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Reform der Pflegeversicherung 2021: Was der Staat ausgibt

Laut Plänen des Bundesgesundheitsministeriums sollen Beschäftigte in der Pflege künftig nach Tarif bezahlt werden. Außerdem soll mehr Geld in die stationäre Pflege fließen. Zur Finanzierung sind auch Zuschüsse aus Steuermitteln vorgesehen. Ob diese aber systemkonform wären, ist ebenso offen wie die möglichen Umverteilungseffekte der Reform.

Kernaussagen in Kürze:
  • Den Reformpläne des Bundesgesundheitsministeriums zufolge könnte die soziale Pflegeversicherung in der ambulanten Pflege durch Umstrukturierungen einige Milliarden Euro sparen.
  • In der stationären Pflege sind allerdings deutlich höhere Ausgaben zu erwarten, weil die Eigenanteile der Pflegebedürftigen deutlich sinken sollen.
  • Zur Finanzierung soll ein höherer Bundeszuschuss beitragen – ob dieser allerdings systemkonform wäre, ist fraglich.
Zur detaillierten Fassung

Die Corona-Pandemie hat das Thema Pflege noch einmal stärker in den Fokus gerückt und die Forderungen nach einer höheren Entlohnung der Pflegekräfte lauter werden lassen.

Doch auch unabhängig von der Pandemie steht die soziale Pflegeversicherung vor großen Herausforderungen. Weil die Bevölkerung altert, ist mit einer weiteren Zunahme der Pflegefallzahlen zu rechnen:

Waren in Deutschland 2019 gut 4,2 Millionen Menschen pflegebedürftig, könnte die Zahl bis Mitte der 2040er Jahre auf mehr als 6 Millionen steigen.

Damit verbunden nimmt auch der Bedarf an Pflegekräften weiter zu, selbst wenn technische und digitale Lösungen in der Altenpflege künftig besser genutzt werden.

Höhere Pflegekosten, sinkende Beitragseinnahmen

All dies führt zu Kostensteigerungen – während die sinkende Zahl der Erwerbspersonen die Beitragseinnahmen drückt. Dabei übernimmt die soziale Pflegeversicherung ohnehin nur einen Teil der Pflegekosten, die Pflegebedürftigen müssen in der Regel einen Eigenanteil tragen, der vor allem in der stationären Pflege eine erhebliche Belastung darstellen kann (siehe iwd 18/2020). Laut Verband der Ersatzkassen beläuft sich der bundesdurchschnittliche Eigenanteil in der vollstationären Pflege derzeit auf 786 Euro pro Monat, hinzu kommen 774 Euro für Unterkunft und Verpflegung sowie 455 Euro Investitionskostenanteil.

Vor diesem Hintergrund hat das Bundesgesundheitsministerium vor einiger Zeit ein Eckpunktepapier für eine Pflegereform vorgelegt, die nach bisherigem Kenntnisstand etwa 6,3 Milliarden Euro kosten soll. Die wesentlichen Vorhaben:

  1. Pflegekräfte sollen nach Tarif bezahlt werden. Künftig sollen ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen nur noch dann zugelassen werden, wenn sie ihre Mitarbeiter nach einem Tarifvertrag entlohnen. Außerdem soll ein wissenschaftliches Verfahren zur Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen gesetzlich verankert werden.

Welcher Tarifvertrag in der Pflege künftig zugrunde liegen soll, ist allerdings unklar. Das Bundesgesundheitsministerium spricht lediglich von einem zusätzlichen Finanzbedarf von rund 2 Milliarden Euro im Einführungsjahr. Die vorliegenden Pläne lassen vermuten, dass sich dieser Betrag allein auf den stationären Sektor bezieht und Kostensteigerungen in der ambulanten Pflege nicht einkalkuliert sind. Dies würde aber bedeuten, dass diese Mehrkosten künftig von den Pflegebedürftigen zu tragen wären.

  1. Leistungsbeträge in der ambulanten Pflege sollen steigen — aber wohl nicht kostendeckend. Ab Juli dieses Jahres soll die Pflegeversicherung für Sachleistungen, Pflegegeld und Tagespflege – also die kurzzeitige Betreuung in einer stationären Einrichtung – 5 Prozent mehr zahlen; ab 2023 sollen die Beträge jährlich mit der Inflationsrate steigen. Die tatsächlichen Kosten dürften aber nicht zuletzt aufgrund der auch politisch gewollten Lohnerhöhungen schneller steigen, sodass die Versicherten in realer Rechnung weniger Leistungen erhalten und aus eigener Tasche mehr Geld drauflegen müssen, um das bisherige Pflegeniveau zu halten.
  1. Häusliche Pflege soll umstrukturiert werden. Beispielsweise soll die Pauschale für Pflegehilfsmittel – dazu zählen unter anderem Pflegebetten und Hausnotrufsysteme, aber auch Einmalhandschuhe und Desinfektionsmittel – dauerhaft von 40 auf 60 Euro pro Monat angehoben werden. Mögliche Kosten im ersten Jahr: gut 180 Millionen Euro.

Unter noch nicht näher spezifizierten Bedingungen sollen künftig bis zu 40 Prozent des Pflegesachleistungsbetrags genutzt werden können, um eine 24-Stunden-Betreuungsperson im eigenen Haushalt zu finanzieren. Bisher musste dafür auf das Pflegegeld oder Zuschüsse aus der Verhinderungspflege zurückgegriffen werden. Vorsichtig geschätzt, könnte diese Maßnahme die Pflegeversicherung im Einführungsjahr knapp 480 Millionen Euro kosten.

Das Bundesgesundheitsministerium plant aber auch Einschränkungen: Nehmen Versicherte ambulante Pflegesachleistungen oder Pflegegeld in Anspruch, sollen ihnen nur noch 50 Prozent der bisherigen Leistungen der Tagespflege zustehen. Das könnte die Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung um mehr als 400 Millionen Euro verringern — allerdings nur, wenn Pflegebedürftige ihren Leistungsbezug nicht umschichten.

Reformszenarien: Pflegeversicherung könnte in der ambulanten Pflege sparen ...

Auch wenn die längerfristigen Effekte dieser Reformpläne nur geschätzt werden können, lassen sich entsprechende Szenarien entwerfen. Gegenüber einem Szenario, das auf dem Status quo beruht, aber die Pflegeleistungen ähnlich wie die Löhne wachsen lässt, wären erhebliche Einsparungen möglich (Grafik):

Mit den geplanten Reformen für die ambulante Pflege könnte die Pflegeversicherung gegenüber dem Basisszenario im Jahr 2030 in heutigen Preisen knapp 2 Milliarden Euro sparen, 2040 wären es bereits mehr als 5 Milliarden und 2050 mehr als 10 Milliarden Euro.

Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung für die ambulante Pflege in heutigen Preisen in Milliarden Euro Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Dies bedeutet aber nicht, dass die Pflege im häuslichen Umfeld günstiger wird, vielmehr würden die Versicherten unterm Strich mehr eigenes Geld beisteuern müssen. Die Eigenanteile steigen voraussichtlich noch stärker, wenn auch für ambulante Pflegedienstleister eine Tarifbindung eingeführt wird, wie der Vergleich der Reformszenarien mit dem Tarifszenario zeigt.

... aber die Ausgaben für die stationäre Pflege steigen

  1. Eigenanteile in der stationären Pflege sollen deutlich sinken. Um die Versicherten zu entlasten, will das Bundesgesundheitsministerium die Eigenanteile, die bei stationärer Pflege fällig werden, begrenzen. Den ursprünglichen Plänen zufolge sollten die Versicherten maximal 700 Euro pro Monat zahlen, und das höchstens drei Jahre lang. Inzwischen ist vorgesehen, den Eigenanteil im zweiten Jahr um 25 Prozent, im dritten um 50 und ab dem vierten Jahr um 75 Prozent zu reduzieren. Die Kosten werden mit rund 2,5 Milliarden Euro angegeben.

Im Vergleich zu den bisherigen Regelungen – ergänzt um die vorgesehene Tarifbindung – würden die Reformpläne für die stationäre Kosten zusätzliche Kosten von bis zu 7 Milliarden Euro pro Jahr mit sich bringen.

Die längerfristigen Folgen dieses Vorschlags werden deutlich, wenn man ein entsprechendes Szenario (Reformszenario 1) mit den Kosten vergleicht, die die bisherigen Regelungen – ergänzt um die vorgesehene Tarifbindung – mit sich bringen. Dabei wird auch im Reformszenario angenommen, dass die Versicherungsleistungen mit der Teuerung im Pflegesektor – also unter Berücksichtigung der steigenden Lohnkosten – angehoben werden. Das Ergebnis (Grafik):

Gegenüber dem Tarifszenario würden die zusätzlichen Kosten der aktuellen Reformpläne von zunächst 2,5 Milliarden Euro pro Jahr auf gut 5 Milliarden Euro Mitte der 2040er Jahre steigen; Ende der 2050er Jahre wären es etwa 7 Milliarden Euro.

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Die ursprünglichen Reformpläne hätten die Ausgaben noch deutlich stärker nach oben getrieben (Reformszenario 2). Die aktuell vorgesehene Reform bedeutet allerdings, dass die Versicherten künftig wieder steigende Eigenanteile schultern müssen, wenn die Löhne im Pflegesektor erhöht werden.

Fragwürdige Pläne für den Bundeszuschuss

Zum gesamten Reformkonzept gehört auch, den Bund stärker zur Finanzierung des Pflegesektors heranzuziehen. Die Reduzierung der Eigenanteile in der stationären Pflege, die soziale Sicherung pflegender Angehöriger sowie die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern und Partnern sollen deshalb als gesamtgesellschaftliche Aufgaben definiert werden, die der Bund übernehmen soll. Die Kosten wären erheblich (Grafik):

Um die genannten Aufgaben zu erfüllen, müsste der Bund zunächst 6 Milliarden Euro pro Jahr zuschießen – bis zum Jahr 2060 würde der Zuschuss auf etwa 15 Milliarden Euro steigen.

So viele Milliarden Euro müsste der Bund in heutigen Preisen zuschießen, wenn er künftig die soziale Sicherung der Pflegepersonen, die Kosten zur Finanzierung der reduzierten Eigenanteile der Versicherten sowie die kostenfreie Mitversicherung von Kindern und Ehepartnern tragen soll Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Generell ist allerdings fraglich, ob es sich bei den Aufgaben, die der Bund übernehmen soll, um versicherungsfremde Leistungen handelt. Denn nur dann wäre ein Zuschuss aus Steuermitteln zu rechtfertigen.

Eine weitere offene Frage ist, ob die Reform überhaupt jene Versicherten entlastet, die die Eigenanteile in der stationären Pflege nicht schultern können. Denn von den reduzierten Eigenanteilen profitieren auch jene, die aufgrund ihres Einkommens oder Vermögens gar keinen Entlastungsbedarf haben. Zugleich könnten die Leistungseinschränkungen in der ambulanten Pflege dazu führen, dass mehr Menschen Sozialhilfe (Hilfe zur Pflege) in Anspruch nehmen müssen. Die tatsächlichen Umverteilungseffekte der Reform bleiben abzuwarten.

Möglicherweise wäre es aber künftig sinnvoll, auch für die ambulante Pflege stärker auf private Vorsorge durch neue Versicherungsprodukte zu setzen. Geringverdiener, die sich diese Vorsorge nicht leisten können, ließen sich dann vom Staat zielgerichteter unterstützen.

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