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Die Kosten der Schulschließungen

Deutschlands Schülerinnen und Schüler sind im Frühjahr 2020 mit denkbar schlechten Voraussetzungen ins Homeschooling geschickt worden. Die technische Ausstattung hat sich seit vergangenem März zwar verbessert, doch die langfristigen Folgen auch der erneuten Schulschließungen dürfte dies kaum abfedern.

Kernaussagen in Kürze:
  • Welche Folgen hat der Distanzunterricht für die Schüler? Möglicherweise steigt die Zahl der Klassenwiederholer sowie der Schulabbrecher. Auch niedrigere Bildungsabschlüsse könnten die Schulschließungen nach sich ziehen.
  • Ursache dafür ist, dass der Fernunterricht im ersten Schul-Lockdown nur in Teilen den Präsenzunterricht adäquat ersetzen konnte.
  • Das steht auch nun wieder zu befürchten, denn nach wie vor hapert es an der technischen Ausstattung für ein gelingendes Homeschooling.
Zur detaillierten Fassung

Schon zwischen Mitte März und Mai 2020 waren die Schulen aufgrund der Corona-Pandemie deutschlandweit geschlossen. Nun, im zweiten Lockdown, sind Schulen und Kitas in Deutschland erneut weitgehend zu. Weitgehend? Zwar unterscheiden sich die Regelungen im Detail in den einzelnen Bundesländern – etwa dahingehend, ob Abschlussjahrgänge auch in Präsenz unterrichtet werden können oder wie die Regelungen zur Notbetreuung ausgestaltet sind –, aber überwiegend sind die Schulen geschlossen. Am stärksten weicht Bremen vom Länderkonsens ab: In Grundschulen ist die Anwesenheitspflicht aufgehoben, die Eltern können derzeit also selbst entscheiden, ob sie ihren Nachwuchs zur Schule schicken – wobei die Teilnahme am Präsenzunterricht für die ersten sechs Klassen ausdrücklich „ermöglicht und empfohlen“ wird.

Ein Anstieg der Klassenwiederholungen sowie generell niedrigere Bildungsabschlüsse zählen zu den Folgen von längeren Schulschließungen.

Unterschiede in den Länderregelungen sind zum Teil verwirrend und mitunter auch ärgerlich. Langfristig ist aber vor allem eines wichtig: Was bedeutet es für die Schülerinnen und Schüler, wenn sie ihre Schule über Monate nicht besuchen können?

Auch wenn es bislang keine vergleichbare Situation gegeben hat, weiß man, welche Folgen längere Schulunterbrechungen für die Schüler haben können. Lernen ist ein dynamischer, aufeinander aufbauender Prozess.

Wird kein neues Wissen vermittelt, bleibt der bereits vorhandene Wissensstand nicht erhalten, sondern es gehen auch bereits erworbene Fähigkeiten verloren.

Empirische Untersuchungen zu Schulschließungen beziehen sich bisher vor allem auf Länder und Regionen, in denen durch Schulstreiks oder längere Sommerferien kein Unterricht stattfand. Unterbrechungen aufgrund von Schulstreiks können sich bereits bei Grundschülern auf die späteren Abschlüsse auswirken. Auch ein Anstieg der Klassenwiederholungen sowie generell niedrigere Bildungsabschlüsse zählen zu den Folgen von längeren Schulschließungen.

In den USA sind die Schulen im Sommer zwei bis drei Monate lang geschlossen. Im Durchschnitt verlieren amerikanische Schüler in dieser Phase an Kompetenzen, besonders stark im Fach Mathematik. Sozioökonomisch benachteiligte Schüler erleiden zudem einen ausgeprägten Kompetenzverlust im Lesen, während diese Fähigkeit bei Schülern aus bessergestellten Haushalten über die Sommerferien sogar leicht ansteigt.

Mehr täglicher Unterricht über Videotools

Die Effekte des Homeschoolings in der Corona-Krise müssen nicht direkt mit diesen Untersuchungen übereinstimmen: Zwar sind die Schulen überwiegend geschlossen, doch der Unterricht geht mehr oder weniger weiter – nämlich daheim. Während im ersten Shutdown noch viel Lernstoff durch Aufgabenblätter vermittelt wurde, die von den Schülern zu bearbeiten waren, erhalten Kinder und Jugendliche aktuell an vielen Schulen zu Hause täglich Unterricht durch Lehrkräfte über Videotools; oder sie bekommen den Unterrichtsstoff auf Lernplattformen zur Verfügung gestellt.

Das setzt allerdings nicht nur eine stabile Internetverbindung und einen PC für jeden Schüler voraus, sondern auch Erfahrungen darin, wie digitale Endgeräte im Unterricht einzusetzen sind. In diesem Punkt hinkte Deutschland gegenüber einigen anderen europäischen Ländern zuletzt deutlich hinterher (Grafik):

Im Jahr 2018 waren neun von zehn Schülern in Dänemark geübt darin, digitale Geräte gemeinsam mit Lehrern während des Sprachunterrichts zu nutzen – in Deutschland galt das nur für zwei von zehn Schülern.

So viel Prozent der Schüler gaben 2018 an, dass während der Schulstunden auch digitale Geräte zum Einsatz kamen, die gemeinsam von der Lehrkraft und den Schülern genutzt wurden Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Auch international vergleichende Untersuchungen zur Ausstattung der Schulen mit WLAN, digitalen Lernplattformen sowie zur Qualifikation und den Erfahrungen der Lehrkräfte mit digitalem Fernunterricht zeigten, dass Deutschland einen großen Nachholbedarf hatte.

Nach knapp einem Jahr Erfahrung im Distanzunterricht dürften sich sowohl die Ausstattung als auch die Fähigkeiten in Deutschland verbessert haben. Eine aktuelle Befragung von Lehrkräften zeigt jedoch, dass zwar viele Lehrkräfte in puncto Fernunterricht dazugelernt haben. Doch am Equipment hapert es weiterhin (Grafik):

Mit 61 Prozent hielt die Mehrheit der Lehrer ihre Schule auch noch im Dezember 2020 mit Blick auf die technische Ausstattung für weniger gut oder sogar schlecht auf den Fernunterricht vorbereitet. So viel Prozent der Lehrer in Deutschland hielten ihre Schule hinsichtlich der technischen Ausstattung für den Fernunterricht für so gut oder schlecht vorbereitet Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Im April 2020 lag dieser Anteil bei 66 Prozent. Derzeit haben nur 23 Prozent der Schulen Konzepte, Schüler mit Lernschwierigkeiten im Wechsel- oder Fernunterricht zu unterstützen.

Lernzeiten reduzieren sich häufig im Distanzunterricht

Unklar ist überdies noch, welches Pensum die Schülerinnen und Schüler aktuell während der zweiten Phase der Schulschließungen bewältigen. Während des ersten Shutdowns im Frühjahr 2020 haben die Kinder und Jugendlichen nach Erhebungen des ifo Instituts nur etwa halb so viel Zeit mit schulbezogenen Tätigkeiten verbracht wie während des klassischen Schulbetriebs. Vor allem leistungsschwächere Schüler reduzierten ihre Lernzeiten deutlich. Einige Bildungsforscher gehen deshalb davon aus, dass für eine Reihe von Kindern und Jugendlichen das Lernen aufgrund der Schulschließungen zu großen Teilen ausgefallen ist. Auch erste Untersuchungen aus Belgien und den Niederlanden nach den ersten Schulschließungen zeigen, dass große Lerndefizite vor allem bei Kindern aus bildungsfernen Haushalten festzustellen sind. Der Fernunterricht konnte folglich im ersten Schul-Lockdown nur in Teilen den Präsenzunterricht adäquat ersetzen.

All dies hat auch Konsequenzen für die Bildungsgerechtigkeit, denn die Ungleichheit der Bildungschancen verschärft sich deutlich.

Darüber hinaus führen die Kompetenzverluste durch Schulunterbrechungen zu Einkommensverlusten bei den Betroffenen:

Wenn ein Drittel des Schuljahres an Stoff und Lernen verloren geht, zieht dies nach Berechnungen des ifo Instituts einen Einkommensverlust von im Durchschnitt 3 bis 4 Prozent über das gesamte Berufsleben nach sich.

Jedes zusätzliche Schuljahr erhöht dagegen das Lebenseinkommen um durchschnittlich 10 Prozent.

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