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Der harte Brexit rückt näher

Die Corona-Pandemie hat die Verhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich nicht einfacher gemacht. Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines harten Brexits würden die ökonomischen Folgen der Corona-Krise noch weiter verstärken.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU über ein Freihandelsabkommen kommen bislang kaum voran.
  • Während die EU auf möglichst gleichen Wettbewerbsbedingungen besteht, pocht das Vereinigte Königreich auf Regulierungsautonomie.
  • Sollten sich die EU und das Vereinigte Königreich nicht auf ein generelles Abkommen einigen, würden auch wieder Zölle anfallen. Die ökonomischen Folgen wären massiv.
Zur detaillierten Fassung

Die Corona-Pandemie dominiert derzeit die Politik, andere Dinge geraten aus dem Fokus – so auch die Verhandlungen zum Brexit. Dennoch hält die britische Regierung an ihrem Plan fest, die Übergangsfrist, die am 31. Dezember 2020 endet, nicht zu verlängern, auch wenn bis dahin kein Freihandelsabkommen zustande gekommen ist.

Die Zeit drängt also, die letzte Verhandlungsrunde über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen, die Mitte Mai stattfand, brachte allerdings kaum Fortschritte. Die nächste Gesprächsrunde ist für Anfang Juni angesetzt.

Die Verhandlungen kreisen vor allem darum, inwieweit das Vereinigte Königreich künftig die Regelungen der EU zu den Arbeitnehmerrechten, den Sozial- und Umweltstandards, der Kontrolle staatlicher Beihilfen und der Bekämpfung von Wettbewerbsbeschränkungen beibehält.

Während die EU auf möglichst gleichen Wettbewerbsbedingungen besteht und dies auch in ihrem Vertragsentwurf von Mitte März 2020 so gefordert hat, pocht das Vereinigte Königreich auf Regulierungsautonomie. Die Briten begeben sich damit in einen gewissen Widerspruch zur politischen Erklärung über den Rahmen für die künftigen Beziehungen, die sie mit der EU im Oktober 2019 vereinbart haben. Dort hatten sich die Vertragsparteien darauf geeinigt, „die am Ende des Übergangszeitraums in der Union und im Vereinigten Königreich geltenden gemeinsamen hohen Normen in den Bereichen staatliche Beihilfen, Wettbewerb, Sozial- und Beschäftigungsstandards, Umwelt, Klimawandel und einschlägige Steuerfragen zu wahren“.

Die Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU über ein Freihandelsabkommen stocken derzeit.

Ein weiterer Streitpunkt ist, ob ab 2021 Zollkontrollen in der Irischen See notwendig sind und wie sie umgesetzt würden. Um Kontrollen an der Landgrenze zwischen Nordirland und der Republik Irland zu verhindern, hatten beide Vertragsparteien vereinbart, dass Nordirland weiterhin viele Zoll-, Verbrauchsteuer- und Binnenmarktregelungen der EU anwenden wird. Bei Waren, die aus Großbritannien oder aus Drittländern nach Nordirland eingeführt und die geeignet sind, in den EU-Binnenmarkt weitergeleitet zu werden, muss der Außenzolltarif der EU angewendet werden. Nach Auffassung der EU wird dies nur durch Zollkontrollen in der Irischen See möglich sein, die Modalitäten sind allerdings noch nicht geklärt.

Waren im Wert von so vielen Millionen Pfund exportierte das Vereinigte Königreich 2018 in die EU Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Ein dritter Streitpunkt ist der Zugang der EU zu den britischen Fischereigründen.

Hier haben besonders Küstenländer wie Frankreich und Spanien ein großes Interesse an einem möglichst ungehinderten Zugang zu den britischen Hoheitsgewässern. London möchte dagegen die Fangquoten jährlich neu verhandeln. Die Zeit drängt: Die Parteien haben vereinbart, bis 1. Juli 2020 ein Fischereiabkommen zu schließen.

Sollten sich die EU und das Vereinigte Königreich nicht auf ein generelles Abkommen einigen, würden auch wieder Zölle anfallen. Zwar beträgt der durchschnittliche Zollsatz der EU für Einfuhren aus Drittländern nur 5,2 Prozent, für einzelne Produktgruppen gelten aber deutlich höhere Tarife (Grafik):

Für Milchprodukte lag der Zollsatz in der EU im Jahr 2018 bei 43,7 Prozent. Auch andere Nahrungsmittel werden hoch verzollt.

So hoch war der durchschnittliche EU-Zollsatz für diese Produktgruppen im Jahr 2018 in Prozent Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Die Briten ihrerseits haben im Jahr 2018 Nahrungsmittel und lebende Tiere im Wert von mehr als 10,5 Milliarden Pfund in die EU exportiert (Grafik). Insgesamt brachte das Exportgeschäft in die Europäische Union dem Vereinigten Königreich Einnahmen von mehr als 170 Milliarden Pfund. Neue Zölle könnten deshalb zu Investitionsverlagerungen von der Insel führen.

Auch die Briten haben inzwischen ihr eigenes Zollsystem entwickelt; Automobilimporte etwa sollen wie in der EU mit einem Zoll von 10 Prozent belegt werden.

Die ökonomischen Folgen sind massiv, zumal die Corona-Krise hinzukommt: Die Bank of England rechnet für das erste Quartal 2020 mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 3 Prozent, für das zweite Quartal hält sie sogar einen Absturz von 25 Prozent für möglich. Für 2020 insgesamt geht die Notenbank von einem Minus von 14 Prozent aus. Auch die Arbeitslosigkeit in Großbritannien steigt – von zuletzt 4 auf voraussichtlich 9 Prozent. Diese Werte gelten allerdings nur für den Fall, dass sich die EU und das Vereinigte Königreich auf ein umfassendes Freihandelsabkommen zum 31. Dezember 2020 einigen.

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