Wirtschaftspolitik Lesezeit 7 Min.

Der IW-Wunschzettel: Klimaschutz und Digitalisierung im Fokus

Noch ist nicht klar, wer die neue Bundesregierung stellen wird. Doch welche Aufgaben der nächste Bundestag anpacken muss, darüber haben die Vertreter der elf Kompetenzfelder des IW ganz konkrete Vorstellungen.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die elf Vertreter der IW-Kompetenzfelder haben ganz unterschiedliche Wünsche an die neue Bundesregierung. In einem sind sie sich jedoch einig: Die künftige Wirtschaftspolitik muss zügig umgesetzt werden und unbürokratisch sein.
  • Ein Kernthema ist die Digitalisierung: Sie sollte in allen Bereichen vorangetrieben werden, insbesondere im Bildungssystem und in der öffentlichen Verwaltung.
  • Tempo machen muss die Politik auch beim Klimaschutz: Damit der Ausbau der erneuerbaren Energien vorankommt, sollten das Planungs- und Genehmigungsrecht verschlankt werden.
Zur detaillierten Fassung

Die neue Bundesregierung sollte sich gegenüber China und den USA neu und entschiedener positionieren und dies mit ihrem großen Einfluss auch in Brüssel durchsetzen. Die Hand zur Kooperation muss gegenüber Peking zwar immer ausgestreckt bleiben, etwa mit Blick auf den Klimaschutz. Aber in Sachen Wettbewerbsverzerrungen, forcierter Technologietransfer und Menschenrechtsverletzungen durch China gehört die EU eindeutig auf die Seite Washingtons. Die Wirtschaftsbeziehungen zu China mögen bei dieser Positionsverschiebung nicht immer ungeschoren davonkommen. Aber die Verflechtungen mit den USA sind weitaus wichtiger. Der AUKUS-Deal hat gezeigt, dass die ambivalente europäische Haltung zu China die EU in der Geopolitik zu marginalisieren droht. Denn die USA haben Frankreich in ihrem Militärpakt und U-Boot-Geschäft mit Australien einfach beiseitegeschoben.

Jürgen Matthes, Leiter des Kompetenzfelds Internationale Wirtschaftsordnung und Konjunktur

Download: Grafik (JPG) herunterladen Die Soziale Marktwirtschaft funktioniert auch in Krisenzeiten. Mit der sozialen Absicherung durch Umverteilungsmaßnahmen wie dem Kurzarbeitergeld konnten insbesondere niedrige Einkommensschichten vor Einbußen während der Pandemie geschützt werden, sodass die Ungleichheit in dieser Zeit sogar gesunken ist. Zugleich hat die Marktwirtschaft ihre Resilienz bewiesen und unter schwierigen Bedingungen zuverlässig die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Strom, Internet, Homeoffice-Equipment usw. sichergestellt. Nicht zuletzt hat der Kapitalmarkt genügend Risikokapital für die Impfstoffentwicklung bereitgestellt. Die neue Bundesregierung muss zum einen dieses Vertrauen in die Marktkräfte stärken, um Innovationen auch bei anderen Problemen zu fördern, und zum anderen Vertrauen in staatliche Institutionen zurückgewinnen. Ein allgemeiner ordnungspolitischer Rahmen mit nachvollziehbaren, logischen Regeln und dem grundsätzlichen Vertrauen in mündige Bürger und deren Selbstverantwortung ist gefordert. So muss der Staat zum Beispiel bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie wieder mehr auf allgemeine Regeln statt auf detaillierte Verordnungen setzen, um die Selbstverantwortung der Bürger zu stärken.

Dominik Enste, Leiter des Kompetenzfelds Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik

Mehr Flexibilität, damit neue Jobs entstehen

Wir benötigen eine flexibilitätsorientierte Arbeitsmarktordnung, damit erstens für Unternehmen, Beschäftigte und deren Interessenvertretungen der Spielraum größer wird, ein innovations- und produktivitätsförderliches Arbeitsumfeld zu gestalten. Denn auch eine zusätzliche Mobilisierung von Erwerbspotenzialen wird nicht ausreichen, die demografische Lücke zu schließen. Denkbar ist zum Beispiel eine befristete und moderate Verkürzung der Ruhezeiten im Zusammenhang mit dem Arbeiten im Homeoffice. Eine flexibilitätsorientierte Arbeitsmarktordnung ist zweitens auch Voraussetzung dafür, dass neue Jobs entstehen, die den Menschen eine Chance für den beruflichen Umstieg oder Wiedereinstieg in Arbeit bieten. Denn im Zuge des ökologischen oder digitalen Wandels wird nicht jeder jetzige Arbeitsplatz auf Dauer aufrechterhalten werden können. Wir werden daher auch in Zukunft Zeitarbeit und Befristungen benötigen.

Oliver Stettes, Leiter des Kompetenzfelds Arbeitsmarkt und Arbeitswelt

Wir brauchen eine missionsorientierte Forschungsförderung

Die Forschungspolitik sollte durch eine gezielte missionsorientierte Forschungsförderung, die exakte Ziele definiert, an der Schnittstelle von Digitalisierung und Dekarbonisierung die Transformation der Wirtschaft unterstützen und durch eine höhere Forschungszulage die Innovationsaktivitäten der kleinen und mittleren Unternehmen fördern. Die Bildungspolitik sollte die Digitalisierung des Bildungssystems voranbringen, alle Bildungspotenziale erschließen, digitale und MINT-Kompetenzen stärken und den Transformationsprozess in Digitalisierung und Klimaschutz sowie deren Schnittstellen durch eine Ausweitung der Weiterbildung an Hochschulen begleiten.

Axel Plünnecke, Leiter des Kompetenzfelds Bildung, Zuwanderung und Innovation

Wir brauchen eine umfassende Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung

In der neuen Legislatur wird es entscheidend sein, die öffentliche Verwaltung umfassend zu digitalisieren. Deutschland hinkt in diesem Punkt anderen europäischen Staaten hinterher und vernachlässigt so eine Rahmenbedingung für eine erfolgreiche, gemeinwohlorientierte digitale Transformation von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Umsetzung einer e-ID für Bürger:innen, digitale Schnittstellen für Unternehmen sowie die Nutzung und Bereitstellung von Daten durch den Staat – all das trägt dazu bei, effizienter zu arbeiten, Bürokratie abzubauen und unser Land leistungsfähiger zu machen. Wir lassen sonst riesige Potenziale ungenutzt, was wir uns im internationalen Wettbewerb nicht leisten können.

Vera Demary, Leiterin des Kompetenzfelds Digitalisierung, Strukturwandel und Wettbewerb

Tarifautonomie wahren

Der gesetzliche Mindestlohn wurde 2015 mit dem Ziel eingeführt, die Tarifautonomie zu stärken. Dies begründet auch, warum eine Kommission aus Gewerkschafts- und Arbeitgebervertretern Vorschläge zur Anpassung des Mindestlohns macht – und nicht die Regierung. Nun soll der Mindestlohn nach Vorstellung von SPD und Grünen schon 2022 auf 12 Euro steigen. Damit würde ein geltender Beschluss der Mindestlohnkommission außer Kraft gesetzt und der Mindestlohn sprunghaft ansteigen. Viele laufende Tarifverträge würden überholt und Tarifverhandlungen für untere Lohngruppen in einigen Branchen zunächst obsolet. Um die Tarifautonomie zu wahren, sollte die kommende Regierung die Vorschlagshoheit für den Mindestlohn bei der Kommission belassen und auf politisch motivierte Festsetzungen verzichten.

Christoph Schröder, Senior Researcher für Einkommenspolitik, Arbeitszeiten und -kosten

Download: Grafik (JPG) herunterladen Besonders dringlich in der Bau- und Immobilienpolitik ist die Beschleunigung der Prozesse. Nach wie vor dauert es von der Planung bis zur Fertigstellung von Wohnungen extrem lange. Noch größere Hürden ergeben sich bei Umnutzungen, beispielsweise von Einzelhandelsflächen in Wohnungen, sowie bei Dachausbauten. Hier bedarf es einer Flexibilisierung der Bauordnung. Darüber hinaus sollten die Bauämter digitalisiert werden. Dies würde nicht nur Prozesse beschleunigen, sondern auch helfen, die Personalknappheiten zu überwinden. So könnte die Digitalisierung die Produktivität der Mitarbeitenden steigern und es ermöglichen, zum Beispiel Vorprüfungen an weniger ausgelastete Bauämter weiterzuleiten.

Michael Voigtländer, Leiter des Kompetenzfelds Finanzmärkte und Immobilienmärkte

Die gesetzliche Krankenversicherung braucht eine zweite Finanzierungssäule

In der umlagefinanzierten Krankenversicherung herrscht Solidarität zwischen Jung und Alt. Wenn die Gemeinschaft aber älter wird, dann gelingt das auf Dauer nur zulasten der Jungen – auch in einer Bürgerversicherung. Intergenerative Solidarität erfordert deshalb ein Moratorium für die beitragsfinanzierten Ausgaben. Für darüber hinaussteigende Ausgaben muss in einer zweiten Säule vorgesorgt werden, idealerweise kapitalgedeckt. Die Prämien können je nach Tarif variieren – ob mit freier Arztwahl oder Hausarzttarif, mit oder ohne privatärztliche Abrechnung oder in anderen Versorgungsmodellen. Wahloptionen für gesetzlich Versicherte setzen Anreize für Kassen und Leistungsanbieter, effizientere Lösungen zu entwickeln. Das senkt Kosten und Prämien.

Jochen Pimpertz, Leiter des Kompetenzfelds Öffentliche Finanzen, Soziale Sicherung, Verteilung

Das Teilhabestärkungsgesetz muss schnellstmöglich umgesetzt werden

Am 1. Januar 2022 tritt das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, kurz Teilhabestärkungsgesetz, in Kraft. Es sieht vor, bundesweit einheitliche Ansprechstellen einzurichten, die Arbeitgeber informieren, beraten und sie bei der Ausbildung, Einstellung und Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen unterstützen. Es wäre wünschenswert, dass diese Anlaufstellen möglichst bald installiert werden und schnell handlungsfähig sind. Außerdem sollte die Genehmigungsfiktion – das ist die automatische Genehmigung von Anträgen nach einer Fristüberschreitung – bei Anträgen von Arbeitgebern bei den Integrationsämtern oder Rehabilitationsträgern umgesetzt werden, um eine höhere Planungssicherheit zu erzielen. Auch Arbeitnehmer, die teilweise selbst für die Beantragung technischer Arbeitshilfen zuständig sind, können davon profitieren.

Andrea Kurtenacker, Leiterin des Kompetenzfelds Berufliche Teilhabe und Inklusion

Die Digitalisierung in der Berufsausbildung muss vorangetrieben werden

Die Enquetekommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ des Deutschen Bundestags hat am 22. Juni 2021 ihren Abschlussbericht vorgelegt, dem allerdings ein klarer Fokus auf den digitalen Wandel fehlt. Dieser erfordert mehr Flexibilität und Experimentierräume in der beruflichen Qualifizierung. Die neue Bundesregierung sollte daher gemeinsam mit den Ländern einen „Digitalpakt Berufliche Bildung“ aufsetzen. Ziel sollte es sein, die Berufsschulen mit Technik, Lehrpersonal und Gestaltungsfreiräumen auszustatten und allen Akteuren in der beruflichen Bildung Lernplattformen bereitzustellen, damit sie sich vernetzen und gemeinsam lernen können.

Dirk Werner, Leiter des Kompetenzfelds Berufliche Qualifizierung und Fachkräfte

Download: Grafik (JPG) herunterladen Die neue Bundesregierung muss beim Klimaschutz Tempo machen und die dafür notwendigen Weichen so schnell wie möglich stellen. Das Wichtigste ist der Ausbau der erneuerbaren Energien, denn nur mit emissionsfreier Energie werden Industrieprozesse, Straßenverkehr sowie das Heizen und Kühlen klimafreundlich. Damit der Ausbau schneller vorangehen kann, müssen bürokratische Hürden beseitigt werden. Das Planungs- und Genehmigungsrecht mit seinen strengen Abstands- und Höhenbegrenzungen für Windkraftanlagen muss so verschlankt werden, dass die Stromproduktion aus regenerativer Energie in den nächsten Jahren schneller wachsen kann.

Thilo Schaefer, Leiter des Kompetenzfelds Umwelt, Energie und Infrastruktur

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