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Deutsche Industrie auf Talfahrt

Die deutsche Industrie steckt in der Krise, enorm gestiegene Kosten belasten die Produktion in zahlreichen Sparten. Das schwächt die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die deutsche Industrie steckt in der Krise, im zweiten Quartal 2023 produzierten die Industrieunternehmen in Deutschland 5 Prozent weniger als im Jahresdurchschnitt 2019.
  • Vor allem die enorm gestiegenen Kosten belasten die Produktion: Im ersten Halbjahr 2023 lagen die Erzeugerpreise um 45 Prozent über dem Niveau des Jahres 2020.
  • Damit Deutschland international nicht den Anschluss verliert, braucht es staatliche Unterstützung und Reformen. Dafür sollte die Regierung sich von der restriktiven Umsetzung der Schuldenbremse lösen.
Zur detaillierten Fassung

Deutschland tritt wirtschaftlich auf der Stelle. Nach vorläufigen Schätzungen des Statistischen Bundesamtes stagnierte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal 2023 und befindet sich weiterhin auf dem Niveau von Anfang 2022.

Besonders besorgniserregend: Die deutsche Industrie, lange Zeit eine der tragenden Säulen der hiesigen Wirtschaft und wesentlicher Akteur im wichtigen Exportgeschäft, steckt in der Krise. Die Produktion der verschiedenen Industriezweige ging wie schon in den ersten drei Monaten des Jahres auch im zweiten Quartal zurück. Deutlich wird die kritische Lage, wenn man das Jahr 2019 – also jenes vor der Coronakrise und dem Krieg in der Ukraine – als Vergleich heranzieht (Grafik):

Im zweiten Quartal dieses Jahres produzierten die Industrieunternehmen in Deutschland 5 Prozent weniger als im Jahresdurchschnitt 2019.

Um so viel Prozent veränderte sich die Produktion in diesen Industriebranchen im Vergleich zum Jahresdurchschnitt 2019 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Die Produktionsrückgänge spiegeln die schwächere internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industriefirmen wider – und das in einer Zeit, in der sich die Weltwirtschaft generell in einer schwierigen Phase befindet. Geopolitische Verunsicherungen und hohe Inflationsraten bremsen rund um den Globus Investitionen und privaten Konsum. Entsprechend rückläufig ist die Nachfrage aus dem Ausland nach deutschen Industriegütern.

Dass die Industrieproduktion nicht noch stärker eingebrochen ist, liegt unter anderem an der Pharmaindustrie sowie der Elektroindustrie. In Letzterer übersteigt die Produktion bereits seit dem ersten Quartal 2021 wieder das Niveau von 2019 – im zweiten Quartal 2023 lag sie um fast 11 Prozent darüber. Für diese Sonderstellung gibt es zwei Gründe: Zum einen profitiert die Branche besonders stark von der Digitalisierung, zum anderen gab und gibt es pandemiebedingt eine höhere Nachfrage nach Elektrogütern wie zum Beispiel Computer und Co.

Ursachen für die Industrieschwäche

Die Ursachen für die sonstige Industrieschwäche sind vielfältig und belasten die einzelnen Industriesparten unterschiedlich. Während der Maschinenbau und die Automobilindustrie vor allem im Jahr 2021 unter fehlenden und teuren Materialien litten und die Metallindustrie von globalen Lieferengpässen beeinträchtigt war, traf die Energiekrise besonders die energieintensiven Wirtschaftsbereiche wie die chemische Industrie (siehe "Energieintensive Industrien wichtig für deutsche Wirtschaft"). Letztere hat mit einem Minus von 18 Prozent im Vergleich zu 2019 derzeit die größte Produktionslücke.

Deutschland befindet sich damit mittlerweile in einer der längsten Industrieflauten der vergangenen 70 Jahre, seit rund drei Jahren stagniert das Verarbeitende Gewerbe – und zuvor war es schon im Rückwärtsgang. Besserung ist nicht in Sicht: Die Auftragseingänge sinken und die Stimmung ist laut IW-Konjunkturumfrage schlecht. Im Juli 2023 rechneten gut vier von zehn Industrieunternehmen für das Gesamtjahr mit einer rückläufigen Produktion (siehe "Unternehmen rechnen mit schlechteren Geschäften").

Deutschland befindet sich in einer der längsten Industrieflauten der vergangenen 70 Jahre. Vor allem die enorm gestiegenen Kosten belasten die Produktion.

Zeigten die Firmen im Frühjahr noch zaghafte Zuversicht, ist der Pessimismus mittlerweile zurück – auch, weil die Kostenbelastung entgegen mancher Erwartung in diesem Jahr bislang kaum gesunken ist. Vor allem die seit zwei Jahren hohen Erzeugerpreise gewerblicher Produkte in Deutschland machen der Industrie zu schaffen (Grafik):

Im ersten Halbjahr 2023 lagen die Erzeugerpreise um 45 Prozent über dem Niveau des Jahres 2020.

Erzeugerpreisindex gewerblicher Produkte, 2015=100 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Gegenüber dem Jahresdurchschnitt 2022 gingen die Preise im ersten Halbjahr 2023 bislang um weniger als 1 Prozent zurück – bei Weitem nicht genug, gab es 2022 doch einen historischen Anstieg des Preisniveaus. Während der beiden Ölpreisschocks Mitte der 1970er und Anfang der 1980er Jahre erhöhten sich die Preise zwar ähnlich stark – allerdings über einen erheblich längeren Zeitraum.

Wettbewerbsfähigkeit durch viele Faktoren bedroht

Von allen Kosten trifft die Unternehmen der gestiegene Strompreis am heftigsten. Gut 40 Prozent der Industriefirmen geben in der aktuellen IW-Konjunkturumfrage an, dass dieser ihre Wettbewerbsfähigkeit deutlich stärker belastet als vor der Pandemie und dem Ukraine-Krieg. Für rund ein Drittel der Betriebe gilt dies gleichermaßen für die Gaspreise und die Lohnkosten. Gut jeder vierte sieht sich in seiner Wettbewerbsfähigkeit durch gestiegene Rohstoff- und Materialkosten stärker als zuvor bedroht.

Dass die hohen Energie-, Rohstoff- und Materialpreise sie langfristig belasten, glauben zwei Drittel der Unternehmen, die sich aktuell schon davon beeinträchtigt fühlen. Für einen noch größeren Teil der Befragten bleibt ein anderer Kostenfaktor ein dauerhaftes Problem:

Über 90 Prozent der Industriefirmen sehen ihre Wettbewerbsfähigkeit langfristig durch staatlich verursachte Kosten geschädigt.

Dauerhafte Sorgen bereiten den Unternehmen konkret die strengen Umweltauflagen, Arbeitsmarktregulierungen wie Auflagen zu Arbeitszeiten, die Höhe der Steuern und Abgaben sowie Bürokratiekosten. Um die ohnehin schon von den Kostenschocks getroffenen Firmen zu entlasten, sollte der Staat deshalb bestehende Regulierungen und Abgaben kritisch hinterfragen und gegebenenfalls abschwächen.

Ein erster, wenn auch sehr kleiner Schritt in die richtige Richtung ist das Wachstumschancengesetz, das Kleinigkeiten im Steuerrecht ändert und zeitnah verabschiedet werden soll. Ausreichend ist das aber längst nicht – weitere Reformen etwa bei der Unternehmensbesteuerung und der Einkommensteuer sind dringend nötig, damit Deutschland international nicht den Anschluss verliert. Es gibt allerdings keinen Weg, solche Steuerentlastungen im Rahmen der bestehenden Schuldenbremse umzusetzen – eine wachstumspolitisch verheerende Situation. Die Regierung wäre deshalb gut beraten, sich von der restriktiven Umsetzung der Schuldenbremse zu lösen.

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