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Erdgas: Sparen tut not

Das unberechenbare Verhalten Russlands mit Blick auf seine Erdgaslieferungen in den Westen lässt Deutschland keine Wahl: Mittel- und langfristig müssen Alternativen zum russischen Pipelinegas her. Kurzfristig ist Sparen das Gebot der Stunde.

Kernaussagen in Kürze:
  • Seit dem 21. Juli hat die gewartete Erdgas-Pipeline Nord Stream 1 wieder ihren Betrieb aufgenommen – allerdings schickt Russland deutlich weniger Gas durch die Röhren nach Deutschland.
  • Es kommt jetzt also vor allem darauf an, schnell so viel Gas wie möglich einzusparen.
  • Schon mit kleinen Verhaltensänderungen könnten die knapp 40 Millionen Haushalte den Gasverbrauch spürbar reduzieren: Wird etwa die Heizungstemperatur nur um 1 Grad abgesenkt, lassen sich fast 6 Prozent der bisherigen Heizenergie einsparen.
Zur detaillierten Fassung

Seit dem 21. Juli hat die gewartete Erdgas-Pipeline Nord Stream 1 wieder ihren Betrieb aufgenommen. Dennoch schickt Russland deutlich weniger Gas durch die unter der Ostsee verlaufenden Röhren.

Russland hat seit seinem Einmarsch in die Ukraine seinen Ruf als verlässlicher Energielieferant verspielt, indem es den Umfang seiner Gaslieferungen durch Nord Stream 1 sowie durch Weißrussland und Polen (JAMAL-Pipeline) und über die Ukraine willkürlich reduzierte. Die drastischste Kürzung erfolgte Mitte Juni (Grafik):

Innerhalb weniger Tage verringerten sich die Gaslieferungen durch Nord Stream 1 auf nur noch 40 Prozent der lange Zeit üblichen Menge.

Gaslieferungen aus Russland über diese deutschen Grenzorte in Gigawattstunden Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Moskau begründete dies mit einer fehlenden Gasturbine des Herstellers Siemens, die in Kanada gewartet worden war und aufgrund der westlichen Sanktionen nicht zurück nach Russland transportiert werden konnte. Experten zweifeln die Begründung jedoch an und werfen Russland vor, sein Gas als politisches Druckmittel zu nutzen.

Inzwischen hat Kanada auf Bitten Deutschlands die Lieferung der reparierten Turbine freigegeben, sodass Moskau es nicht länger rechtfertigen kann, nach der Wartung kein oder nur wenig Gas durch Nord Stream 1 zu pumpen. Dennoch muss sich Deutschland auf den Ernstfall gänzlich ausbleibender Gaslieferungen vorbereiten:

Alternativen zu russischem Gas. Schon vor dem Krieg waren Norwegen und die Niederlande nach Russland die wichtigsten Gaslieferanten für Deutschland. Ein kleiner Teil des russischen Gases konnte in den vergangenen Wochen durch höhere Importe aus diesen beiden Ländern ersetzt werden. Auch Flüssiggas (LNG) aus anderen Staaten, das über Terminals in Belgien nach Deutschland transportiert wurde, spielte eine wichtige Rolle.

Um noch größere Mengen Flüssiggas importieren zu können, bräuchte die Bundesrepublik allerdings eigene Terminals, die es bislang nicht gibt. Frühestens im kommenden Winter sollen die ersten zwei schwimmenden Flüssiggasterminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel in Betrieb gehen. Und auch wenn alle Hindernisse für LNG-Lieferungen beseitigt wären: Teurer als vor Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine wird diese Versorgungslösung in jedem Fall (siehe Artikel Flüssiggas: Ein Mittel gegen die Abhängigkeit von Russland?).

Schon mit kleinen Verhaltensänderungen könnten die knapp 40 Millionen Haushalte in Deutschland den Gasverbrauch spürbar reduzieren: Wird etwa die Heizungstemperatur nur um 1 Grad abgesenkt, lassen sich fast 6 Prozent der bisherigen Heizenergie einsparen.

Strategien für den Winter. Deutschland muss seine Gasspeicher, die knapp ein Viertel des gesamten Bedarfs decken können, bis zum Start der Heizperiode ausreichend füllen. Die Bundesregierung plant per Gesetz bis zum 1. Oktober einen Speicherstand von 80 Prozent der maximalen Füllhöhe, bis 1. November sogar 90 Prozent – Mitte Juli lag der Wert bei etwa 65 Prozent.

Da aber völlig unklar ist, wie viel russisches Gas in den kommenden Wochen zur Verfügung steht, kommt es vor allem darauf an, schnell so viel Gas wie möglich einzusparen. Die privaten Haushalte und die Industrie, die zusammen etwa zwei Drittel des deutschen Erdgasverbrauchs verantworten, sind da bereits auf gutem Weg (Grafik):

Im Mai 2022 wurde in Deutschland mit 51 Terawattstunden – begünstigt auch durch das vergleichsweise warme Wetter – ein Viertel weniger Gas verbraucht als im gleichen Vorjahresmonat.

Gasverbrauch in Deutschland in Terawattstunden Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Sollte es zu einer weiteren Verknappung des Gasangebots kommen, plant die Bundesregierung ab August mithilfe einer Auktion, den Gasverbrauch in der Industrie weiter zu reduzieren. Der Einsatz von Gas zur Stromerzeugung soll umgehend deutlich sinken, stattdessen sollen Kohlekraftwerke wieder mehr Strom liefern.

Wie mehr Gas eingespart werden kann

Für private Haus- und Wohnungsbesitzer liegt es nahe, die Gasheizung durch eine Wärmepumpe zu ersetzen. Doch das dürfte nur in den wenigsten Fällen vor dem kommenden Winter möglich sein, denn Material und Handwerker fehlen.

Doch schon mit kleinen Verhaltensänderungen könnten die knapp 40 Millionen Haushalte den Gasverbrauch spürbar reduzieren:

Wird etwa die Heizungstemperatur nur um 1 Grad abgesenkt, lassen sich fast 6 Prozent der bisherigen Heizenergie einsparen.

Einige Kommunen haben angekündigt, die Beleuchtung städtischer Gebäude herunterzufahren oder die Wassertemperatur in öffentlichen Schwimmbädern zu reduzieren.

Optionen für den Notfall. Wenn es trotz aller Anstrengungen nicht mehr genug Gas für alle Verbraucher gibt, wird die Bundesregierung die dritte Stufe des Gasnotfallplans ausrufen. Die Bundesnetzagentur würde dann entscheiden, wer wann und wie beliefert wird. Da nach derzeitiger Rechtslage zum Beispiel private Haushalte oder Krankenhäuser prioritär mit Erdgas versorgt werden, wäre vor allem die Industrie von einem etwaigen Gasmangel betroffen. Produktionsausfälle ließen sich dann kaum vermeiden.

Am Ende lassen sich die Gaskrise und der Weg aus der Abhängigkeit von Russland nur gemeinsam mit den europäischen Partnern lösen – zumal knapp die Hälfte des nach Deutschland importierten Gases in andere Länder weitergeleitet wird. Unter anderem mit Österreich hat Deutschland bereits Abkommen zur Kooperation im Notfall geschlossen.

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