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Industrie: Ohne Wirtschaftshilfen geht es nicht

Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Mit der dafür erforderlichen Transformation der deutschen Industrie nehmen die staatlichen Eingriffe ins Marktgeschehen zu, Industriepolitik ist wieder en vogue. Auch die Absicherung der Lieferketten erfordert industriepolitische Maßnahmen. Kontrovers diskutiert werden zudem Subventionen für bestimmte Technologien und Branchen – sie scheinen nötig, sind aber strikt zu begrenzen.

Kernaussagen in Kürze:
  • Um die deutsche Wirtschaft klimagerecht zu transformieren, reicht es nicht mehr aus, allein auf die Rahmenbedingungen zu achten. Die staatlichen Eingriffe ins Marktgeschehen nehmen zu, Industriepolitik ist wieder en vogue.
  • Die energieintensiven Betriebe beschäftigen in Deutschland rund 850.000 Arbeitnehmer, zudem sind sie überdurchschnittlich produktiv:
  • Der Umstieg auf regenerativ erzeugten Strom und Wasserstoff führt zu besonderen Herausforderungen. So benötigen Unternehmen für den Wechsel von Erdgas auf klimaneutralen Wasserstoff Hilfen und Sicherheiten, da dieser bislang noch kaum verfügbar und sehr teuer ist.
Zur detaillierten Fassung

Industriepolitik hat in Deutschland traditionell einen eher schlechten Ruf: Verwiesen wird gern darauf, dass Deutschland ohne eine wirkliche branchenbezogene Industriepolitik einen Wertschöpfungsanteil des Verarbeitenden Gewerbes am Bruttoinlandsprodukt von etwa 20 Prozent gehalten hat, während Frankreich als klassischer Akteur zentralstaatlicher Industriepolitik stark deindustrialisiert ist; der Wertschöpfungsanteil der Industrie ist im Nachbarland nur etwa halb so groß wie hierzulande.

Ohne eine sektororientierte Industriepolitik ist die Transformation des gesamten Wirtschaftssystems nicht machbar. So benötigen Unternehmen für den Wechsel von Erdgas auf klimaneutralen Wasserstoff Hilfen und Sicherheiten, da dieser bislang noch kaum verfügbar und sehr teuer ist.

Deutschland ist mit einem wirtschaftspolitischen Modell, das die Rahmenbedingungen für Industrieunternehmen stärker in den Blick nimmt und ansonsten auf eine wettbewerbsneutrale Ordnungspolitik setzt, bislang gut gefahren. Dies belegt der IW-Standortindex, der die internationale industrielle Standortqualität anhand einer Reihe von Indikatoren vergleicht (Grafik):

Im IW-Standortindex lag Deutschland im jüngsten verfügbaren Jahr 2021 auf einem respektablen vierten Platz – trotz zunehmender Klagen über marode Brücken, langsames Internet und endlose Genehmigungsverfahren.

Indexwert der industriellen Standortqualität auf einer Skala von 0 bis 200 von insgesamt 45 erfassten Ländern im Jahr 2021, Mittelwert = 100 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Die Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine für die hiesigen Energiepreise sind dabei jedoch noch nicht berücksichtigt, für energieintensive Industrien haben sich die Standortbedingungen seitdem stark verschlechtert.

Angesichts der gewaltigen Aufgabe der klimagerechten Transformation der Wirtschaft reicht es daher nicht mehr aus, allein auf die Rahmenbedingungen zu achten. Gerade die energieintensive Industrie, die Grundstoffe wie Stahl oder Chemikalien herstellt, ist auf günstige und jederzeit verfügbare Energie angewiesen. Sie selbst ist für das Land ökonomisch bedeutsam (Grafik):

Die energieintensiven Industriezweige beschäftigten im Jahr 2022 in Deutschland annähernd 850.000 Arbeitnehmer.

Beschäftigte und Bruttowertschöpfung im Jahr 2022 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Die energieintensiven Betriebe sind zudem überdurchschnittlich produktiv: Ihr Anteil an der industriellen Wertschöpfung liegt bei knapp 21 Prozent, während ihr Beschäftigtenanteil nur 15 Prozent beträgt.

Der Umstieg auf regenerativ erzeugten Strom und Wasserstoff führt dabei zu besonderen Herausforderungen. So benötigen Unternehmen für den Wechsel von Erdgas auf klimaneutralen Wasserstoff Hilfen und Sicherheiten, da dieser bislang noch kaum verfügbar und sehr teuer ist. Auch die Produzenten des Wasserstoffs brauchen Abnahme- und Preisgarantien, um die Investitionen in Produktionsanlagen, Lagerstätten und Transport in Angriff nehmen zu können. Entscheidende Punkte sind dabei die Geschwindigkeit einer „Transformation auf Anweisung“ bis 2045 und die privatwirtschaftlich nicht abbildbaren Risiken, die mit einer Investition in eine derzeit nicht wirtschaftliche Technologie verbunden sind.

Dauersubventionen vermeiden

Ohne eine sektororientierte Industriepolitik ist die Transformation des gesamten Wirtschaftssystems daher nicht machbar. Dabei wandert die Politik aber auf einem schmalen Grat, denn gleichzeitig müssen weiterhin Dauersubventionen bestimmter Sektoren und Unternehmen, seien es Stahlwerke, Batteriehersteller oder Chipfabriken, vermieden werden.

Zu den kontrovers diskutierten Maßnahmen gehört deshalb aktuell ein Brückenstrompreis für die Industrie, um dem Kostenanstieg entgegenzuwirken. Fraglich bleibt, ob Strom durch den beschleunigten Ausbau von Wind- und Solarparks ab 2030 wirklich wieder günstiger wird, da der erforderliche Netzausbau sowie gas- respektive zukünftig wasserstoffbetriebene Back-up-Kraftwerke für Dunkelflauten viel Geld kosten. Die angestrebte Brücke könnte daher ins Nichts führen, wenn ein auf Wind und Sonne basierendes Stromsystem teuer bleibt. Trotzdem sollte die Bundesregierung hier tätig werden, denn ansonsten droht ein allzu abrupter Kahlschlag energieintensiver Produktion in Deutschland – mit entsprechenden Auswirkungen auf nachgelagerte Sektoren. Um eine Dauersubvention zu vermeiden, sollte die Vergünstigung des Strompreises auf einen bestimmten Verbrauchsanteil begrenzt und zudem stufenweise zurückgefahren werden.

Bei der Entscheidung über Hilfen für energieintensive Industrien am Standort Deutschland sollte auch beachtet werden, dass der Bezug der von ihr erzeugten Vorprodukte aus dem Ausland neue Abhängigkeiten schafft – und nicht reduziert. Insbesondere die Abhängigkeit von Lieferungen aus China sollte nicht noch weiter erhöht werden (siehe "Handel mit China: Von De-Risking keine Spur").

Klassische Standortpolitik nicht vernachlässigen

Zudem sollten auch die „klassischen“ Felder der Standortpolitik hinsichtlich der Industrie nicht vernachlässigt werden, denn hier fällt Deutschland derzeit zurück: Im Bereich der Standortkosten liegt die Bundesrepublik nun auf Rang 44 von 45 untersuchten Ländern, 2018 reichte es noch für Platz 37.

In der Infrastruktur und der staatlichen Performance rutscht Deutschland ebenfalls spürbar ab, bei Verkehrswegen und Breitband von Rang zwei auf Rang sechs und bei der staatlichen Leistungsfähigkeit von Platz acht auf Platz elf. Daher sollten neben erhöhten Investitionen in Brücken, Bahnlinien und digitale Netze endlich ein wirksamer Bürokratieabbau, schnellere behördliche Verfahren und die Digitalisierung der Verwaltung entschlossen angepackt werden.

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