Die Warnsignale auf dem Arbeitsmarkt mehren sich
Mehr Erwerbstätige, mehr freie Stellen, weniger Arbeitslose: In den zurückliegenden sieben Jahren reihte sich eine gute Nachricht vom deutschen Arbeitsmarkt an die andere. Nun allerdings zeigen mehrere Indikatoren an, dass sich das Beschäftigungsklima abkühlt. Eine Rückkehr zu früheren Krisenlagen ist aber nicht zu befürchten.
- Im Mai 2019 waren mit gut 45,1 Millionen 460.000 Menschen mehr erwerbstätig als ein Jahr zuvor. Dennoch mehren sich mittlerweile die Anzeichen, dass es auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr ganz so rund läuft.
- Im Juni 2019 bezogen knapp 704.500 Menschen in Deutschland Arbeitslosengeld I wegen Arbeitslosigkeit. Damit lag die Zahl erstmals seit Ende 2013 wieder über dem Wert des Vorjahresmonats.
- Auch die Zahl der Arbeitnehmer, für die in den ersten fünf Monaten des Jahres 2019 Kurzarbeit angemeldet wurde, überstieg den Wert des Vorjahreszeitraums.
Von 2012 bis 2018 ist die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland um 2,8 Millionen auf den Jahresrekord von mehr als 44,8 Millionen gestiegen. Und auch wenn sich der Aufwärtstrend in jüngster Zeit etwas abgeschwächt hat, waren im Mai 2019 mit gut 45,1 Millionen noch einmal 460.000 Menschen mehr erwerbstätig als ein Jahr zuvor. Spiegelbildlich hat sich die Zahl der Arbeitslosen seit 2012 um fast 600.000 verringert – auf 2,34 Millionen im Jahresdurchschnitt 2018.
Dennoch mehren sich mittlerweile die Anzeichen, dass es auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr ganz so rund läuft:
- Die Zahl der Arbeitnehmer in der Zeitarbeit – die als Frühindikator für den Arbeitsmarkt gilt – ist seit geraumer Zeit rückläufig. Dies dürfte nur zum Teil darauf zurückzuführen sein, dass der Einsatz von Zeitarbeitnehmern in den Betrieben 2017 schärfer reguliert wurde.
- Im Juni 2019 gab es mit rund 774.000 erstmals seit Oktober 2013 wieder etwas weniger offene Stellen als zwölf Monate zuvor (Grafik).
- Seit Anfang 2014 lag die Zahl der Empfänger von Arbeitslosengeld I, die diese Leistung aufgrund von Arbeitslosigkeit – und nicht infolge der Teilnahme an einer Weiterbildung – beziehen, in jedem Monat unter dem Vorjahreswert. Inzwischen hat sich der Trend gedreht:
Im Juni 2019 bezogen knapp 704.500 Menschen in Deutschland Arbeitslosengeld I wegen Arbeitslosigkeit – gut 43.000 mehr als ein Jahr zuvor.
- Die Zahl der Arbeitslosen ist im Mai 2019 gegenüber dem Vormonat saisonbereinigt um 60.000 auf 2,28 Millionen gestiegen. etwa gut die Hälfte dieses Zuwachses ist zwar auf eine statistische Korrektur zurückzuführen. Doch auch ohne diesen Sondereffekt bleibt ein überraschend starker Anstieg der Arbeitslosigkeit festzuhalten. Im Juni hat sich die saisonbereinigte Arbeitslosenzahl wieder stabilisiert – ob sich die im Mai angedeutete Trendumkehr verfestigt, bleibt daher abzuwarten.
Voreilig wäre es jedenfalls, die Indizien für eine Verschlechterung der Arbeitsmarktlage damit in Zusammenhang zu bringen, dass einige große Unternehmen in Deutschland einen Stellenabbau angekündigt haben – zum Beispiel Bayer, Thyssen-Krupp oder die Deutsche Bank.
Seit Anfang 2014 lag die Zahl der Empfänger von Arbeitslosengeld I, die diese Leistung aufgrund von Arbeitslosigkeit beziehen, in jedem Monat unter dem Vorjahreswert. Inzwischen hat sich der Trend gedreht.
Denn zwischen einer solchen Ankündigung und den tatsächlichen Stellenstreichungen vergeht meist viel Zeit. Und in zahlreichen Fällen führt ein Stellenabbau gar nicht zu Entlassungen, vielmehr werden regulär ausscheidende Mitarbeiter nicht oder nur zum Teil durch Neueinstellungen ersetzt. Zudem erzeugen Meldungen über größere geplante Stellenkürzungen viel Resonanz – während gleichzeitig Nachrichten über Firmen, die zusätzliches Personal einstellen, eher untergehen.
Aus der Statistik lässt sich jedenfalls bislang keine erhöhte Neigung der Betriebe in Deutschland ablesen, Mitarbeiter zu entlassen. Bezogen auf alle Beschäftigten lag der Anteil derjenigen, die aus einer regulären Erwerbstätigkeit in die Arbeitslosigkeit gingen, im Mai 2019 mit 0,65 Prozent nochmals leicht unter dem Wert des Vorjahresmonats (0,66 Prozent).
Mehr Kurzarbeit
Zu den Indikatoren, die auf eine Eintrübung des Arbeitsmarktklimas hindeuten, gehört zweifellos die stärker genutzte Kurzarbeit:
Von Januar bis Mai 2019 wurde insgesamt für 92.000 Arbeitnehmer bei den Arbeitsagenturen Kurzarbeit angezeigt – im gleichen Vorjahreszeitraum gab es nur 35.000 solcher Anzeigen.
Allerdings haben die Betriebe auch in den vergangenen, wirtschaftlich starken Jahren kurzarbeiten lassen – in den ersten fünf Monaten der Jahre 2015 und 2016 beispielsweise gingen bei den Arbeitsagenturen jeweils knapp 100.000 entsprechende Anzeigen ein. Im Krisenjahr 2009 wurde von Januar bis Mai insgesamt sogar für 2,4 Millionen Beschäftigte Kurzarbeit angezeigt.
Arbeitsmarkt - Hoch über Europa
Auch in der Europäischen Union insgesamt hat sich die Arbeitsmarktlage in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Die jüngste Rekordzahl: Im ersten Quartal 2019 hatten in den 28 EU-Staaten insgesamt 240,7 Millionen Menschen einen Arbeitsplatz. Allein seit Anfang 2017 ist die Zahl um mehr als sechs Millionen gestiegen. Die Beschäftigungsquote erreichte im Schlussquartal 2018 mit 73,5 Prozent ebenfalls einen neuen Höchststand.
Allerdings hat das Tempo des Beschäftigungswachstums zuletzt nachgelassen, wie die EU-Kommission in ihrem neuesten Arbeitsmarktbericht feststellt. Zudem ist das Gefälle innerhalb der EU nach wie vor groß: Während in Schweden im vergangenen Jahr fast 83 Prozent aller 20- bis 64-Jährigen einen Job hatten, waren es in Griechenland weniger als 60 Prozent. Dennoch ist auch dort die Arbeitslosenzahl zuletzt deutlich gesunken.
Insgesamt fiel die Arbeitslosenquote in der EU-28 im Mai 2019 auf 6,3 Prozent – den niedrigsten Wert seit der ersten Veröffentlichung im Januar 2000. Neben Griechenland meldeten zuletzt auch Spanien und Zypern einen besonders starken Rückgang der Arbeitslosenquote. Am niedrigsten ist die Erwerbslosigkeit gemäß Eurostat-Definition derzeit in Tschechien (2,2 Prozent), Deutschland (3,1 Prozent) und den Niederlanden (3,3 Prozent).
Diese Länder zählen spiegelbildlich auch zu den EU-Staaten mit den meisten offenen Stellen. Der Trend bei diesem Arbeitsmarktindikator war bis zuletzt ebenfalls positiv: Im ersten Quartal lag die Quote der offenen Stellen in 14 EU-Ländern über dem Wert des Vorjahres-zeitraums – nur in fünf Mitgliedsstaaten war sie leicht rückläufig.