Die Industrie steckt in der Krise
Die deutsche Industrie steckt in einer länger anhaltenden Krise. Dabei vermischt sich der konjunkturelle Abschwung mit den strukturellen Herausforderungen der Branche. Auch wenn erste Anzeichen für eine Stabilisierung zu erkennen sind, wird es in absehbarer Zeit keinen deutlichen Aufschwung geben.
- Seit Mai 2018 sinkt die Produktion in der deutschen Industrie, das ist die längste Schwächephase seit Anfang der 1990er Jahre.
- Die reale Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe verringerte sich im vergangenen Jahr gegenüber 2018 um 3,6 Prozent.
- Die Krise hat zwei Ursachen: die schwächelnde Weltkonjunktur und die strukturellen Veränderungen in der deutschen Industrie.
Anfang 2018 sah es für die Industrie in Deutschland richtig gut aus. Die Produktion profitierte noch von einem längeren Boom und lag auf einem hohen Niveau, die Beschäftigung stieg. Und das, obwohl der US-Präsident bereits seinen protektionistischen Weg eingeschlagen und auch die Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen, eine große Verunsicherung ausgelöst hatte. Der Arbeitsmarkt zeigte sich besonders robust: Im Juli 2018 durchbrach die für die deutsche Industrie so wichtige Metall- und Elektro-Industrie erstmals seit 1993 die Marke von vier Millionen Beschäftigten. In der Produktion dagegen begann allmählich ein Sinkflug, der bislang nicht gestoppt werden konnte (Grafik):
Seit Mai 2018 sinkt die Produktion in der deutschen Industrie, das ist die längste Schwächephase seit Anfang der 1990er Jahre.
Eine ähnlich lange Industriekrise gab es zuletzt zwischen Februar 1992 und Juli 1993, als die deutsche Wirtschaft mit den Folgen der Wiedervereinigung zu kämpfen hatte. Der Abschwung während der Finanzkrise war zwar deutlich heftiger, endete aber bereits nach acht Monaten.
Die Krise in der deutschen Industrie hat zwei Ursachen: die schwächelnde Weltkonjunktur und die strukturellen Veränderungen in den einzelnen Industriebranchen.
Die aktuelle Krise ist auf zwei Ursachen zurückzuführen: die schwächelnde Weltkonjunktur und die strukturellen Veränderungen in der deutschen Industrie. Dadurch, dass beide Faktoren nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können, sondern sich an vielen Stellen vermischen, ist die Krise so ausgesprochen hartnäckig.
Vor allem bedingt durch den Handelskonflikt zwischen den USA und China ist die Weltwirtschaft im Jahr 2019 schätzungsweise nur um 3 Prozent gewachsen. Zur Einordnung: Der Internationale Währungsfonds ging ursprünglich von einem weltweiten Plus von 3,7 Prozent aus, korrigierte seine Prognose aber innerhalb des vergangenen Jahres gleich viermal nach unten. Das wirkte sich auf die exportstarke Industrie in Deutschland aus. Sie musste 2019 sogar ein Minus verbuchen (Grafik):
Die reale Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe sank im vergangenen Jahr gegenüber 2018 um 3,6 Prozent.
Für 2020 erwarten Experten zwar einen leichten Aufwärtstrend für die Weltkonjunktur. Abzuwarten bleibt aber, inwieweit sich die Ausbreitung des Coronavirus und die eingeleiteten Gegenmaßnahmen negativ auf die Wirtschaft auswirken. Mit einem deutlichen Aufschwung ist in nächster Zeit jedenfalls nicht zu rechnen.
Umbruch in der Automobilindustrie
Neben den äußeren Einflüssen spielen für die deutsche Industrie auch die Veränderungen innerhalb der einzelnen Branchen eine große Rolle. Von der fortschreitenden Digitalisierung und Automatisierung sind so gut wie alle Teilbereiche des Verarbeitenden Gewerbes betroffen. Besonders stark wirkt sich aber der Umbruch in der Automobilindustrie aus.
Die Autobauer arbeiten derzeit zudem intensiv daran, sich in Sachen Elektromobilität besser aufzustellen und die gesetzlichen Vorgaben der EU einzuhalten. Dieser Umbau wird Zeit in Anspruch nehmen und sich auf mittlere Sicht negativ auf die Dynamik der Industrie auswirken.
Die Krise im Verarbeitenden Gewerbe ist mittlerweile auch auf dem Arbeitsmarkt zu spüren.
Nachdem zunächst Zeitarbeitsjobs zurückgefahren und Guthaben auf Arbeitszeitkonten abgebaut wurden, schrumpfte die Zahl der Beschäftigten in der Industrie im Herbst 2019 erstmals seit zehn Jahren.
Trotz all dieser Faktoren gibt es erste Anzeichen, dass in der Produktion zumindest die Talsohle erreicht sein könnte. Die Stimmung in den Betrieben scheint den Tiefpunkt überwunden zu haben. Darauf deuten die Daten des ifo Geschäftsklimaindex und des Einkaufsmanagerindex für die Industrie hin. Das Verarbeitende Gewerbe verzeichnet trotz anhaltend niedriger Auftragseingänge noch einen passablen Auftragsbestand. Und auch die Warenexporte stiegen zuletzt wieder leicht an. Es könnte also zu einer Stabilisierung auf niedrigerem Niveau kommen.
Auch die wirtschaftliche Annäherung zwischen den Vereinigten Staaten und China sowie die Klarheit beim Brexit könnten dazu beitragen, dass die Industrie den Abwärtstrend allmählich stoppen kann.