Berufsausbildung Lesezeit 5 Min.

Ein Schutzschirm für Azubis

Die Corona-Pandemie setzt auch den Ausbildungsmarkt unter Druck. Nicht nur Unternehmen halten sich mit ihrem Angebot an Ausbildungsplätzen zurück, auch viele Jugendliche zögern, in diesem Jahr eine Berufsausbildung zu beginnen. All dies verschärft den Fachkräftemangel.

Kernaussagen in Kürze:
  • Der Ausbildungsmarkt ist durch die Corona-Pandemie unter Druck: Sowohl die Zahl der Ausbildungsplätze als auch die Zahl der Bewerber sinkt.
  • Das Bundesinstitut für Berufsbildung geht davon aus, dass in diesem Jahr rund 25.000 weniger neue Ausbildungsverträge abgeschlossen werden als 2019.
  • Um Betriebe bei der Ausbildung zu unterstützen, zahlt die Bundesregierung Corona-geschädigten kleinen und mittleren Unternehmen, die weiterhin ausbilden, einen Zuschuss zwischen 2.000 und 3.000 Euro je Azubi.
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Die Corona-Krise stellt zahlreiche Unternehmen vor große Herausforderungen: Zwar können die meisten Betriebe in Deutschland bislang Entlassungen weitestgehend vermeiden – seit März 2020 waren lediglich 82.700 Zugänge in Arbeitslosigkeit aus Beschäftigung zu verzeichnen. Doch die Zahl der Anzeigen von Kurzarbeit hat im April mit mehr als zehn Millionen Personen ein Rekordhoch erreicht. Im Vordergrund steht derzeit, möglichst viele Beschäftigte zu halten, um nach der Krise wieder durchstarten zu können.

In diesem Jahr werden voraussichtlich weniger als 500.000 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen – sollte die Wirtschaftsleistung um 7 oder mehr Prozent schrumpfen, könnten es sogar weniger als 460.000 Abschlüsse werden.

Das stark gesunkene Arbeitsvolumen und der zunehmende Kostendruck führen dazu, dass viele Unternehmen momentan auf Neueinstellungen verzichten. So gab es im März 2020 rund 115.000 weniger offene Stellen als im Vorjahr. Diese Zurückhaltung schlägt sich auch auf dem Ausbildungsmarkt nieder, denn es werden aktuell deutlich weniger Plätze als in den vergangenen Jahren neu besetzt (Grafik):

Von Oktober 2019 bis Ende Mai 2020 wurden bei der Bundesagentur für Arbeit insgesamt gut 46.000 betriebliche Ausbildungsstellen weniger gemeldet als im gleichen Vorjahreszeitraum.

Gemeldete Berufsausbildungsstellen und Bewerber jeweils zwischen Oktober des Vorjahres und Mai Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Das entspricht einem Minus von rund 9 Prozent. Ursache für diesen rapiden Rückgang der Ausbildungsplatzzahl ist, dass viele Betriebe vorübergehend vollständig schließen mussten – beispielsweise im Einzelhandel, in der Gastronomie oder im Automobilbau. Und wer nicht von Schließungen betroffen war, musste häufig seine Geschäftstätigkeit kurzfristig auf die Arbeit im Homeoffice umstellen oder massive Auftragseinbrüche verkraften.

Auch viele Jugendliche verschieben ihren Ausbildungsstart

Weil niemand weiß, wie lange die Krise noch andauert und wie umfangreich die Auswirkungen sein werden, sind zahlreiche Unternehmen verunsichert und halten sich mit der Neueinstellung von Auszubildenden zurück. Auch die Jugendlichen selbst zaudern. Viele von ihnen überlegen, wegen der Pandemie ihren Ausbildungsstart um ein oder zwei Jahre zu verschieben. So ist auch die Nachfrage am Ausbildungsmarkt zurückgegangen:

Die Zahl der gemeldeten Bewerber ist in diesem Beratungsjahr bislang um rund 39.000 gesunken.

Ähnlich wie schon in früheren Krisenjahren schauen sich Jugendliche nach Alternativen zu einer dualen Ausbildung um. Viele entscheiden sich momentan lieber für ein Studium.

Unternehmen müssen also zum einen neue Wege gehen, um Bewerber zu finden. Zum anderen müssen sie ihre Ausbildung aktuell umstellen. Denn Instrumente wie Kurzarbeit und flexible Homeoffice-Regelungen lassen sich nicht eins zu eins auf die Ausbildung übertragen. Homeoffice ist für Auszubildende nicht vorgesehen. Zudem stellt die Ausbildung im Homeoffice eine anspruchsvolle Betreuungsaufgabe dar, die neben der erforderlichen technischen Ausstattung auch flexible Wege bei der Qualifizierung erfordert.

Vielen Unternehmen, die in den vergangenen Wochen Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt haben, blieb keine andere Wahl, als dies auch für Auszubildende zu organisieren. Kurzarbeit ist für den betrieblichen Nachwuchs allerdings nur dann möglich, wenn es keine andere Möglichkeit gibt. Unternehmen sind verpflichtet, alle Handlungsspielräume auszuschöpfen, bevor sie auch für Auszubildende Kurzarbeit beantragen können.

Auszubildende genießen auch in Krisenzeiten einen besonderen Schutz

Zudem haben Auszubildende – auch bei Kurzarbeit – zunächst einen sechswöchigen Anspruch auf Fortzahlung der Ausbildungsvergütung. Dieser besondere Schutz ist ein wichtiges Signal an junge Erwachsene, die über eine Ausbildung nachdenken. Ihnen wird dadurch garantiert, dass alles getan wird, damit sie ihre Ausbildung erfolgreich beenden können.

Wie aber kann das in Pandemiezeiten gelingen? Anders als bereits fertig ausgebildete Fachkräfte benötigen Azubis Unterstützung, um ihren Arbeitstag zu strukturieren. Hinzu kommt, dass auch im Homeoffice die vorgeschriebenen Ausbildungsinhalte vermittelt werden müssen. Hierfür sind digitale Lernformate hilfreich – auch über die akute Krise hinaus.

Außerdem haben Unternehmen die Möglichkeit, die Reihenfolge der Ausbildungsinhalte anzupassen. So lassen sich theoretische Inhalte leichter von Bildschirm zu Bildschirm vermitteln als praktische Kenntnisse. Doch auch Letzteres ist mit passenden digitalen Angeboten grundsätzlich möglich – sei es mithilfe von Bildern, Videos, 3-D-Modellen, Virtual- oder Augmented-Reality-Anwendungen. Sogar für die Prüfungsvorbereitungen gibt es zahlreiche digitale Angebote. Das ist vor allem für Berufsschulen interessant, von denen viele nicht hinreichend auf digitales Lernen vorbereitet waren.

Unternehmen sind an E-Learning-Angeboten interessiert

In der Krise zeigt sich zwar, dass es einen großen Anstieg bei digitalen Weiterbildungsaktivitäten gab. Allerdings wünschen sich viele Unternehmen mehr Informationen zu E-Learning-Angeboten sowie Erfahrungsberichte aus der Praxis. Den Unternehmen hilft es, wenn sie sehen, wie digitales Lernen in anderen Betrieben funktioniert. Das IW hat daher entsprechende Informationen auf der Homepage des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (kofa.de) bereitgestellt.

Welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf den Ausbildungsmarkt in Deutschland letzten Endes haben wird, hängt auch davon ab, wie stark die Wirtschaft in diesem Jahr einbricht. Die aktuellen Prognosen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) sind alles andere als ermutigend (Grafik):

In diesem Jahr werden voraussichtlich weniger als 500.000 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen werden.

Neu abgeschlossene Ausbildungsverträge Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Das wären rund 25.000 weniger als im Vorjahr und damit deutlich zu wenig, um die Fachkräftebasis langfristig zu sichern. Denn die derzeitigen Jahrgänge der Schulabsolventen sind etwa doppelt so stark wie die nachrückende Azubi-Generation. Sollte die Wirtschaftsleistung in Deutschland gar um 7 oder mehr Prozent schrumpfen, könnten es sogar weniger als 460.000 Neuabschlüsse werden.

Für viele Unternehmen ist die aktuelle Situation aber auch deshalb ein ernsthaftes Ausbildungshemmnis, weil sie die Qualifizierung des Nachwuchses finanziell nicht mehr stemmen können. So zeigt eine BIBB-Erhebung, dass insbesondere das erste Ausbildungsjahr kostenintensiv ist. Bei dreijährigen Ausbildungsberufen liegen die Nettokosten der Betriebe im ersten Ausbildungsjahr bei 8.600 Euro, im dritten Ausbildungsjahr dagegen nur noch bei 2.200 Euro.

Derzeit dürfte aber entscheidend sein, dass ein Azubi im Schnitt jährlich 20.855 Euro an Bruttokosten verursacht, die zunächst zu finanzieren sind.

Denn ob Auszubildende in der Krise in der Produktion oder bei der Erstellung von Dienstleistungen überhaupt Erträge erwirtschaften können, ist in vielen Unternehmen ungewiss.

Um Betriebe bei der Ausbildung zu unterstützen und Jugendlichen bei der Ausbildungssuche zu helfen, plant die Bundesregierung einen „Schutzschirm für Lehrstellen“:

Eine Ausbildungsprämie soll die berufliche Zukunft der Jugendlichen sichern und einen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten.

Kleine und mittlere Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern sollen 2.000 Euro Zuschuss je Auszubildenden erhalten, wenn sie „in erheblichem Umfang“ von der Krise betroffen sind und dennoch ihre Ausbildungsaktivitäten aufrechterhalten. Erhöhen sie die Zahl ihrer Auszubildenden sogar, gibt es 3.000 Euro. Ob das eine nennenswerte Wirkung hat oder vielmehr umfangreiche Mitnahmeeffekte auslöst, muss sich erst zeigen. Zielgenauer dürfte die Maßnahme sein, Betriebe mit einer Übernahmeprämie von 3.000 Euro zu fördern, die Azubis aus insolventen Firmen übernehmen. Das wurde kürzlich in der Allianz für Aus- und Weiterbildung verabredet und inzwischen auch vom Bundeskabinett beschlossen.

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