Das Rohstoff-Problem
Die deutsche Wirtschaft benötigt für klimafreundliche Technologien viele Rohstoffe aus dem Ausland. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, setzen die betroffenen Unternehmen primär auf eine verbesserte Materialeffizienz, die Diversifizierung der Lieferketten sowie langfristige Lieferverträge. Diese Maßnahmen reichen allerdings nicht aus, zudem setzt sie jeweils nur jeder zweite Betrieb um.
- Deutschland ist bei einem Großteil strategisch wichtiger Rohstoffe stark von Importen abhängig.
- Auf einer Skala von 0 (kein Risiko) bis 25 (maximales Risiko) erhöhte sich laut Rohstoff-Risiko-Index der IW Consult der durchschnittliche Risikowert für 45 untersuchte Rohstoffe von 2015 bis 2022 von 11,5 auf 14,7 Punkte.
- Rohstoffbeziehende Unternehmen in Deutschland sichern ihre Rohstoffversorgung primär über eine verbesserte Materialeffizienz, die Diversifizierung der Lieferketten sowie langfristige Lieferverträge ab.
Es klingt paradox, ist aber so: Um die Wirtschaft klimaneutral und fit für die Zukunft zu machen, braucht es Rohstoffe. Und zwar eine ganze Menge. So geht die Internationale Energieagentur davon aus, dass der Anteil der Rohstoffnachfrage, die auf neue Energietechnologien zurückzuführen ist, in den nächsten beiden Dekaden bei Lithium auf 90 Prozent, bei Nickel und Kobalt auf 60 bis 70 Prozent sowie bei Kupfer und seltenen Erden auf 40 Prozent steigen wird.
Bei vielen Rohstoffen, die für den Ausbau der Elektromobilität wichtig sind, ist das Versorgungsrisiko heute höher als 2015: Dies gilt für Lithium, Mangan, Aluminium und Kobalt.
Deutschland ist bei einem Großteil strategisch wichtiger Rohstoffe stark von Importen abhängig. Lithium und Kobalt – die Stoffe kommen in Akkus und Batterien zum Einsatz – stammen aus Ländern wie Australien, Argentinien, Chile oder der politisch instabilen Demokratischen Republik Kongo, dem Hauptförderland für Kobalt. Mehr als 60 Prozent der seltenen Erden werden in China gefördert, rund 90 Prozent aller seltenen Erden werden dort weiterverarbeitet. Bei der Bergwerksförderung von Platin und Palladium besitzen Südafrika und Russland mit einem Marktanteil von rund 80 Prozent eine beherrschende Stellung. Hinzu kommt: Viele dieser Rohstoffe lassen sich kaum ersetzen.
Politisches Risiko steigt
Die Folge dieser Entwicklungen misst der Rohstoff-Risiko-Index der IW Consult, der die Versorgungslage von 45 Rohstoffen für die deutsche Industrie berechnet. Auf einer Skala von 0 (kein Risiko) bis 25 (maximales Risiko) erhöhte sich demnach der durchschnittliche Risikowert für die 45 untersuchten Rohstoffe von 2015 bis 2022 von 11,5 auf 14,7 Punkte. Vor allem das politische Risiko ist in diesem Zeitraum stark gestiegen – von 8 auf 18 Punkte –, da beispielsweise Handelsbarrieren dazu geführt haben, dass einzelne Rohstoffe knapper geworden sind. Die Preis- und Substitutionsrisiken dagegen sind gesunken: von 11 auf 7 Punkte respektive von 17 auf 14 Punkte.
Doch für welche kritischen Rohstoffe drohen der heimischen Industrie überhaupt zunehmende Engpässe (Grafik)?
Am stärksten verschlechtert hat sich die Lage laut Rohstoff-Risiko-Index zwischen 2015 und 2022 mit 6 Punkten bei Tantal, das vor allem in der Medizintechnik und in elektronischen Bauteilen zum Einsatz kommt.
Auch bei vielen Rohstoffen, die für den Ausbau der Elektromobilität wichtig sind, ist das Versorgungsrisiko heute höher als 2015: Lithium, Mangan, Aluminium und Kobalt sind unter anderem wesentliche Bestandteile von Traktionsbatterien.
Neben politischen Plänen für eine autonomere Rohstoffversorgung – da wären neben der Rohstoffstrategie Deutschlands der Critical Raw Materials Act der EU zu nennen – sind auch die Unternehmen selbst gefragt, für sicheren Rohstoffnachschub zu sorgen. Ob und welche Absicherungsinstrumente sie für ihren Bedarf an Erzen, Metallen und Legierungen nutzen, haben knapp 160 rohstoffbeziehende Unternehmen im Rahmen des IW-Zukunftspanels im Frühjahr 2023 erläutert.
Rund 90 Prozent der Industrieunternehmen in Deutschland ergreifen Maßnahmen zur Risikobegrenzung.
Dies sind die wichtigsten Instrumente der Firmen gegen Rohstoffrisiken (Grafik):
Rund die Hälfte der Unternehmen, die Rohstoffe beziehen, versucht, ihr Material effizienter einzusetzen, um sich gegen Rohstoffrisiken zu wappnen. Auch langfristige Lieferverträge sowie die Diversifizierung von Lieferanten werden von jedem zweiten Betrieb genutzt.
Zusätzliche Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten sowie der Einsatz von Ersatzprodukten spielen jeweils nur eine untergeordnete Rolle.
Große Unternehmen betreiben systematisch stärkere Rohstoffsicherung als kleine Betriebe: Von den Firmen, die weniger als 1 Million Euro Umsatz im Jahr erzielen, ergreifen 22 Prozent keine Maßnahmen gegen Rohstoffrisiken. Von den Betrieben mit mehr als 50 Millionen Euro Jahresumsatz verzichten nur 7 Prozent darauf.
Für kleine Unternehmen kommen im Kern nur eine höhere Materialeffizienz und die Lieferantendiversifizierung infrage, um die Rohstoffversorgung zu sichern, während Großunternehmen auch Preisabsicherungsgeschäfte tätigen (41 Prozent), Recyclingmaßnahmen durchführen (35 Prozent) und in Produktionskapazitäten in Rohstoffländern investieren (10 Prozent).
Umfassendes Maßnahmenbündel fehlt
Vergleicht man die aktuellen Anstrengungen der deutschen Industrie mit jenen aus dem Jahr 2013, zeigt sich, dass die Branche weiterhin kein umfassendes Maßnahmenbündel zur Risikoreduktion der Rohstoffversorgung umsetzt. Zudem sind die vorrangig genutzten Maßnahmen wenig innovativ. Um eine umfassendere Vorsorge zu gewährleisten, sollte die Politik den heimischen Bergbau stärken, den Aufbau der Raffinerie- und Weiterverarbeitungskapazitäten innerhalb der EU vorantreiben sowie das Recycling forcieren.