Nachhaltigkeit Lesezeit 4 Min.

Interview: „Der Beratungsbedarf zur Taxonomie ist riesig“

Mit der EU-Taxonomie kommt einiges an Arbeit auf die Unternehmen zu. Denn alle Betriebe ab einer gewissen Größe müssen künftig – egal ob sie zu einer als nachhaltig eingestuften Branche zählen oder nicht – umfangreiche Berichtspflichten erfüllen. Wie gut die Unternehmen darauf vorbereitet sind, erläutern Oliver Blank und Dominik Heijnk vom Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI).

Kernaussagen in Kürze:
  • Für Oliver Blank und Dominik Heijnk vom Verband der Elektro- und Digitalindustrie ist die EU-Taxonomie ein sinnvolles Projekt.
  • Sie fordern allerdings, dass die Elektroindustrie als Möglichmacher-Industrie in den Anhängen der Klima-Taxonomie explizit erwähnt wird.
  • Bei der EU-Taxonomie hätten sie sich zudem längere Übergangsfristen gewünscht, da externe Beratungsangebote rar seien und die Unternehmen aktuell viele Herausforderungen auf einmal bewältigen müssten.
Zur detaillierten Fassung

Die EU-Taxonomie wird von vielen Seiten harsch kritisiert. Ihr Verband dagegen hat sich schon früh dafür ausgesprochen, klare Kriterien für grüne Investitionen einzuführen. Warum?

Blank: Wir sind als Verband mit den über 20 Fachbereichen, die wir vertreten, ein Vorreiter für Lösungen, die den Klimaschutz betreffen. Der Finanzbedarf für den Umbau hin zur CO2-neutralen Wirtschaft und Gesellschaft ist ja riesig und unsere Unternehmen haben Produkte und Lösungen dafür. Da ergibt es Sinn, sicherzustellen, dass diese Angebote auch nachgefragt werden können und dass die dafür notwendigen Finanzmittel aufgebracht werden.

Heijnk: Unsere Mitgliedsunternehmen sind im Sinne der Taxonomie-Verordnung ganz klassische Enabler, also Möglichmacher: Sie entwickeln und produzieren Produkte, die es anderen Branchen erlauben, ihre Prozesse nachhaltiger und grüner zu gestalten. Trotzdem ist die Elektro- und Digitalindustrie in den Taxonomie-Katalogen noch nicht erfasst. Das wollen wir ändern.

Oliver Blank ist Leiter European Affairs, Dominik Heijnk Senior Manager European Affairs beim Verband der Elektro- und Digitalindustrie; Fotos: ZVEI, privat Was genau fordern Sie?

Heijnk: Wir fordern, dass die Elektroindustrie als Enabling-Industrie in den Anhängen der Klima-Taxonomie explizit erwähnt wird. Die EU-Kommission hat sich in einem ersten Aufschlag nur auf die sogenannten High-Impact-Sektoren konzentriert wie beispielsweise die Energieversorgung und energieintensive Industrien wie die Chemie oder die Landwirtschaft.

Blank: Im Bericht der Sustainable Finance Platform, das ist das Taxonomie-Expertengremium, das die EU-Kommission berät, sind wir mittlerweile mit der Elektro- und Digitalindustrie aufgeführt. Der EU-Kommission wird also empfohlen, unsere Industrie in die Taxonomie mit aufzunehmen. Einen ersten Etappensieg haben wir damit geschafft.

Welche Veränderungen erwarten Sie denn für die Betriebe Ihrer Branche durch die Taxonomie?

Blank: Mehr als 90 Prozent der ZVEI-Unternehmen sind Mittelständler, dazu gehören sehr viele global aufgestellte Midcaps mit mehr als 1.000 Mitarbeitern. Diese Firmen finanzieren sich nicht über den Kapitalmarkt, vielmehr nutzen sie eigene Ressourcen für Investitionen. Ob diese Unternehmen die neuen Finanzprodukte, die aufgrund der Taxonomie entstehen, brauchen werden, können wir nur sehr schwer vorhersehen. Was auf die Unternehmen aber auf jeden Fall zukommt, sind die durch die Taxonomie und andere gesetzliche Vorgaben ausgelösten neuen Berichtspflichten. Und das ist eine echte Herausforderung für die Betriebe, zumal es am Markt gerade auch gar nicht genügend Berater gibt, die da unterstützen könnten.

Wenn Ihre Mitgliedsunternehmen gar kein Fremdkapital benötigen, sie aber durch die Aufnahme in die Taxonomie neue Berichtspflichten haben, dann sollte man das ganze Unterfangen doch eigentlich lieber sein lassen, oder nicht?

Heijnk: Die Berichtspflichten gelten so oder so. Wenn die Branche aber nicht in der Taxonomie aufgeführt ist, können die Unternehmen für ihre nachhaltigen Aktivitäten nicht den grünen Stempel erhalten. Denn Unternehmen müssen künftig immer offenlegen, wie viel Prozent ihrer Investitionskosten, ihrer Betriebskosten und ihres Umsatzes als nachhaltig einzustufen sind.

Auf die Unternehmen kommen die durch die Taxonomie und andere gesetzliche Vorgaben ausgelösten neuen Berichtspflichten zu. Das ist eine echte Herausforderung für die Betriebe.

Wie viele der 1.600 von Ihnen vertretenen deutschen Unternehmen sind bereits von der EU-Taxonomie betroffen?

Heijnk: Die Berichtserstattungspflichten gelten aktuell für alle börsennotierten Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern, künftig gilt die Pflicht für alle Unternehmen – ob börsennotiert oder nicht – ab 250 Mitarbeitern. Das entspricht mehr als 90 Prozent unserer Branchenunternehmen.

Wie gut sind diese Betriebe auf die Anforderungen, die die EU-Taxonomie mit sich bringt – wie beispielsweise die Berichtspflicht – vorbereitet?

Blank: Ich würde sagen: schlecht. Das heißt aber nicht, dass sie sich nicht damit auseinandersetzen. Im Gegenteil. Sie suchen Rat und Unterstützung, der Beratungsbedarf ist riesig. Selbst Großkonzerne sagen, die Umstellung des Reportings sei eine Riesenaufgabe. Und viele Mittelständler haben gar nicht die Kapazitäten, das selbst zu machen – finden aktuell auch keine externe Beratung, haben aber nichtsdestotrotz die Deadline im Nacken sitzen. Hier hätten wir uns sehr viel längere Übergangsfristen gewünscht, zumal die Unternehmen mit dem Green Deal, der Umstellung auf CO2-Neutralität, der Digitalisierung, den aktuellen Lieferkettenproblemen und dem anstehenden Lieferkettengesetz riesige Herausforderungen auf einmal bewältigen müssen. Das führt zu Unsicherheit und teilweise auch zu Unmut bei manchen Firmen, weil sie parallel mit so viel neuer Bürokratie überzogen werden.

Wie groß schätzen Sie den Investitionsbedarf der deutschen Elektro- und Digitalindustrie ein, um Klimaneutralität zu erreichen?

Blank: Für unsere Branche allein kann ich das nicht exakt beziffern, aber die deutsche Industrie insgesamt wird bis 2030 einen Mehrinvestitionsbedarf von rund 50 Milliarden Euro haben.

Welche alternativen Möglichkeiten der Kapitalbeschaffung – jenseits der Taxonomie – haben Ihre Mitgliedsunternehmen?

Blank: Viele unserer Unternehmen haben ausreichend Eigenkapital gebildet und investieren gerade intensiv in die Zukunft. Und häufig haben die Unternehmen noch eine feste Hausbank, mit der sie bei Finanzierungen zusammenarbeiten.

Derzeit dreht sich in Sachen Taxonomie fast alles um das grüne Label der EU-Kommission für Atom- und Gaskraftwerke. Wie beurteilen Sie das?

Blank: Die Entscheidung der EU-Kommission war ja keine Überraschung, die Aufnahme von Gas und Atomkraft in die Taxonomie spiegelt lediglich den Kompromiss zwischen Deutschland und Frankreich wider. Letztlich kommt es auch darauf an, wie der Finanzmarkt reagiert: Gibt es aufgrund der Aufnahme in die Taxonomie tatsächlich Neuinvestitionen in Atomkraft? Und wird das stark nachgefragt? Vielleicht ist die Diskussion um dieses Thema derzeit einfach ein bisschen überhitzt.

Heijnk: Man kann sagen, dass diese Entscheidung einen knallharten realpolitischen Kompromiss zwischen zwei großen Mitgliedsstaaten widerspiegelt. Aber erst die anstehenden Abstimmungen im EU-Parlament und im Rat werden zeigen, ob Gas- und Kernkraftwerke wirklich als nachhaltig eingestuft werden.

Das könnte Sie auch interessieren

Meistgelesene