Menschen mit Beeinträchtigungen Lesezeit 4 Min.

Inklusion birgt Potenziale für den Arbeitsmarkt

Noch immer liegt die Erwerbstätigenquote von Menschen mit Beeinträchtigungen um gut 20 Prozentpunkte unter dem Durchschnitt der Bevölkerung. Eine neue IW-Studie zeigt: Je nach Grad der Behinderung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit könnte sich ein Viertel bis rund die Hälfte der nicht erwerbstätigen Betroffenen vorstellen, künftig (wieder) eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen.

Kernaussagen in Kürze:
  • Viele nicht erwerbstätige Menschen mit Beeinträchtigungen können sich eine (Wieder-)Beschäftigung in Zukunft vorstellen.
  • Da Arbeitslose mit einer Schwerbehinderung tendenziell besser qualifiziert sind als andere Arbeitslose, liegen darin wichtige Potenziale für die Wirtschaft.
  • Wichtige Voraussetzungen für die betriebliche Inklusion sind ein unterstützendes Betriebsklima sowie organisatorisch und technisch behinderungsgerecht angepasste Arbeitsplätze.
Zur detaillierten Fassung

In Deutschland lebten 2019 laut Statistischem Bundesamt 10,4 Millionen Menschen mit einer anerkannten Behinderung in Privathaushalten. Darunter waren 7,6 Millionen Personen mit einer Schwerbehinderung – ihnen hat das Versorgungsamt auf Antrag und nach einer Begutachtung einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 bis 100 zuerkannt.

Die meisten Schwerbehinderungen, nämlich 89 Prozent, entstehen im Laufe des Lebens durch eine Krankheit, nur 3 Prozent der Betroffenen haben von Geburt an eine Schwerbehinderung. Und mehr als die Hälfte der Menschen mit einer Schwerbehinderung ist nicht mehr im erwerbsfähigen Alter, sondern bereits älter als 65 Jahre.

Viele nicht erwerbstätige Menschen mit Beeinträchtigungen können sich eine (Wieder-)Beschäftigung in Zukunft vorstellen. Darin liegen wichtige Potenziale für die Wirtschaft.

Grundsätzlich standen dem Arbeitsmarkt im Jahr 2019 rund 4,9 Millionen 15- bis 64-Jährige mit einer Behinderung zur Verfügung, darunter knapp 1,8 Millionen mit einer leichteren Behinderung (GdB 20 bis 40) und etwa 3,1 Millionen mit einer Schwerbehinderung (GdB 50 bis 100). Wirklich gearbeitet haben laut Statistischem Bundesamt aber weit weniger:

Knapp 2,9 Millionen Menschen mit einer anerkannten Behinderung waren im Jahr 2019 erwerbstätig.

Dass sich von den nicht erwerbstätigen Personen einige auch vorstellen können, in Zukunft (wieder) eine Beschäftigung aufzunehmen, zeigt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft auf Basis von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) für das Jahr 2018 (Grafik):

Mehr als die Hälfte der Nichterwerbstätigen mit einer leichteren Behinderung oder einer geringeren Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit konnten sich eine (Wieder-)Beschäftigung vorstellen.

So viel Prozent der nicht erwerbstätigen Menschen in Deutschland, die eine Behinderung oder Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit haben, schlossen im Jahr 2018 nicht vollständig aus, künftig (wieder) eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Und bei Personen mit einer Schwerbehinderung (GdB 50 bis 100) oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 bis 100 Prozent wollte immerhin noch etwa ein Viertel der Befragten die künftige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht ganz ausschließen.

Arbeitslose mit Schwerbehinderung oft besser qualifiziert

In Zeiten von Fachkräfteengpässen sind dies wichtige Potenziale für die Wirtschaft, zumal Arbeitslose mit einer Schwerbehinderung laut Bundesagentur für Arbeit tendenziell besser qualifiziert sind als andere Arbeitslose: Im Jahresdurchschnitt 2020 hatten 56 Prozent der Arbeitslosen mit einer Schwerbehinderung einen Berufs- oder Hochschulabschluss – bei jenen ohne eine Schwerbehinderung waren es nur 46 Prozent.

Die SOEP-Daten zeigen auch, dass Menschen mit Beeinträchtigungen eher mit Veränderungen der Arbeitswelt rechnen als andere Beschäftigte. Rund zwei Drittel der Beschäftigten mit Beeinträchtigungen, die von Neuerungen an ihrem Arbeitsplatz betroffen waren, gaben im Jahr 2018 an, in den darauffolgenden 24 Monaten mit steigenden Anforderungen an ihre Arbeitsleistung zu rechnen – im Durchschnitt aller Beschäftigten sagten dies nur knapp 55 Prozent.

Zudem erwartete rund die Hälfte der Beschäftigten mit Beeinträchtigungen, dass die Qualifikationsanforderungen im Zuge der Neuerungen steigen werden – das war in etwa der gleiche Wert wie im Durchschnitt aller Beschäftigten.

Geringere Autonomie bei Arbeitszeiten

Um möglichst optimale Arbeitsbedingungen sicherzustellen, spielen Unternehmenskultur, Arbeitsplatzgestaltung und auch Arbeitszeitflexibilität eine wichtige Rolle. Denn oft gehen Behinderungen oder Beeinträchtigungen mit besonderen Bedürfnissen wie flexiblen Arbeits- und Pausenzeiten einher.

Tatsächlich aber sind die Arbeitszeitregelungen von Beschäftigten mit Beeinträchtigungen von einer etwas geringeren Autonomie gekennzeichnet (Grafik):

Rund ein Drittel der Beschäftigten mit Beeinträchtigungen konnte im Jahr 2018 ihre Arbeitszeit selbst festlegen oder hatte ein Gleitzeitkonto, im Durchschnitt aller Beschäftigten lag dieser Anteil bei fast 38 Prozent.

So viel Prozent der in Deutschland Beschäftigten im Alter von 18 bis unter 65 Jahren hatten im Jahr 2018 folgende Arbeitszeitregelungen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Dieser Unterschied könnte daran liegen, dass Beschäftigte mit Beeinträchtigungen öfter in Berufen arbeiten, in denen nicht so viel Flexibilität möglich ist – sie sind seltener als der Durchschnitt aller Beschäftigten in akademischen Berufen oder als Wissenschaftler und etwas häufiger als Techniker oder als Hilfsarbeitskraft beschäftigt.

Insgesamt sind Beschäftigte mit Beeinträchtigungen – wie auch alle Beschäftigten – mit ihrer Arbeit überwiegend zufrieden. Allerdings haben Menschen mit Beeinträchtigungen von der guten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt nicht ganz so stark profitiert:

Zwischen 2014 und 2018 stieg der Anteil der Erwerbstätigen an allen Menschen mit Beeinträchtigungen nur um 0,3 Prozentpunkte auf 51,7 Prozent. Insgesamt erhöhte sich die Erwerbstätigenquote dagegen um 2,1 Punkte auf72,8 Prozent.

Wenn es den Unternehmen gelingt, unter anderem ein unterstützendes Betriebsklima zu erhalten oder zu schaffen, in dem sowohl die Vorgesetzten als auch die Teammitglieder ein Bewusstsein für die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigungen entwickeln und zudem die Arbeitsplätze organisatorisch und technisch behinderungsgerecht angepasst sind, dann sind bereits wichtige Voraussetzungen für eine noch bessere betriebliche Inklusion erfüllt.

Die Datenbasis

Die Auswertungen des Soziooekonomischen Panels in der IW-Studie beziehen sich auf Menschen mit Beeinträchtigungen und dort vor allem auf abhängig Beschäftigte am ersten Arbeitsmarkt. Laut des dritten Teilhabeberichts der Bundesregierung spricht man von Beeinträchtigungen, wenn eine anerkannte Erwerbsminderung oder Schwerbehinderung vorliegt oder länger andauernde Krankheiten beziehungsweise Beschwerden in Kombination mit mindestens einer starken Beeinträchtigung bei der Ausübung von alltäglichen Aktivitäten gegeben sind.

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