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„EU-Lösung statt nationalem Alleingang für nachhaltige Lieferketten“

Nachdem das Bundeskabinett den Entwurf für das Lieferkettengesetz abgesegnet hat, stimmt nun das Europäische Parlament über eine entsprechende Gesetzesinitiative auf EU-Ebene ab. Eine EU-weite Lösung ist zu begrüßen – wichtig ist jedoch, die Sorgfaltspflicht zu begrenzen, um negative Folgen für die EU-Wirtschaft und Drittländer zu vermeiden, sagen Galina Kolev, Senior Economist für In- und Auslandskonjunktur im IW, und Adriana Neligan, Senior Economist für Green Economy und Ressourcen im IW, in ihrem iwd-Kommentar.

Kernaussagen in Kürze:
  • Nachdem Deutschland ein Lieferkettengesetz beschlossen hat, stimmt nun das Europäische Parlament über eine EU-weite Lösung ab.
  • Das wäre besser als nationale Alleingänge, schreiben Adriana Neligan und Galina Kolev in ihrem iwd-Kommentar.
  • Allerdings muss die EU dabei die Komplexität der internationalen Lieferketten im Auge behalten.
Zur detaillierten Fassung

In dieser Woche stimmt das Europäische Parlament über einen Vorschlag zu einer Gesetzesinitiative ab, verbindliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen einzuführen. Die EU-Kommission, die parallel eine Gesetzgebung plant, wird darauf reagieren müssen. Dem aktuellen Vorschlag zufolge soll die Sorgfaltspflicht für die gesamte Lieferkette von EU-Unternehmen gelten. Große Unternehmen sowie börsennotierte oder risikoreiche kleine und mittlere Unternehmen sollen künftig zur Rechenschaft gezogen und haftbar gemacht werden – und mit Geldstrafen belegt werden können, wenn innerhalb ihrer Wertschöpfungskette Kriterien wie Menschenrechte, Umweltstandards und eine gute Regierungsführung missachtet werden.

Als Hauptargument für eine gesetzliche Lösung weist die EU-Kommission auf eine Studie hin, laut der sich freiwillige Maßnahmen als unzureichend erweisen. Doch Umfrageergebnisse aus dem IW-Zukunftspanel zeigen: Nachhaltigkeit in der Lieferkette spielt heute losgelöst von verbindlichen Sorgfaltspflichten bereits eine wichtige Rolle. Drei Fünftel des Produzierenden Gewerbes in Deutschland messen ihr einen hohen Stellenwert bei – bei großen und internationalisierten Unternehmen liegt der Anteil noch höher.

Nationale Alleingänge wie das deutsche Lieferkettengesetz widersprechen den Prinzipien des Binnenmarktes und sind daher der falsche Weg.

Galina Kolev ist Senior Economist für In- und Auslandskonjunkturist am IW; Adriana Neligan ist Senior Economist für Green Economy und Ressourcen am IW; Fotos: IW Medien Der Vorschlag des EU-Parlaments geht dabei deutlich über das in Deutschland beschlossene Lieferkettengesetz hinaus. Dort sind die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht in der Lieferkette nach dem Einflussvermögen der Unternehmen abgestuft. Große Unternehmen, zunächst mit mehr als 3.000 Mitarbeitern, sollen künftig die Einhaltung von Menschenrechten im eigenen Unternehmen und bei ihren Direktlieferanten sicherstellen. Bei mittelbaren Zulieferern müssen die Unternehmen nur im Verdachtsfall aktiv werden. Bei Verstoß drohen Zwangs- und Bußgelder, die auch zu einem Ausschluss von der öffentlichen Beschaffung führen können. Eine explizite zivilrechtliche Haftung wird ausgeschlossen. Mit solchen Regulierungen soll die potenzielle Ausbeutung von natürlichen Ressourcen und Arbeitskräften in Ländern mit gravierenden Governance-Problemen vermieden werden.

Lückenlose Überwachung ist unmöglich

Doch internationale Lieferketten sind heute zu komplexen und unübersichtlichen Netzwerken geworden, deren lückenlose Überwachung nahezu unmöglich ist. Dies stellt global agierende Unternehmen bezüglich ihrer Verantwortung vor neue Herausforderungen.

Die Auswirkungen einer gesetzlichen Regelung der Sorgfaltspflichten sind kaum verlässlich abzuschätzen. Die Bundesregierung und auch die EU versprechen sich davon, die Nachhaltigkeit der Lieferkette von deutschen und europäischen Unternehmen zu erhöhen. Im Prinzip geht es darum, die Anreize für Unternehmen zu senken, Regulierungslücken zulasten von Umwelt und Arbeitnehmern in Drittländern auszunutzen. Doch deutsche und europäische Unternehmen sind in den seltensten Fällen dafür bekannt, sich die Governance-Schwächen von Entwicklungs- und Schwellenländern zunutze zu machen. Vielmehr ist ihr Engagement in diesen Ländern oft eine wichtige Unterstützung, denn ihre Investitionen vor Ort oder auch die Nachfrage nach Vorprodukten schaffen Arbeitsplätze. Etwa 215.000 Beschäftigte in Afrika verdanken ihre Jobs den deutschen Direktinvestitionen vor Ort, weitere 700.000 Arbeitsplätze sind als Folge der deutschen Direktinvestitionen in Asien außerhalb Chinas entstanden.

Das Engagement westlicher Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern geht noch weit über diese direkten Effekte hinaus. Damit verbunden ist auch ein verbesserter Zugang zu modernen Technologien, unter anderem im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes. Und nicht zuletzt beeinflussen deutsche und europäische Unternehmen die Produkt- und Produktionsstandards vieler Länder positiv, denn sie sind aufgrund der hohen Produktstandards und dem in der EU geltenden Vorsichtsprinzip darauf angewiesen, ein Mindestmaß an Qualität bei aus Drittländern importierten Waren zu garantieren.

Unerwünschte Nebenwirkungen

Nun stellt sich die Frage, was die verschärften Sorgfaltspflichten bewirken werden. Ein Teil der Unternehmen wird die damit verbundenen höheren Bürokratiekosten in Kauf nehmen müssen und weiterhin die Vorprodukte aus den entsprechenden Ländern beziehen – insbesondere, wenn es sich um Produkte handelt, bei denen es kaum Ausweichmöglichkeiten gibt. Andere Unternehmen jedoch dürften die höheren Kosten zum Anlass nehmen, ihre Lieferstrukturen zu überprüfen – was im Zuge der Corona-Krise ohnehin passieren dürfte, nachdem die pandemiebedingte Unterbrechung globaler Lieferketten deren Risiken offenbarte.

Internationale Lieferketten sind komplexe und unübersichtliche Netzwerke, deren lückenlose Überwachung nahezu unmöglich ist.

Höhere Kosten aufgrund der verschärften Sorgfaltspflichten und drohende Bußgelder bei Lücken in ihrem Monitoring der Lieferkette könnten viele Unternehmen dazu bewegen, Entwicklungs- und Schwellenländer mit schwachen Governance-Strukturen zu verlassen und stattdessen ihre Produkte aus anderen Ländern zu beziehen. Die Folgen für die betroffenen Länder sind kaum abzusehen. Bereits heute konkurrieren in diesen Ländern westliche Investoren mit Wettbewerbern aus China, die weniger nach den Produktionsstandards und der Nachhaltigkeit von potenziellen Investitionsprojekten fragen. Der Rückzug europäischer Unternehmen würde ihnen das Investment nur noch leichter machen – mit den entsprechenden Folgen für die Produkt- und Produktionsstandards vor Ort.

Auch für die hiesigen Unternehmen sind negative Auswirkungen der geplanten Verschärfung von Sorgfaltspflichten zu erwarten. Die damit verbundenen Mehrkosten fallen ausschließlich beim Import aus Ländern mit Regulierungslücken an – was ähnlich wirken dürfte wie eine Erhöhung der Zollsätze auf Produkte aus diesen Ländern. Da es sich dabei um ein Handelshemmnis handelt, widersprechen nationale Alleingänge wie das deutsche Lieferkettengesetz den Prinzipien des Binnenmarktes und sind daher der falsche Weg.

Eine EU-Lösung würde dafür sorgen, dass weniger Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt entstehen. Dabei ist es jedoch wichtig, die Komplexität der internationalen Lieferketten im Auge zu behalten und realistische Forderungen zu stellen. Die unternehmerische Sorgfaltspflicht sollte sich auf ihre eigene Tätigkeit und die direkten Zulieferer fokussieren, da die Unternehmen nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten haben, ihre gesamte Lieferkette zu überprüfen. Sonst droht ein massiver Verlust an Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen auf dem Weltmarkt.

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