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Integration kommt mit der Zeit

Deutschland macht beim Thema Integration deutliche Fortschritte. Migranten der zweiten Generation – also jene, die hier geboren sind – haben sich zudem wesentlich besser integriert als ihre Eltern. Bei den Befunden gibt es größere Unterschiede zwischen den Zuwanderergruppen.

Kernaussagen in Kürze:
  • 50 Prozent der Zuwanderer der ersten Generation fühlen sich als Deutsche, allerdings unterscheiden sich die Ergebnisse für verschiedene Migranten-Gruppen deutlich.
  • Die Mehrheit der Menschen aus der Türkei hat in Deutschland auch in der zweiten Generation einen migrantisch geprägten Freundeskreis.
  • Insgesamt verdienen Personen mit Migrationshintergrund der zweiten Generation bei gleichen sonstigen Bedingungen mehr als Personen ohne Migrationshintergrund.
Zur detaillierten Fassung

Clan-Kriminalität, illegale Autorennen, Sozialbetrug: Ginge es nach den Schlagzeilen der Boulevardmedien, wäre es mit der Integration von Migranten in Deutschland nicht weit her.

Doch diese Meldungen eignen sich naturgemäß nicht, um die Frage qualifiziert zu beantworten, inwiefern Zuwanderer in Deutschland wirklich angekommen sind, sich also umfassend integrieren konnten – und wollten.Allerdings ist es nicht leicht, ein objektives Bild vom Stand der Integration zu erhalten. Schließlich ist schon die simple Frage, wann jemand als integriert gilt, kaum eindeutig zu beantworten. Mit einer groß angelegten Studie hat das IW nun trotzdem versucht, den Integrationsfortschritt in Deutschland umfassend zu analysieren. Dabei wurde eine Vielzahl von Indikatoren herangezogen, um ein möglichst präzises Bild zu erhalten.

Immer mehr Personen mit Migrationshintergrund fühlen sich als Deutsche, doch der Befund gilt nicht für alle Zuwandergruppen gleichermaßen.

So nutzt die Studie Befragungsergebnisse des Sozio-oekonomischen Panels. Darin wurde zum Beispiel gefragt, ob sich ein Migrant als Deutscher sieht oder nicht und ob der Freundeskreis migrantisch geprägt ist oder Freundschaften mit Deutschen dominieren. Aber auch Faktoren wie Staatsangehörigkeit, Deutschkenntnisse, Stundenlohn und Studien- oder Berufsabschluss fließen in die Bewertung des Integrationsfortschritts ein.

Deutliche Fortschritte im direkten Vergleich der Zuwanderer-Generationen

Als Person mit Migrationshintergrund gilt jemand dann, wenn die- oder derjenige selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt. Im Jahr 2019 galt das für immerhin 26 Prozent der Bürger in Deutschland, bei den unter Fünfjährigen lag der Anteil – auch durch die Flüchtlingsmigration begründet – sogar über 40 Prozent.

Zudem werden zwei Zuwanderergenerationen getrennt voneinander betrachtet:

Erste Generation: Dazu zählen all jene Personen mit Migrationshintergrund, die selbst im Ausland geboren wurden und später nach Deutschland gekommen sind, beispielsweise als Arbeitsmigranten oder Flüchtlinge.

Zweite Generation: Das sind alle in Deutschland geborenen Personen mit mindestens einem im Ausland geborenen Elternteil.

Darüber hinaus bezieht sich die Studie ausschließlich auf Erwachsene im erwerbsfähigen Alter.

Betrachtet man zuerst alle Zuwanderergruppen gemeinsam, ist der Befund eindeutig (Grafik):

Die Hälfte der Personen mit Migrationshintergrund aus der ersten Generation fühlte sich 2018 als Deutsche, 15 Jahre zuvor waren es nur 40 Prozent. Von der zweiten Generation fühlen sich sogar drei Viertel deutsch.

So viel Prozent der jeweiligen Migrantengruppe erfüllen diese Kriterien. Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Auch andere Indikatoren weisen in diese Richtung. So stieg der Anteil der Personen mit mindestens guter Schreibkompetenz in der zweiten Generation binnen zehn Jahren um 5 Prozentpunkte. Und 64 Prozent der ersten sowie 71 Prozent der zweiten Generationen sahen sich 2018 in Deutschland nicht mit Benachteiligungen konfrontiert.

Auf dem deutschen Arbeitsmarkt verdienten Zuwanderer der zweiten Generation – unter sonst gleichen Bedingungen wie etwa der fachlichen Qualifikation und dem Alter – sogar mehr als Personen ohne Migrationshintergrund.

Dass einige Kenngrößen von 2013 bis 2018, also im kurzfristigeren Vergleich, leicht rückläufig sind, sollte nicht irritieren – in diesen Zeitraum fällt die starke Zuwanderung von Flüchtlingen, die Deutschland vor neue Herausforderungen gestellt hat.

Diese Entwicklung sowie der Zuzug von Personen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten in den 2010er Jahren erklären zusammen auch, weshalb 2013 noch 46 Prozent der Migranten der ersten Generation die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen und das im Jahr 2018 nur noch für 33 Prozent galt.

Migranten aus der Türkei haben verhältnismäßig wenig Kontakt zu Deutschen

Durch die Herausforderungen der Flüchtlingsintegration haben die Zuwanderer insgesamt mit Blick auf die Erwerbstätigkeit gegenüber den Einheimischen an Boden verloren.

Neben der Arbeitsmarktintegration gibt es indes weitere Herausforderungen bei anderen Zuwanderergruppen:

  1. Bei Zuwanderern aus der Türkei zeigt sich ein gemischtes Bild (Grafik):

Rund 36 Prozent der ersten Generation von Migranten aus der Türkei haben in Deutschland einen nicht migrantisch geprägten Freundeskreis, in der zweiten Generation liegt der Anteil mit 46 Prozent etwas darüber.

So viel Prozent der türkischstämmigen Migranten in Deutschland … Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Auch beim Zugang zum Arbeitsmarkt sind türkischstämmige Einwohner beider Generationen noch ein gutes Stück von Einheimischen entfernt. Der Anteil jener, die nach eigenen Angaben in Deutschland keine Benachteiligung erfahren, ist bei Personen mit türkischen Wurzeln von der ersten zur zweiten Generation sogar weiter gesunken – von ohnehin niedrigen 42 Prozent auf lediglich 38 Prozent.

  1. Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten sahen sich 2018 zwar zu zwei Dritteln als Deutsche und 72 Prozent hatten sogar die deutsche Staatsbürgerschaft. Insgesamt stimmten jedoch nur 47 Prozent der Aussage zu, dass ihr Freundeskreis nicht migrantisch geprägt ist.

Zudem waren die Lage dieser Bevölkerungsgruppe auf dem Arbeitsmarkt schlechter und ihre Einkommen niedriger als bei Personen ohne Migrationserfahrung. Und das, obwohl sie durchschnittlich über einen relativ hohen Bildungsstand verfügen.

Zuwanderer aus der EU fühlen sich selten als Deutsche

Für die anderen Migrantengruppen – Zuwanderer aus Südeuropa, aus Westeuropa, vom westlichen Balkan und aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten – fällt die Integrationsbilanz gut bis sehr gut aus.

Einzig bei der Staatsangehörigkeit und der Selbstsicht als Deutsche bleiben diese Personengruppen hinter anderen Zuwanderern zurück. Doch dies dürfte auf das Selbstverständnis als Europäer zurückzuführen sein, wodurch die Entscheidung für einen einzelnen Nationalstaat keinen hohen Stellenwert mehr hat.

Angesichts dieser Ergebnisse befindet sich Deutschland beim Thema Integration offenbar auf dem richtigen Weg. Allerdings gibt es mit Blick auf einzelne Zuwanderergruppen durchaus Handlungsbedarf. Die Politik sollte nicht den Fehler machen, Menschen mit Migrationshintergrund vornehmlich pauschale Angebote zu machen. Denn die taugen selten dazu, die Situation nachhaltig zu verbessern.

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