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Unternehmen stehen vor großen Veränderungen

Vier grundlegende Veränderungsprozesse stellen die Geschäftsmodelle vieler Firmen in Deutschland vor gewaltige Herausforderungen. Eine neue IW-Studie zeigt nun: Gerade die starken Unternehmen sind von den Umwälzungen besonders betroffen. Hier steht also viel auf dem Spiel. Gleichzeitig sind diese Firmen am besten aufgestellt, um mit den Veränderungen umzugehen. Dafür braucht es aber auch den politischen Gestaltungswillen der künftigen Bundesregierung.

Kernaussagen in Kürze:
  • Vier fundamentale Veränderungen stellen die deutschen Unternehmen vor große Herausforderungen: die Deglobalisierung, die Dekarbonisierung, der demografische Wandel und die Digitalisierung.
  • Knapp 59 Prozent des Umsatzes aller Unternehmen in Deutschland entfallen auf Firmen, die mindestens von drei dieser fundamentalen Veränderungen betroffen sind.
  • Wenn die Politik nicht zeitnah die richtigen Weichen stellt, dürften die vier Disruptoren von Deutschlands wirtschaftlichem Erfolg wenig übrig lassen.
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Ob Karl Marx oder Joseph Schumpeter: Ökonomen unterschiedlicher politischer Lager nutzen den Begriff der schöpferischen Zerstörung. Dahinter steckt der Gedanke, dass alte Strukturen verdrängt werden, wann immer sich eine neue Kombination von Produktionsfaktoren erfolgreich durchsetzt.

Aktuell steckt die Weltwirtschaft in solch einer Phase – und damit auch deutsche Unternehmen. Denn gleich vier Megatrends sorgen dafür, dass Altbewährtes infrage gestellt wird:

  1. Deglobalisierung: Protektionistische Tendenzen, durch die Corona-Pandemie gestörte Lieferketten und sich abzeichnende Abschottungstendenzen in China setzen dem internationalen Handel zu.
  1. Dekarbonisierung: Der Klimawandel bringt Firmen und Staaten in Zugzwang, Verbraucher verlangen nach umweltfreundlichen Alternativen; erneuerbare Energien und nachhaltige Produktionsweisen sind gefragt.
  1. Demografischer Wandel: In Deutschland und vielen anderen westlichen Staaten altert die Bevölkerung und es gibt nicht genügend Nachwuchs, um zum einen die Fachkräftelücke aus eigener Kraft zu schließen und zum anderen die umlagefinanzierten Sozialsysteme dauerhaft bezahlen zu können.
  1. Digitalisierung: Prozesse und Produkte werden immer digitaler. Dafür braucht es Experten und Infrastruktur, inklusive schnellem Internet allerorten sowie entsprechenden Aus- und Weiterbildungsangeboten.

Das Institut der deutschen Wirtschaft hat nun knapp 1.300 Unternehmen befragt, inwiefern sie von diesen Disruptoren betroffen sind und welche Eigenschaften auf sie laut Selbsteinschätzung zutreffen. Dabei zeigt sich:

Knapp 59 Prozent des Umsatzes aller Unternehmen in Deutschland entfallen auf Firmen, die mindestens von drei der fundamentalen Veränderungen betroffen sind.

Unter den Großunternehmen liegt dieser Anteil sogar bei mehr als 70 Prozent. Dagegen erwirtschaften deutsche Firmen, die mit keinem einzigen Disruptor zu kämpfen haben, lediglich knapp 4 Prozent des Gesamtumsatzes aller Unternehmen.

Doch nicht nur große Firmen sind besonders oft von mehreren Disruptoren betroffen, sondern auch bestimmte Branchen:

Fast 76 Prozent des Umsatzes in der Gruppe Maschinenbau, Elektroindustrie und Fahrzeugbau erwirtschaften Firmen, die sich mindestens drei fundamentalen Veränderungen stellen müssen. In der Metallerzeugung und -bearbeitung sind es Unternehmen mit knapp 75 Prozent des Branchenumsatzes, in der Chemie kommen sie immerhin auf rund zwei Drittel.

Anders sieht es bei den unternehmensnahen Dienstleistern aus, wo lediglich knapp 28 Prozent des Umsatzes auf entsprechend stark betroffene Firmen entfallen. Allerdings gibt es auch hier kaum ein Unternehmen, das nicht zumindest mit einer disruptiven Veränderung zu kämpfen hat.

Vier fundamentale Veränderungen stellen die deutschen Unternehmen vor große Herausforderungen. Davon, wie sie gemeistert werden, hängt der künftige wirtschaftliche Erfolg der Bundesrepublik ab.

Dieser Blick auf die deutsche Wirtschaft zeigt, wie gewaltig die Herausforderungen in den kommenden Jahren werden. Denn es gilt: Mit einer einzelnen grundlegenden Veränderung kann ein Unternehmen in den meisten Fällen relativ gut umgehen. Die Unsicherheit vergrößert sich aber deutlich, wenn mehrere Probleme parallel gelöst werden müssen.

Allerdings liegt es in der Natur der Sache, dass nicht jedes Unternehmen gleich gut darin ist, Herausforderungen zu meistern. Und hier machen die Ergebnisse der IW-Studie Mut, denn sie zeigen, dass vor allem jene Unternehmen vor mehreren Herausforderungen gleichzeitig stehen, die besonders innovationsfreudig und globalisiert sind (Grafik):

Fast 63 Prozent der Unternehmen, die von mindestens drei fundamentalen Veränderungen betroffen sind, investieren regelmäßig in Forschung und Entwicklung. Unter den Firmen, die – zumindest bislang – von disruptiven Prozessen verschont bleiben, liegt dieser Anteil nur bei gut 32 Prozent.

So viel Prozent der Unternehmen, die von mindestens drei Disruptoren bzw. keinem Disruptor betroffen sind, verfügen über diese Eigenschaft Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Firmen, die sich stark mit disruptiven Prozessen konfrontiert sehen, liegen zudem bei der Exportorientierung, der Produktion im Ausland und dem Unternehmenserfolg – gemessen an der Rendite und der Entwicklung des Personalstamms – häufig über den Werten jener Betriebe, deren Geschäftsmodelle bislang nicht infrage gestellt werden.

Politik muss zeitnah die Weichen stellen

Wenn gerade die international erfolgreichen Unternehmen unter Druck sind, steht für die Volkswirtschaft einiges auf dem Spiel. Gleichzeitig haben erfolgreiche und innovative Firmen die besten Chancen, sich zu erneuern und anzupassen. In bestimmten Bereichen gibt es jedoch weitere Einschränkungen:

Investitionszurückhaltung. Jene energieintensiven Branchen, die von disruptiven Veränderungen besonders betroffenen sind, haben sich schon in den vergangenen Jahren mit Investitionen zurückgehalten – das könnte sich jetzt rächen.

Rückblick, nicht Ausblick. Die Bewertung der Firmen erfolgt mit Blick auf Kennzahlen der Vergangenheit. Diese sind allerdings nur bedingt dafür geeignet, künftige Entwicklungen abzuschätzen. So zeigt das Beispiel der bislang stets erfolgreichen und für Deutschland immens wichtigen Automobilindustrie, wie groß und vielschichtig die Herausforderungen sind – sowohl mit Blick auf die Klimaneutralität als auch auf die Digitalisierung oder die Positionierung auf dem chinesischen Markt beziehungsweise gegenüber der chinesischen Wirtschaft.

In den Augen der befragten Firmen ist es die zentrale Aufgabe der Politik, zeitnah die richtigen Weichen zu stellen. Die Unternehmen denken in diesem Zusammenhang vor allem an die digitale Infrastruktur inklusive Netzausbau, die (digitale) Bildung und die Stärkung von Forschung und Entwicklung.

Zudem wünschen sich die Unternehmen, dass die Politik den Kampf gegen Wettbewerbsverzerrungen durch China intensiviert, europäische Standards etabliert und qualifizierte Zuwanderung weiter erleichtert.

All das sind zweifellos sehr ambitionierte Wünsche an die künftige Bundesregierung. Werden sie jedoch nicht erfüllt, dürften die vier Disruptoren von Deutschlands wirtschaftlichem Erfolg der vergangenen Jahrzehnte wenig übrig lassen.

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