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Tarifautonomie Lesezeit 3 Min.

Fragwürdige Tarifpartnerschaft in der Pflege

In der Altenpflege haben ein neu gegründeter Arbeitgeberverband und ver.di einen Tarifvertrag geschlossen, den Bundesarbeitsminister Hubertus Heil für allgemeinverbindlich erklären soll. Damit würde der nur für eine Minderheit geltende Tarifvertrag reguläre Tariflöhne verdrängen.

Kernaussagen in Kürze:
  • In der Altenpflege haben ein neu gegründeter Arbeitgeberverband und ver.di einen Tarifvertrag geschlossen, den Bundesarbeitsminister Hubertus Heil für allgemeinverbindlich erklären soll.
  • Dieser Tarifvertrag sieht bis zum 1. Juli 2023 unter anderem vor, den Pflegemindestlohn um 25 Prozent zu erhöhen.
  • Würde Hubertus Heil den Vertrag tatsächlich für allgemeinverbindlich erklären, würde dies vor allem zulasten jener Heimbewohner gehen, die die Mehrkosten über ihre Eigenanteile finanzieren müssten.
Zur detaillierten Fassung

Im November 2019 hat sich die Bundesvereinigung Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) gegründet – ein Zusammenschluss von Wohlfahrtsverbänden und einzelnen Pflegeanbietern. Der neue Arbeitgeberverband will einen repräsentativen Tarifvertrag in der Altenpflege abschließen, der auf die gesamte Branche erstreckt werden soll.

Wenn der neuer Tarifvertrag der Bundesvereinigung Arbeitgeber in der Pflegebranche und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di für allgemeinverbindlich erklärt würde, müssten auch die darunter liegenden Entgelte bei allen nicht tarifgebundenden Pflegenabietern steigen.

Anfang Februar 2021 hat sich die BVAP zu diesem Zweck mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die ebenfalls einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag anstrebt, auf einen neuen Tarifvertrag verständigt. Dieser sieht bis zum 1. Juli 2023 unter anderem vor, den Pflegemindestlohn um 25 Prozent zu erhöhen. Außerdem wird ein Urlaubsgeld von 500 Euro eingeführt.

Wenn Bundesarbeitsminister Hubertus Heil diesen Tarifvertrag zum 1. August 2021 tatsächlich für allgemeinverbindlich erklärt, würden die Entgelte dieses Vertrags für alle nicht tarifgebundenen Pflegeanbieter gelten und die Löhne bestehender Tarifverträge – sofern sie darunter liegen – verdrängen. Dieser Eingriff in die Tarifautonomie müsste allerdings mit einem „öffentlichen Interesse“ begründet werden. Der Gesetzgeber könnte anführen, die Tarifbindung stärken zu wollen – so wie es auch im Koalitionsvertrag vom März 2018 festgelegt wurde.

Der neue Tarifvertrag ist nicht repräsentativ

Das Problem ist jedoch, dass ein Tarifvertrag dafür repräsentativ sein muss. Das ist er in diesem Fall aber nicht: ver.di ist in der Altenpflege kaum organisiert und der BVAP vertritt nur wenige Pflegeanbieter aus den Bereichen von Arbeiterwohlfahrt, Arbeiter-Samariter-Bund und der Diakonischen Dienstgeber in Niedersachsen.

Um trotzdem die nötige Repräsentativität zu erreichen, sollen auf Wunsch von BVAP und ver.di die kirchlichen Kommissionen dem Tarifvertrag zustimmen. Diese regeln die Arbeitsbedingungen für kirchliche Träger (Diakonie und Caritas), ohne an das allgemeine Tarifrecht gebunden zu sein. Die kirchlichen Kommissionen von Diakonie und Caritas, die rund 30 Prozent der Beschäftigten in der Altenpflege stellen, sollen dem Tarifvertrag zustimmen, ihn selbst aber nicht unterzeichnen und anwenden. Sie dienen also maximal als umstrittener Mehrheitsbeschaffer für Regelungen, von denen sie selbst nicht betroffen wären, da sie höher vergüten.

Rolle der kirchlichen Träger ist problematisch

Genau das ist höchst problematisch. Einerseits profitieren die Kirchen von ihrer tarifrechtlichen Sonderstellung. Da sie nicht direkt mit den Gewerkschaften verhandeln müssen, können sie auch nicht Ziel eines Arbeitskampfes werden. Andererseits wollen sie aber Einfluss auf die regulären tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen nehmen. Sollten die Kirchen dem neuen Tarifvertrag zustimmen, wäre ihre rechtliche Sonderstellung gefährdet. Die derzeitige tarifrechtliche Privilegierung wäre eigentlich nicht länger zu rechtfertigen.

Ebenso fragwürdig ist, dass ein Tarifvertrag allgemeinverbindlich werden soll, der zulasten Dritter geht. Betroffen wären noch nicht einmal die Krankenkassen, die höhere Zuschüsse aufgrund höherer Tariflöhne erst einmal bewilligen müssten. Es wären zunächst jene Heimbewohner, die die Mehrkosten über ihre Eigenanteile finanzieren müssen. Pro Kopf und Monat liegt der Eigenanteil im bundesweiten Durchschnitt schon heute bei 2.068 Euro. Allein in den vergangenen drei Jahren ist er um 16,7 Prozent gestiegen. Wer also höhere Tariflöhne in der Altenpflege will, sollte zeitgleich auch regeln, wie diese Mehrkosten solidarisch finanziert werden.

Aufgrund des Fachkräftemangels sind die Löhne in der Altenpflege, bestehend aus einer ambulanten und einer stationären Pflege, gemäß Verdienststatistik des Statistischen Bundesamts zuletzt schon stark gestiegen (Grafik):

Der durchschnittliche monatliche Bruttolohn für eine vollzeitbeschäftigte stationäre Pflegefachkraft erhöhte sich zwischen 2015 und 2019 um 17,8 Prozent – und damit überdurchschnittlich.

Monatliches mittleres Bruttoeinkommen einer vollzeitbeschäftigten Fachkraft in der Pflege und im Diensleistungssektor insgesamt, 2015 = 100 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Im Dienstleistungssektor insgesamt lag der Zuwachs bei Fachkräften mit abgeschlossener Berufsausbildung nur bei 12,6 Prozent.

Die Lohnentwicklung in der Altenpflege, zu der neben der stationären auch die ambulante Pflege gehört, lässt sich anhand des Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit noch genauer bestimmen. Demnach kamen die Fachkräfte in der Altenpflege zwischen 2015 und 2019 auf ein Plus von 18,6 Prozent und Helfer auf einen Anstieg von 17,5 Prozent.

Die Dynamik bei den Fachkräften deutet an, dass der Markt für Pflegekräfte inzwischen auf Knappheit reagiert. Es bedarf also keiner staatlichen Unterstützung einer fragwürdigen Tarifpartnerschaft, die die Tarifautonomie beschädigt.

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