muss im Mittelpunkt stehen. Die Politik muss es ernst nehmen, wenn die Bürger den Eindruck haben, dass die Grundleistungen ihrer Kommunen reduziert werden, weil das Geld stattdessen für Asylbewerber gebraucht wird. Und deshalb müssen wir jene Menschen, die keine Aussicht auf einen Aufenthaltsstatus haben, konsequent zurückbringen.

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