Corona-Verschuldung ist tragbar
Um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abzufedern, musste und muss der deutsche Staat milliardenschwere Kredite aufnehmen. Nun braucht die Politik ein Konzept, wie sie mit den Corona-Schulden umgehen will, um sowohl die nationale Schuldenbremse als auch die europäischen Fiskalregeln einzuhalten. Wie diese Aufgabe zu stemmen wäre, zeigt eine neue IW-Studie.
- Die deutsche Staatsschuldenquote steigt in diesem Jahr aufgrund der Corona-Ausgaben voraussichtlich auf fast 75 Prozent des BIP.
- Um die Schulden abzutragen, muss die Schuldenbremse geöffnet und die Tilgung gestreckt werden.
- Zugleich braucht es ein Sondervermögen, um das große Investitionsdefizit abzubauen.
Der Bundesfinanzminister nennt sie einen Wumms – jene Milliarden, mit denen der Staat den Bürgern und den Unternehmen dabei helfen will, die Folgen der mittlerweile drei Lockdowns zumindest halbwegs glimpflich zu überstehen. Inzwischen lässt sich der Wumms genau beziffern: Im Jahr 2020 nahm der deutsche Staat insgesamt rund 275 Milliarden Euro neue Schulden auf, davon entfielen etwa 215 Milliarden auf den Bund (Kern- und Extrahaushalte), der das Gros der Unterstützung finanzierte. Für das Jahr 2021 rechnet allein der Bund mit einer weiteren Nettokreditaufnahme von 240 Milliarden Euro und für das kommende Jahr veranschlagt er noch einmal 80 Milliarden Euro.
Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat die Staatsverschuldung auf den ersten Blick einen riesigen Satz gemacht (Grafik):
Lag die Staatsschuldenquote 2019 mit 59,6 Prozent noch unter der Maastricht-Vorgabe von 60 Prozent, steigt sie in diesem Jahr voraussichtlich auf 74,9 Prozent.
Dieser Anstieg relativiert sich allerdings, wenn man ihn mit der Entwicklung nach der Finanzkrise 2008 vergleicht – damals stieg die Verschuldung auf mehr als 82 Prozent des BIP. Gleichwohl stellt sich die Frage, wie Deutschland mit den finanziellen Lasten der Pandemiebewältigung umgehen soll, denn für die Aufnahme von Krediten gibt es sowohl nationale als auch europäische Vorgaben:
Die Verschuldungsregeln. Die Kreditaufnahme des Staates wird durch Artikel 115 des Grundgesetzes beschränkt. Demnach sind Einnahmen und Ausgaben grundsätzlich ohne Kredite auszugleichen – diese dürfen nach Korrektur um Konjunktureffekte und vermögensneutrale Transaktionen maximal 0,35 Prozent des BIP betragen. Diese Grenze darf nur bei „Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen“ überschritten werden. In solch einem Fall ist die Schuldenbremse – wie derzeit – ausgesetzt.
Die Schuldenbremse öffnen und die Tilgung strecken - so könnte Deutschland die Corona-Schulden stemmen und gleichzeitig investieren.
Unabhängig von der Schuldenbremse gelten die Maastricht-Kriterien, also die Obergrenze von 60 Prozent des BIP für den Schuldenstand und 3 Prozent des BIP für das Haushaltsdefizit. Außerdem hat sich Deutschland dem mittelfristigen Haushaltsziel verpflichtet. Demnach darf der gesamtstaatliche Finanzierungssaldo von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen die Obergrenze von 0,5 Prozent des BIP nicht überschreiten.
Legt man diese Regeln übereinander, dann heißt das: Mit seiner Schuldenbremse von 0,35 Prozent des BIP nutzt Deutschland den im europäischen Fiskalvertrag vorgesehenen konjunkturunabhängigen Verschuldungsspielraum von 0,5 Prozent des BIP nicht aus. Wird die Schuldenquote schrittweise reduziert, erlauben die europäischen Regeln sogar ein Haushaltsdefizit von mehr als 0,5 Prozent.
Die Corona-Schulden und ihre Tilgung. Zusätzliche, also krisenbedingte Schulden müssen laut Grundgesetz konjunkturgerecht und binnen eines angemessenen Zeitraums zurückbezahlt werden. Als zusätzliche Corona-Schulden gilt vor allem jener Anteil der Nettokreditaufnahme, der nicht dem Verschuldungsspielraum des Bundes von 0,35 Prozent des BIP und der zulässigen Verschuldung aus den Konjunkturkomponenten bei Bund und Ländern zuzuordnen ist. Diese Komponente besagt, dass in schlechten Zeiten zwar die Aufnahme von neuen Krediten gestattet ist, diese aber im konjunkturellen Aufschwung wieder zurückzuführen sind. Unter dem Strich heißt das (Grafik):
Für 2020 bis 2022 summiert sich die coronabedingte Neuverschuldung auf 480 Milliarden Euro.
Wenn ab 2023 die Schuldenbremse wieder eingehalten wird, stellt sich die Frage, wie es der Staat schaffen kann, die Differenz zwischen der Tilgungsrate (also dem, was jedes Jahr an Krediten zurückgezahlt wird) und der maximal möglichen Nettoneuverschuldung (also 0,35 Prozent des BIP) auszugleichen und gleichzeitig haushaltspolitischen Handlungsspielraum zu sichern. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten:
- Öffnung der Schuldenbremse. Dem Bund oder den Ländern könnte ein zusätzlicher Verschuldungsspielraum von 0,15 Prozent des BIP zugestanden werden. Das würde einer zusätzlichen Nettoneuverschuldung von rund 6 Milliarden Euro entsprechen und stünde trotzdem im Einklang mir den EU-Vorgaben.
- Streckung der Tilgung. Der Bund plant eine Tilgung seiner Corona-Schulden innerhalb von 20 Jahren. Für den Gesamtstaat würde das bedeuten, dass er jedes Jahr rund 24 Milliarden Euro der Kredite zurückzahlen müsste. Würde die Tilgung auf 40 Jahre gestreckt, müsste der Staat nur die Hälfte für den Schuldendienst ausgeben.
Hoher Investitionsbedarf
Doch selbst die Öffnung der Schuldenbremse kann eines nicht verhindern: Deutschland hat ein großes Investitionsdefizit (siehe: "Die Investitionslücke schließen"). Um das auszugleichen, bietet sich ein befristetes, rechtlich selbstständiges Sondervermögen an, mit dem zehn Jahre lang jeweils 45 Milliarden Euro zusätzlich in die Infrastruktur, den Klimaschutz und die Bildung investiert werden.
Trotz Öffnung der Schuldenbremse, Streckung der Tilgung und Einrichtung eines Sondervermögens würde die Schuldenstandsquote kontinuierlich sinken – nicht zuletzt aufgrund der zu erwartenden Wachstumseffekte durch das höhere Investitionsniveau.
Apropos Wachstum: Anders als nach der Finanzkrise wird sich das Wachstum nach der Corona-Krise kaum aus einem Beschäftigungsaufbau speisen. Deshalb sind private Investitionen und Innovationen ein Schlüssel für wirtschaftliche Dynamik. Die Corona-Krise hat jedoch offengelegt, dass insbesondere im digitalen Bereich noch einiges im Argen liegt. Wenn es gelingt, daraus die Lehren zu ziehen und eine Innovations- und Veränderungsbereitschaft zu etablieren, kann Deutschland einen neuen Wachstumskurs einschlagen und die Corona-Schulden bleiben tragfähig.