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Die Investitionslücke schließen

Bund, Länder und Gemeinden wären gut beraten, ihre Investitionen zu intensivieren – nicht zuletzt, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise abzufedern. Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland trotz wachsender staatlicher Einnahmen bei den investiven Ausgaben hinterher.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die Bundesrepublik blickt auf eine lange Phase unzureichender öffentlicher Investitionstätigkeit zurück.
  • In den vergangenen Jahren sind die staatlichen Investitionsausgaben zwar gestiegen, die Zuwächse sind aber in großen Teilen den Maßnahmen zur Kompensation der Corona-Krise zuzurechnen und werden ab 2022 voraussichtlich wieder kleiner werden.
  • Um die Investitionslücke zu schließen, muss deswegen die grundsätzlich positive Entwicklung der letzten Jahre künftig noch stärker forciert werden.
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Damit die deutsche Wirtschaft möglichst schnell wieder aus der Corona-Krise kommt, hat die Bundesregierung im Juni 2020 ein umfangreiches Konjunkturpaket auf den Weg gebracht. Neben kurzfristigen Hilfen sollen mittelfristig angelegte Wachstumsprogramme wie der EU-Wiederaufbaufonds oder mehr Investitionen des Bundes dazu beitragen, die Folgen der Corona-Krise abzuschwächen.

Die erhöhten Investitionsausgaben sind jedoch nicht nur aus krisenbedingter Sicht wichtig. Aktuell sieht sich die Bundesrepublik mit gleich einer Reihe an transformatorischen Aufgaben konfrontiert: Die Dekarbonisierung soll vorangetrieben werden, die zunehmende Digitalisierung erfordert den Ausbau von Kommunikationsnetzen und Internetleitungen, das Alter und der Zustand der Verkehrsinfrastruktur offenbaren ebenfalls hohe Investitionsbedarfe. Zahlreiche Institutionen, darunter der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, sprechen sich deshalb bereits seit Jahren für eine deutliche Erhöhung der staatlichen Investitionen aus.

Die Dringlichkeit einer solchen Offensive ergibt sich schon daraus, dass die Bundesrepublik auf eine lange Phase unzureichender öffentlicher Investitionstätigkeit zurückblickt: Zwar lag das preisbereinigte Bruttoanlagevermögen des Staates im Jahr 2019 rund 14 Prozent höher als zur Jahrtausendwende, das der Gemeinden – immerhin Hauptträger der öffentlichen Investitionen – stieg im gleichen Zeitraum allerdings um lediglich 5 Prozent. Besonders stark zeigt sich die deutsche Investitionslücke im internationalen Vergleich (Grafik):

Bei den Investitionsausgaben je Einwohner zwischen 2000 und 2017 liegt Deutschland EU-weit auf dem achtletzten Platz.

Jahresdurchschnittliche staatliche Investitionsausgaben je Einwohner im Zeitraum von 2000 bis 2017 in Dollar Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Preis- und kaufkraftbereinigt investierte die Bundesrepublik in diesem Zeitraum durchschnittlich 845 Dollar pro Jahr. Lediglich in einigen osteuropäischen Staaten wie Bulgarien, Rumänien, Polen oder Ungarn wurde noch weniger Geld in die Hand genommen.

Der Ländervergleich entkräftet auch das Argument, die deutsche Investitionszurückhaltung ließe sich mit einem hohen öffentlichen Kapitalbestand vor 2000 rechtfertigen: Staaten wie Italien oder Frankreich, die damals einen ähnlichen Pro-Kopf-Kapitalstock aufwiesen, investierten seit der Jahrtausendwende trotzdem deutlich mehr als die Bundesrepublik.

Fiskalischer Spielraum vorhanden

Das nötige Geld wäre da, der Blick auf den deutschen Staatshaushalt offenbart einige ungenutzte fiskalische Spielräume. Getrieben von einem beachtlichen Anstieg der Erwerbstätigenquote bei den 20- bis 64-Jährigen in den vergangenen zehn Jahren von 75 auf mehr als 80 Prozent, lagen die gesamtstaatlichen Einnahmen aus Einkommen- und Vermögensteuern 2019 um rund die Hälfte über dem Niveau von 2011. Gleichzeitig sparte der Staat in diesem Zeitraum gut 204 Milliarden Euro bei Zinszahlungen.

Insgesamt kommt der öffentliche Gesamthaushalt nach einer Berechnung des IW im Vergleich zu 2011 nach Abzug binnenstaatlicher Transfers auf einen zusätzlichen fiskalischen Spielraum von rund 1,3 Billionen Euro. Die Investitionslücke wurde mit diesem Geld allerdings nicht geschlossen (Grafik):

Zwischen 2012 und 2019 gaben Bund, Länder und Gemeinden zusammen 60 Milliarden Euro für zusätzliche Investitionen aus – das waren lediglich rund 4,5 Prozent der zusätzlich vorhandenen finanziellen Mittel.

Der deutsche Staat hat seine zusätzlichen Einnahmen und Zinsersparnisse im Zeitraum 2012 bis 2019 für folgende Ausgaben verwendet, in Milliarden Euro Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Während der Bund in diesem Zeitraum rund 60 Prozent seines zusätzlichen Spielraums für die Reduzierung der Neuverschuldung verwendete, nutzten die Bundesländer neben der Schuldentilgung den größten Teil für Transfers an die Gemeinden oder die Erhöhung von Arbeitnehmerentgelten. Die Gemeinden steckten etwas mehr als ein Viertel ihrer zusätzlichen Einnahmen in monetäre Sozialleistungen und soziale Sachleistungen.

In den vergangenen Jahren hat die Bundesrepublik ihre Investitionsausgaben gesteigert. Um die Investitionslücke zu schließen, muss diese Entwicklung aber noch deutlich stärker forciert werden.

Auf den ersten Blick nimmt die Bundesregierung auch zunehmend mehr Geld für Investitionen in die Hand, 2020 war es mit 50,3 Milliarden Euro rund ein Drittel mehr als im Vorjahr. Für dieses Jahr ist eine ähnlich starke Erhöhung auf rund 62 Milliarden Euro geplant.

Der Haken an der Sache: Diese erheblichen Zuwächse sind in großen Teilen dem Corona-Konjunkturpaket und den Maßnahmen zur Kompensation der Krise zuzurechnen und werden ab 2022 voraussichtlich wieder kleiner werden. Zudem decken die aktuellen Erhöhungen der Bundesinvestitionen nur teilweise die strukturellen Bedarfe: Ein großer Teil davon setzt sich aus finanziellen Beteiligungen und Darlehen zusammen, die kaum eine zusätzliche Wachstumswirkung entfalten dürften (siehe "Investitionen oft nur auf dem Papier").

Schuldenfinanzierte Investitionen sind probater Weg

Im internationalen Vergleich hat die aufstrebende Dynamik der vergangenen Jahre Deutschlands Position ebenfalls nur unwesentlich verbessert. Im Jahr 2019 investierte der deutsche Staat durchschnittlich 1.031 Euro je Einwohner – zwar rund ein Zehntel mehr als im EU-Schnitt, aber immer noch weniger als elf andere Länder der Union.

Um die Investitionslücke zu schließen, muss die grundsätzlich positive Entwicklung der letzten Jahre künftig noch stärker forciert werden. Neben Einsparungen an anderen Stellen können dafür angesichts der aktuellen Negativzinsen auch schuldenfinanzierte Investitionen ein probater Weg sein.

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