Zuwanderung Lesezeit 4 Min.

Interview: „Das Zugpferd ist die gute Jobperspektive“

Die Bundesregierung versucht seit vielen Jahren, ausländische Fachkräfte anzuwerben. Eine Initiative ist das Portal „Make it in Germany“, das vom IW betreut wird. Kerstin Krey, Leiterin des IW-Clusters Bildung, Innovation, Migration, erklärt, mit welchen Pfunden Deutschland im Ausland wuchern kann.

Kernaussagen in Kürze:
  • Um die Fachkräftelücke in Deutschland zu schließen, bräuchte es mindestens 400.000 zusätzliche qualifizierte Zuwanderer im Jahr, was derzeit nicht annähernd erreicht werde, sagt Kerstin Krey, Leiterin des IW-Clusters Bildung, Innovation, Migration, im iwd-Interview.
  • „Die meisten Menschen kommen aufgrund der Freizügigkeit innerhalb der EU immer noch aus anderen Mitgliedsstaaten. Auch aus Lateinamerika, den nordafrikanischen Staaten und aus Südostasien sind die Zuwanderungszahlen seit 2012 stark gewachsen", so Krey.
  • Die Plattform „Make it in Germany“, die vom IW für die Bundesregierung betreut wird, stellt nicht nur Informationen für zuwanderungswillige ausländische Fachkräfte bereit, sondern auch für hiesige Unternehmen, die Zugewanderte beschäftigen möchten..
Zur detaillierten Fassung

Das IW ist für die operative Umsetzung von „Make it in Germany“, einem Fachkräfte-Anwerbeportal der Bundesregierung, zuständig. Wann gilt denn jemand hierzulande als Fachkraft?

Als Fachkraft gilt in Deutschland eine Person, die eine Ausbildung genossen hat, die mindestens zwei Jahre dauert.

Das Portal ist mittlerweile zehn Jahre alt. Wie viele ausländische Fachkräfte konnten Sie damit bislang nach Deutschland locken?

Kerstin Krey ist Leiterin des IW-Clusters Bildung, Innovation, Migration; Foto: IW Medien

Das ist schwer zu messen, denn das Portal ist ja im Internet frei zugänglich. Aber wir stellen beispielsweise fest, dass unsere verstärkte Ansprache der indischen Community, die wir seit 2012 betreiben, sehr gut funktioniert: Das Volumen der indischen Zuwanderer hat sich seitdem verfünffacht. Inder sind aktuell die größte Volksgruppe, die über den Aufenthaltstitel der Blauen Karte in Deutschland angeworben wird.

 

Aus welchen anderen Ländern kommen Fachkräfte hierher?

Auch aus Lateinamerika, den nordafrikanischen Staaten und aus Südostasien sind die Zuwanderungszahlen seit 2012 stark gewachsen, was auch auf das Fachkräfteeinwanderungsgesetz zurückzuführen ist. Die meisten Menschen kommen jedoch aufgrund der EU-Freizügigkeit immer noch aus anderen EU-Staaten, obwohl in der gesamten EU inzwischen in vielen Berufen Fachkräfteengpässe herrschen. So gibt es etwa in Polen und Rumänien einen Fachkräftemangel, weshalb auch diese Länder mittlerweile Personen aus dem Ausland anwerben.

Spricht „Make it in Germany“ denn Menschen in anderen EU-Ländern explizit an?

Das Portal ist während der Bankenkrise gestartet, als es in Spanien, Italien und Griechenland hohe Arbeitslosenraten gab und wir in diesen Sprachen Landingpages aufgezogen haben. Auch jetzt gibt es immer noch ein großes Informationsbedürfnis von EU-Bürgern, die sich für einen Job in Deutschland interessieren.

Wir versuchen, die Vorteile Deutschlands zu benennen: dass wir ein sicheres Land sind, dass wir Diversität leben oder dass es Grundrechte gibt, die für jeden einklagbar sind.

Unser Fokus liegt aber auf Fachkräften aus Drittstaaten, unter anderem deshalb, da bei dieser Personengruppe ein größerer Informationsbedarf durch aufenthaltsrechtliche Regelungen besteht. Letztendlich finden aber natürlich alle ausländischen Fachkräfte – ob EU oder nicht EU – relevante und zuverlässige Informationen auf unserem Portal.

Wie stellen Sie Deutschland im Portal dar? Als Einwandererparadies mit hohem Lebensstandard oder als Land mit schwer zu erlernender Sprache und Dauernieselregen?

Wir versuchen, die Nachteile von Deutschland wie die schwer zu erlernende Sprache wettzumachen, indem wir die Vorteile benennen: dass wir ein sicheres Land sind, auch für Frauen – schließlich sind ein Drittel der Zuwanderer aus Drittstaaten Frauen –, dass wir Diversität leben oder dass es Grundrechte gibt, die für jeden einklagbar sind. Auch mit den bestehenden Arbeitnehmerrechten kann Deutschland im internationalen Vergleich punkten.

Warum entscheiden sich Menschen aus dem Ausland dafür, nach Deutschland zu kommen?

Ich denke, im Zentrum für alle zugewanderten Fachkräfte steht die starke Wirtschaft. Das Zugpferd ist die Perspektive, dass man hier interessante und auch gut bezahlte Jobs findet. In der Beliebtheitsskala steht Deutschland allerdings in der Tat nicht ganz oben, das sind vor allem EU-Länder, in denen Englisch die Arbeitssprache ist – etwa die skandinavischen Länder oder die Niederlande.

Wollen die meisten Zuwanderer nur für eine bestimmte Zeit herkommen oder für immer?

Einige wollen nur für eine kurze Zeit nach Deutschland, um hier Erfahrungen zu sammeln und möglichst viel zu verdienen. So war das etwa bei den Spaniern und Italienern. Viele von ihnen sind nach der Bankenkrise zurückgegangen, nachdem die Arbeitslosigkeit in ihren Heimatländern sank und die dortige Wirtschaft wieder florierte.

Andere, vor allem aus solchen Ländern mit einem schwierigen Arbeitsmarkt, wollen dauerhaft kommen. Sie nutzen auch gerne die Möglichkeit des Familiennachzugs.

Welche Unterstützung erhalten ausländische Fachkräfte, wenn sie in Deutschland ankommen?

Es gibt keinen Bonus oder ein Willkommenspaket. Was wir an institutionellen Einrichtungen haben, sind die regionalen Welcome Center und Migrationsberatungsstellen, die den Fachkräften zur Seite stehen. Die Unterstützung erfolgt also in erster Linie durch das einstellende Unternehmen und die neuen Kollegen. Unser Portal hat auch einen Bereich, wo wir Betrieben Tipps geben, wie sie sich auf neue Mitarbeiter aus dem Ausland vorbereiten können: indem sie ihre Belegschaft für die Neuankömmlinge sensibilisieren, Patenschaften organisieren, vorab bei der Wohnungssuche helfen oder gar selbst eine Unterkunft stellen.

Wie viele ausländische Fachkräfte brechen ihren Aufenthalt in Deutschland vorzeitig ab?

Das lässt sich statistisch nicht beziffern. Es gibt allerdings eine nicht repräsentative Umfrage zu den Gründen des Weggangs von ausländischen Fachkräften: Der meistgenannte Grund ist ein aufenthaltsrechtliches Problem.

Wie viele Menschen müssten zuwandern, um die Fachkräftelücke in Deutschland zu schließen?

Es bräuchte mindestens 400.000 zusätzliche Fachkräfte im Jahr, was wir nicht annähernd erreichen. Um die Zuwanderung zu erleichtern, wird nun das Gesetz überarbeitet und es gibt jetzt überall Initiativen zur Rekrutierung. Besonders wichtig ist es, die Verwaltungsprozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen. Hier gibt es derzeit große Kapazitätsengpässe, zudem ist kaum etwas digitalisiert. Alles muss in Papierform eingereicht werden; übersetzte, beglaubigte Kopien müssen oft für jedes einzelne Amt herbeigeschafft werden. Das ist alles unglaublich aufwendig und zeitraubend.

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