Interview Lesezeit 4 Min.

„Wir wollen ein dickes Paket schnüren“

Das Thema Pflege ist seit Jahren eine der Großbaustellen der deutschen Politik. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erläutert im Gespräch mit dem iwd, wie er die Engpässe im Pflegesektor beseitigen will.

Kernaussagen in Kürze:
  • Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will dem Personalmangel in der Pflege unter anderem mit einer verbesserten Ausbildung in Pflegeberufen begegnen.
  • Die „Konzertierte Aktion Pflege“ - in deren Rahmen das Ministerium mit Kassenverbänden, Leistungserbringern, Pflegeberufsverbänden, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern zusammenarbeitet - soll helfen, in der Pflege die Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten zu verbessern, Aus- und Weiterbildung zu fördern sowie den Wiedereinstieg in den Beruf zu fördern und Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen.
  • Entlastungschancen sieht Spahn durch die Digitalisierung. Die Pflegedokumentation könnte zum Beispiel digital erstellt und dadurch Zeit gespart werden.
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Herr Spahn, warum hat ein so reiches Land wie Deutschland einen Pflegenotstand?

Wir brauchen mehr Pflegekräfte, das ist richtig. Aber richtig ist auch, dass sich in der Pflege in den vergangenen Jahren vieles sehr gut weiterentwickelt hat: Demenzkranke haben endlich Zugang zu allen Leistungen der Pflegeversicherung, die Leistungen sind massiv ausgebaut worden und kommen heute Hunderttausenden mehr zugute als vor der Pflegereform. Die Pflegeversicherung hat 2017 Leistungen im Umfang von 38 Milliarden Euro für Pflegebedürftige, Angehörige und auch Pflegekräfte finanziert – so viel wie noch nie. Dadurch ist die Zahl der Pflegebedürftigen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, stark gesunken. Aber richtig ist eben auch: Die Pflegeversicherung und der Staat können unterstützen, aber sie ersetzen nicht die Familie und deren Beistand.

Wir haben mit der neuen Pflegeberufeausbildung ab 2020 eine attraktive Ausbildung, ohne Schulgeld, mit Vergütung.

Das von Ihnen initiierte „Pflegepersonal-Stärkungsgesetz“ sieht 13.000 neue Stellen in der stationären Altenpflege vor. Laut Bundesregierung fehlen aber jetzt schon mindestens 36.000 Alten- und Krankenpfleger in Deutschland. Wo soll das Personal herkommen?

Wir haben mittlerweile eine hohe Teilzeitquote in der Pflege. Viele haben ihre Arbeitszeit reduziert und nehmen weniger Gehalt in Kauf, weil sie die Arbeitsbelastung nicht mehr aushalten. Andere haben dem Beruf den Rücken gekehrt. Wenn die Aussicht besteht, wieder mit mehr Kolleginnen und Kollegen in einer Schicht zu arbeiten, werden Teilzeitkräfte ihre Stundenzahl aufstocken, andere werden in den Beruf zurückkehren. Und auch Pflegekräfte, die für Zeitarbeitsfirmen arbeiten, wechseln hoffentlich ins Krankenhaus oder in eine Pflegeeinrichtung. Und wir setzen auf den Nachwuchs. Wir haben mit der neuen Pflegeberufeausbildung ab 2020 eine attraktive Ausbildung, ohne Schulgeld, mit Vergütung.

Das Gesetz soll Anfang 2019 in Kraft treten. Bis wann wollen Sie die 13.000 zusätzlichen Stellen für Altenpfleger besetzen?

Die Pflegeeinrichtungen schreiben die Stellen aus, nicht der Bundesgesundheitsminister. Sie können im Januar 2019 damit beginnen. Meine Hoffnung ist, dass sich die Personalsituation rasch verbessert. Die Krankenkassen finanzieren die Stellen, das Geld ist da. Eine Frist haben wir nicht gesetzt.

Das Institut der deutschen Wirtschaft rechnet damit, dass bis zum Jahr 2035 zwischen 130.000 und 150.000 zusätzliche Fachkräfte in der Altenpflege benötigt werden. Um die zu finden, braucht es wohl mehr Anreize als ein bisschen mehr Gehalt, ein besseres Image und Gesundheitsprogramme, die die Pflegekräfte fit halten sollen, oder nicht?

Jens Spahn (CDU) ist seit März 2018 Bundesgesundheitsminister; Foto: BMG Ich arbeite dafür, dass sich der Arbeitsalltag unserer Pflegekräfte spürbar verbessert. Deshalb haben wir – das Gesundheits-, das Arbeits- und das Familienministerium – die „Konzertierte Aktion Pflege“ ins Leben gerufen. Gemeinsam mit Kassenverbänden, Leistungserbringern, Pflegeberufsverbänden, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern wollen wir ein dickes Paket schnüren. Es geht darum, Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten für Fach- und Helferkräfte zu verbessern und zu einem Flächentarifvertrag zu kommen, neue Möglichkeiten der Aus- und Weiterbildung sowie der Auf- und Umstiege im Erwerbsverlauf zu schaffen, den Wiedereinstieg in den Beruf zu fördern und auch Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Diese Arbeitsgruppen sind keine Plauderrunden. Ich erwarte konkrete Vorschläge nach spätestens einem Jahr. Die werden wir uns alle gemeinsam anschauen und dann entscheiden. Ich bin sicher, wir werden ein attraktives Berufsbild für die Pflege schaffen.

Sie erhoffen sich in der Pflege auch Entlastung durch die Digitalisierung. Können Sie uns anhand einer konkreten Pflegetätigkeit ein Beispiel nennen, wie das funktioniert?

Pflegedokumentation ist ein gutes Beispiel: Wenn eine Pflegekraft nicht mehr jeden Tag ihre einzelnen Arbeitsschritte in Papierformulare eintragen muss, sondern die maßgeblichen Daten digital am PC oder am Tablet ablegen kann, spart das nachweislich Zeit.

Ich arbeite dafür, dass sich der Arbeitsalltag unserer Pflegekräfte spürbar verbessert.

Sie setzen in der Pflege auch auf die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland wie dem Kosovo. Gleichzeitig werden abgelehnte Asylbewerber, die in deutschen Pflegeheimen und Krankenhäusern arbeiten, in ihre Heimatstaaten abgeschoben. Wie passt das zusammen?

Die Anwerbung von Fachkräfte aus dem Ausland ist eine Möglichkeit von vielen, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Ich stelle mir eine Zusammenarbeit mit solchen Ländern vor, die eine junge Bevölkerung haben. Dort wollen wir Ausbildungsangebote etablieren, in denen sowohl Fachkräfte für das Inland wie für das Ausland ausgebildet werden.

In Kindertagesstätten gibt es einen festen Personalschlüssel, der vorschreibt, wie viele Erzieherinnen für wie viele Kinder vorhanden sein müssen. In der Pflege fehlt dieser Qualitätsstandard. Sind uns alte Menschen einfach nicht wichtig genug?

Es gibt auch in der Pflege Personalschlüssel. Die werden auf Landesebene vereinbart. Sie beruhen aber nicht auf fachlichen Standards. Deshalb wird derzeit ein wissenschaftliches Personalbemessungsverfahren für ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen erarbeitet und erprobt. In Pflegeeinrichtungen können Sie nicht wie in Kitas die Menschen in Altersgruppen einteilen und dann das Personal zuteilen. Es kommt auch darauf an, an welchen Einschränkungen ein Mensch leidet. Ein Demenzkranker muss anders gepflegt und betreut werden als ein Mensch mit rein physischen Gebrechen.

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